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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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bietet verschiedene Erscheinungen, deren Aufklärung für die
Naturforschung und für den Wohlstand der Bevölkerung von
gleich großen Interesse ist. Aus welchen Ursachen sinkt der
Seespiegel? Sinkt er gegenwärtig rascher als vor Jahrhun-
derten? Läßt sich annehmen, daß das Gleichgewicht zwischen
dem Zufluß und dem Abgang sich über kurz oder lang wieder
herstellt, oder ist zu besorgen, daß der See ganz eingeht?

Nach den astronomischen Beobachtungen in Victoria, Ha-
cienda de Cura, Nueva Valencia und Guigue ist der See
gegenwärtig von Cagua bis Guayos 45 km lang. Seine
Breite ist sehr ungleich; nach den Breiten an der Einmündung
des Rio Cura und beim Dorfe Guigue zu urteilen, beträgt sie
nirgends über 9 bis 13 km, meist nur 8 bis 10 km. Die Maße,
die sich aus meinen Beobachtungen ergeben, sind weit geringer
als die bisherigen Annahmen der Eingeborenen. Man könnte
meinen, um das Verhältnis der Wasserabnahme genau kennen
zu lernen, brauche man nur die gegenwärtige Größe des Sees
mit der zu vergleichen, welche alte Chronikschreiber, z. B. Oviedo
in seiner ums Jahr 1723 veröffentlichen "Geschichte der
Provinz Venezuela", angeben. Dieser Geschichtschreiber läßt
in seinem hochtrabenden Stil "dieses Binnenmeer, diesen
monstruoso cuerpo de la laguna de Valencia", 63 km
lang und 27 breit sein; er berichtet, in geringer Entfernung
vom Ufer finde das Senkblei keinen Grund mehr, und große
schwimmende Inseln bedecken die Seefläche, die fortwährend
von den Winden aufgerührt werde. Unmöglich läßt sich auf
Schätzungen Gewicht legen, die auf gar keiner Messung be-
ruhen und dazu in Leguas ausgedrückt sind, auf die man
in den Kolonieen 3000, 5000 und 6550 Varas 1 rechnet. Nur
das verdient im Buche eines Mannes, der so oft durch die
Thäler von Aragua gekommen sein muß, Beachtung, daß er

1 Da einigermaßen richtige Begriffe über die astronomische
Lage und die Entfernungen der Orte in den spanischen Kolonieen
zuerst und lange Zeit allein durch Seeleute sich verbreiteten, so wurde
in Mexiko und in Südamerika ursprünglich die Legua nautica von
6650 Varas oder 5559 m eingeführt; aber diese "Seemeile" wurde
allmählich um die Hälfte oder um ein Dritteil verkürzt, weil man
in den Hochgebirgen wie auf den dürren heißen Ebenen sehr lang-
sam reist. Das Volk rechnet unmittelbar nur nach der Zeit und
schließt aus der Zeit, nach willkürlichen Voraussetzungen, auf die
Länge der zurückgelegten Strecke.

bietet verſchiedene Erſcheinungen, deren Aufklärung für die
Naturforſchung und für den Wohlſtand der Bevölkerung von
gleich großen Intereſſe iſt. Aus welchen Urſachen ſinkt der
Seeſpiegel? Sinkt er gegenwärtig raſcher als vor Jahrhun-
derten? Läßt ſich annehmen, daß das Gleichgewicht zwiſchen
dem Zufluß und dem Abgang ſich über kurz oder lang wieder
herſtellt, oder iſt zu beſorgen, daß der See ganz eingeht?

Nach den aſtronomiſchen Beobachtungen in Victoria, Ha-
cienda de Cura, Nueva Valencia und Guigue iſt der See
gegenwärtig von Cagua bis Guayos 45 km lang. Seine
Breite iſt ſehr ungleich; nach den Breiten an der Einmündung
des Rio Cura und beim Dorfe Guigue zu urteilen, beträgt ſie
nirgends über 9 bis 13 km, meiſt nur 8 bis 10 km. Die Maße,
die ſich aus meinen Beobachtungen ergeben, ſind weit geringer
als die bisherigen Annahmen der Eingeborenen. Man könnte
meinen, um das Verhältnis der Waſſerabnahme genau kennen
zu lernen, brauche man nur die gegenwärtige Größe des Sees
mit der zu vergleichen, welche alte Chronikſchreiber, z. B. Oviedo
in ſeiner ums Jahr 1723 veröffentlichen „Geſchichte der
Provinz Venezuela“, angeben. Dieſer Geſchichtſchreiber läßt
in ſeinem hochtrabenden Stil „dieſes Binnenmeer, dieſen
monstruoso cuerpo de la laguna de Valencia“, 63 km
lang und 27 breit ſein; er berichtet, in geringer Entfernung
vom Ufer finde das Senkblei keinen Grund mehr, und große
ſchwimmende Inſeln bedecken die Seefläche, die fortwährend
von den Winden aufgerührt werde. Unmöglich läßt ſich auf
Schätzungen Gewicht legen, die auf gar keiner Meſſung be-
ruhen und dazu in Leguas ausgedrückt ſind, auf die man
in den Kolonieen 3000, 5000 und 6550 Varas 1 rechnet. Nur
das verdient im Buche eines Mannes, der ſo oft durch die
Thäler von Aragua gekommen ſein muß, Beachtung, daß er

