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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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ursprünglich angehörte, trennte und nun seit hundert Jahren
durch den Apure und den Orinoko mit dem Meere in Ver-
bindung steht. Was hier im kleinen durch Menschenhand
geschah, thut die Natur häufig selbst entweder durch allmäh-
liche Anschwemmung oder durch die Zerrüttung des Bodens
infolge starker Erdbeben. Wahrscheinlich werden im Laufe
der Jahrhunderte manche Flüsse im Sudan und in Neuholland,
die jetzt im Sande versiegen oder in Binnenseen laufen, sich
einen Weg zur Meeresküste bahnen. So viel ist wenigstens
sicher, daß es auf beiden Kontinenten innere Flußsysteme gibt,
die man als noch nicht ganz entwickelte 1 betrachten kann,
und die entweder nur bei Hochgewässer oder beständig durch
Gabelung unter sich zusammenhängen.

Der Rio Pao hat sich ein so tiefes und breites Bett
gegraben, daß, wenn in der Regenzeit der Canno grande de
Cambury das ganze Land nordwestlich von Guigue über-
schwemmt, das Wasser dieses Canno und das des Sees von
Valencia in den Rio Pao selbst zurücklaufen, so daß dieses
Flüßchen, statt dem See Wasser zuzuführen, ihm vielmehr
welches abzapft. Wir sehen etwas Aehnliches in Nordamerika,
da wo die Geographen auf ihren Karten zwischen den großen
Kanadischen Seen und dem Lande der Miami eine eingebildete
Bergkette angeben. Bei Hochgewässer stehen die Flüsse, die
den Seen, und die, welche dem Mississippi zulaufen, mitein-
ander in Verbindung und man fährt im Kanoe von den
Quellen des Flusses Santa Maria in den Wabash, wie aus
dem Chicago in den Illinois. Diese analogen Fälle scheinen
mir von seiten der Hydrographen alle Aufmerksamkeit zu
verdienen.

Da der Boden rings um den See von Valencia durchaus
flach und eben ist, so wird, wie ich es auch an den Mexika-
nischen Seen alle Tage beobachten konnte, wenn der Wasser-
spiegel nur um wenige Zoll fällt, ein großer, mit fruchtbarem
Schlamme und organischen Resten bedeckter Strich Landes
trocken gelegt. Im Maße, als der See sich zurückzieht, rückt
der Landbau gegen das neue Ufer vor. Diese von der Natur
bewerkstelligte, für die Landwirtschaft der Kolonieen sehr wich-
tige Austrocknung war in den letzten zehn Jahren, in denen
ganz Amerika an großer Trockenheit litt, ungewöhnlich stark.

1 Karl Ritter, Erdkunde Bd. I.

urſprünglich angehörte, trennte und nun ſeit hundert Jahren
durch den Apure und den Orinoko mit dem Meere in Ver-
bindung ſteht. Was hier im kleinen durch Menſchenhand
geſchah, thut die Natur häufig ſelbſt entweder durch allmäh-
liche Anſchwemmung oder durch die Zerrüttung des Bodens
infolge ſtarker Erdbeben. Wahrſcheinlich werden im Laufe
der Jahrhunderte manche Flüſſe im Sudan und in Neuholland,
die jetzt im Sande verſiegen oder in Binnenſeen laufen, ſich
einen Weg zur Meeresküſte bahnen. So viel iſt wenigſtens
ſicher, daß es auf beiden Kontinenten innere Flußſyſteme gibt,
die man als noch nicht ganz entwickelte 1 betrachten kann,
und die entweder nur bei Hochgewäſſer oder beſtändig durch
Gabelung unter ſich zuſammenhängen.