1 Da einigermaßen richtige Begriffe über die aſtronomiſche
Lage und die Entfernungen der Orte in den ſpaniſchen Kolonieen
zuerſt und lange Zeit allein durch Seeleute ſich verbreiteten, ſo wurde
in Mexiko und in Südamerika urſprünglich die Legua nautica von
6650 Varas oder 5559 m eingeführt; aber dieſe „Seemeile“ wurde
allmählich um die Hälfte oder um ein Dritteil verkürzt, weil man
in den Hochgebirgen wie auf den dürren heißen Ebenen ſehr lang-
ſam reiſt. Das Volk rechnet unmittelbar nur nach der Zeit und
ſchließt aus der Zeit, nach willkürlichen Vorausſetzungen, auf die
Länge der zurückgelegten Strecke.
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[203/0211] bietet verſchiedene Erſcheinungen, deren Aufklärung für die Naturforſchung und für den Wohlſtand der Bevölkerung von gleich großen Intereſſe iſt. Aus welchen Urſachen ſinkt der Seeſpiegel? Sinkt er gegenwärtig raſcher als vor Jahrhun- derten? Läßt ſich annehmen, daß das Gleichgewicht zwiſchen dem Zufluß und dem Abgang ſich über kurz oder lang wieder herſtellt, oder iſt zu beſorgen, daß der See ganz eingeht? Nach den aſtronomiſchen Beobachtungen in Victoria, Ha- cienda de Cura, Nueva Valencia und Guigue iſt der See gegenwärtig von Cagua bis Guayos 45 km lang. Seine Breite iſt ſehr ungleich; nach den Breiten an der Einmündung des Rio Cura und beim Dorfe Guigue zu urteilen, beträgt ſie nirgends über 9 bis 13 km, meiſt nur 8 bis 10 km. Die Maße, die ſich aus meinen Beobachtungen ergeben, ſind weit geringer als die bisherigen Annahmen der Eingeborenen. Man könnte meinen, um das Verhältnis der Waſſerabnahme genau kennen zu lernen, brauche man nur die gegenwärtige Größe des Sees mit der zu vergleichen, welche alte Chronikſchreiber, z. B. Oviedo in ſeiner ums Jahr 1723 veröffentlichen „Geſchichte der Provinz Venezuela“, angeben. Dieſer Geſchichtſchreiber läßt in ſeinem hochtrabenden Stil „dieſes Binnenmeer, dieſen monstruoso cuerpo de la laguna de Valencia“, 63 km lang und 27 breit ſein; er berichtet, in geringer Entfernung vom Ufer finde das Senkblei keinen Grund mehr, und große ſchwimmende Inſeln bedecken die Seefläche, die fortwährend von den Winden aufgerührt werde. Unmöglich läßt ſich auf Schätzungen Gewicht legen, die auf gar keiner Meſſung be- ruhen und dazu in Leguas ausgedrückt ſind, auf die man in den Kolonieen 3000, 5000 und 6550 Varas 1 rechnet. Nur das verdient im Buche eines Mannes, der ſo oft durch die Thäler von Aragua gekommen ſein muß, Beachtung, daß er 1 Da einigermaßen richtige Begriffe über die aſtronomiſche Lage und die Entfernungen der Orte in den ſpaniſchen Kolonieen zuerſt und lange Zeit allein durch Seeleute ſich verbreiteten, ſo wurde in Mexiko und in Südamerika urſprünglich die Legua nautica von 6650 Varas oder 5559 m eingeführt; aber dieſe „Seemeile“ wurde allmählich um die Hälfte oder um ein Dritteil verkürzt, weil man in den Hochgebirgen wie auf den dürren heißen Ebenen ſehr lang- ſam reiſt. Das Volk rechnet unmittelbar nur nach der Zeit und ſchließt aus der Zeit, nach willkürlichen Vorausſetzungen, auf die Länge der zurückgelegten Strecke.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/211>, abgerufen am 28.11.2024.