Der Rio Pao hat ſich ein ſo tiefes und breites Bett
gegraben, daß, wenn in der Regenzeit der Caño grande de
Cambury das ganze Land nordweſtlich von Guigue über-
ſchwemmt, das Waſſer dieſes Caño und das des Sees von
Valencia in den Rio Pao ſelbſt zurücklaufen, ſo daß dieſes
Flüßchen, ſtatt dem See Waſſer zuzuführen, ihm vielmehr
welches abzapft. Wir ſehen etwas Aehnliches in Nordamerika,
da wo die Geographen auf ihren Karten zwiſchen den großen
Kanadiſchen Seen und dem Lande der Miami eine eingebildete
Bergkette angeben. Bei Hochgewäſſer ſtehen die Flüſſe, die
den Seen, und die, welche dem Miſſiſſippi zulaufen, mitein-
ander in Verbindung und man fährt im Kanoe von den
Quellen des Fluſſes Santa Maria in den Wabaſh, wie aus
dem Chicago in den Illinois. Dieſe analogen Fälle ſcheinen
mir von ſeiten der Hydrographen alle Aufmerkſamkeit zu
verdienen.

Da der Boden rings um den See von Valencia durchaus
flach und eben iſt, ſo wird, wie ich es auch an den Mexika-
niſchen Seen alle Tage beobachten konnte, wenn der Waſſer-
ſpiegel nur um wenige Zoll fällt, ein großer, mit fruchtbarem
Schlamme und organiſchen Reſten bedeckter Strich Landes
trocken gelegt. Im Maße, als der See ſich zurückzieht, rückt
der Landbau gegen das neue Ufer vor. Dieſe von der Natur
bewerkſtelligte, für die Landwirtſchaft der Kolonieen ſehr wich-
tige Austrocknung war in den letzten zehn Jahren, in denen
ganz Amerika an großer Trockenheit litt, ungewöhnlich ſtark.

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[211/0219] urſprünglich angehörte, trennte und nun ſeit hundert Jahren durch den Apure und den Orinoko mit dem Meere in Ver- bindung ſteht. Was hier im kleinen durch Menſchenhand geſchah, thut die Natur häufig ſelbſt entweder durch allmäh- liche Anſchwemmung oder durch die Zerrüttung des Bodens infolge ſtarker Erdbeben. Wahrſcheinlich werden im Laufe der Jahrhunderte manche Flüſſe im Sudan und in Neuholland, die jetzt im Sande verſiegen oder in Binnenſeen laufen, ſich einen Weg zur Meeresküſte bahnen. So viel iſt wenigſtens ſicher, daß es auf beiden Kontinenten innere Flußſyſteme gibt, die man als noch nicht ganz entwickelte 1 betrachten kann, und die entweder nur bei Hochgewäſſer oder beſtändig durch Gabelung unter ſich zuſammenhängen. Der Rio Pao hat ſich ein ſo tiefes und breites Bett gegraben, daß, wenn in der Regenzeit der Caño grande de Cambury das ganze Land nordweſtlich von Guigue über- ſchwemmt, das Waſſer dieſes Caño und das des Sees von Valencia in den Rio Pao ſelbſt zurücklaufen, ſo daß dieſes Flüßchen, ſtatt dem See Waſſer zuzuführen, ihm vielmehr welches abzapft. Wir ſehen etwas Aehnliches in Nordamerika, da wo die Geographen auf ihren Karten zwiſchen den großen Kanadiſchen Seen und dem Lande der Miami eine eingebildete Bergkette angeben. Bei Hochgewäſſer ſtehen die Flüſſe, die den Seen, und die, welche dem Miſſiſſippi zulaufen, mitein- ander in Verbindung und man fährt im Kanoe von den Quellen des Fluſſes Santa Maria in den Wabaſh, wie aus dem Chicago in den Illinois. Dieſe analogen Fälle ſcheinen mir von ſeiten der Hydrographen alle Aufmerkſamkeit zu verdienen. Da der Boden rings um den See von Valencia durchaus flach und eben iſt, ſo wird, wie ich es auch an den Mexika- niſchen Seen alle Tage beobachten konnte, wenn der Waſſer- ſpiegel nur um wenige Zoll fällt, ein großer, mit fruchtbarem Schlamme und organiſchen Reſten bedeckter Strich Landes trocken gelegt. Im Maße, als der See ſich zurückzieht, rückt der Landbau gegen das neue Ufer vor. Dieſe von der Natur bewerkſtelligte, für die Landwirtſchaft der Kolonieen ſehr wich- tige Austrocknung war in den letzten zehn Jahren, in denen ganz Amerika an großer Trockenheit litt, ungewöhnlich ſtark. 1 Karl Ritter, Erdkunde Bd. I.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/219>, abgerufen am 25.11.2024.