sie aber in zwei Monaten verdient, verschwenden sie in einer Woche für geistige Getränke in den Schenken, deren leider von Tag zu Tage mehr werden.
In Turmero sahen wir ein Ueberbleibsel der Landmiliz beisammen. Man sah es den Leuten an, daß diese Thäler seit Jahrhunderten eines ununterbrochenen Friedens genossen hatten. Der Generalkapitän wollte das Militärwesen wieder in Schwung bringen und hatte große Uebungen angeordnet. Da hatte in einem Scheingefecht das Bataillon von Turmero auf das von Victoria Feuer gegeben. Unser Wirt, ein Miliz- lieutenant, wurde nicht müde, uns zu schildern, wie gefährlich ein solches Manöver sei. "Rings um ihn seien Gewehre ge- wesen, die jeden Augenblick zerspringen konnten; er habe vier Stunden in der Sonne stehen müssen, und seine Sklaven haben ihm nicht einmal einen Sonnenschirm über den Kopf halten dürfen." Wie rasch doch die scheinbar friedfertigsten Völker sich an den Krieg gewöhnen! Ich lächelte damals über eine Hasenfüßigkeit, die sich mit so naiver Offenherzigkeit kundgab, und zwölf Jahre darauf wurden diese selben Thäler von Aragua, die friedlichen Ebenen bei Victoria und Turmero, das Defile von Cabrera und die fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia der Schauplatz der blutigsten, hartnäckigsten Gefechte zwischen den Eingeborenen und den Truppen des Mutterlandes.
Südlich von Turmero springt ein Bergzug aus Kalkstein in die Ebene vor und trennt zwei schöne Zuckerpflanzungen, die Guayavita und die Paja. Letztere gehört der Familie des Grafen Tovar, der überall in der Provinz Besitzungen hat. Bei der Guayavita hat man braunes Eisenerz entdeckt. Nördlich von Turmero, in der Küstenkordillere, erhebt sich ein Granitgipfel, der Chuao, auf dem man zugleich das Meer und den See von Valencia sieht. Ueber diesen Fels- kamm, der, so weit das Auge reicht, nach West fortstreicht, ge- langt man auf ziemlich beschwerlichen Wegen zu den reichen Kakaopflanzungen auf dem Küstenstriche bei Choroni, Turiamo und Ocumare, Orten, wohlbekannt wegen der Fruchtbar- keit ihres Bodens und wegen ihrer Ungesundheit. Turmero, Maracay, Cura, Guacara, jeder Ort im Araguathal hat seinen Bergpfad, der zu einem der kleinen Häfen an der Küste führt.
Hinter dem Dorfe Turmero, Maracay zu, bemerkt man auf 4,5 km weit am Horizont einen Gegenstand, der wie ein
A. v. Humboldt, Reise. II. 13
ſie aber in zwei Monaten verdient, verſchwenden ſie in einer Woche für geiſtige Getränke in den Schenken, deren leider von Tag zu Tage mehr werden.
In Turmero ſahen wir ein Ueberbleibſel der Landmiliz beiſammen. Man ſah es den Leuten an, daß dieſe Thäler ſeit Jahrhunderten eines ununterbrochenen Friedens genoſſen hatten. Der Generalkapitän wollte das Militärweſen wieder in Schwung bringen und hatte große Uebungen angeordnet. Da hatte in einem Scheingefecht das Bataillon von Turmero auf das von Victoria Feuer gegeben. Unſer Wirt, ein Miliz- lieutenant, wurde nicht müde, uns zu ſchildern, wie gefährlich ein ſolches Manöver ſei. „Rings um ihn ſeien Gewehre ge- weſen, die jeden Augenblick zerſpringen konnten; er habe vier Stunden in der Sonne ſtehen müſſen, und ſeine Sklaven haben ihm nicht einmal einen Sonnenſchirm über den Kopf halten dürfen.“ Wie raſch doch die ſcheinbar friedfertigſten Völker ſich an den Krieg gewöhnen! Ich lächelte damals über eine Haſenfüßigkeit, die ſich mit ſo naiver Offenherzigkeit kundgab, und zwölf Jahre darauf wurden dieſe ſelben Thäler von Aragua, die friedlichen Ebenen bei Victoria und Turmero, das Defilé von Cabrera und die fruchtbaren Ufer des Sees von Valencia der Schauplatz der blutigſten, hartnäckigſten Gefechte zwiſchen den Eingeborenen und den Truppen des Mutterlandes.
Südlich von Turmero ſpringt ein Bergzug aus Kalkſtein in die Ebene vor und trennt zwei ſchöne Zuckerpflanzungen, die Guayavita und die Paja. Letztere gehört der Familie des Grafen Tovar, der überall in der Provinz Beſitzungen hat. Bei der Guayavita hat man braunes Eiſenerz entdeckt. Nördlich von Turmero, in der Küſtenkordillere, erhebt ſich ein Granitgipfel, der Chuao, auf dem man zugleich das Meer und den See von Valencia ſieht. Ueber dieſen Fels- kamm, der, ſo weit das Auge reicht, nach Weſt fortſtreicht, ge- langt man auf ziemlich beſchwerlichen Wegen zu den reichen Kakaopflanzungen auf dem Küſtenſtriche bei Choroni, Turiamo und Ocumare, Orten, wohlbekannt wegen der Fruchtbar- keit ihres Bodens und wegen ihrer Ungeſundheit. Turmero, Maracay, Cura, Guacara, jeder Ort im Araguathal hat ſeinen Bergpfad, der zu einem der kleinen Häfen an der Küſte führt.
Hinter dem Dorfe Turmero, Maracay zu, bemerkt man auf 4,5 km weit am Horizont einen Gegenſtand, der wie ein
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 13
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0201"n="193"/>ſie aber in zwei Monaten verdient, verſchwenden ſie in einer<lb/>
Woche für geiſtige Getränke in den Schenken, deren leider<lb/>
von Tag zu Tage mehr werden.</p><lb/><p>In Turmero ſahen wir ein Ueberbleibſel der Landmiliz<lb/>
beiſammen. Man ſah es den Leuten an, daß dieſe Thäler<lb/>ſeit Jahrhunderten eines ununterbrochenen Friedens genoſſen<lb/>
hatten. Der Generalkapitän wollte das Militärweſen wieder<lb/>
in Schwung bringen und hatte große Uebungen angeordnet.<lb/>
Da hatte in einem Scheingefecht das Bataillon von Turmero<lb/>
auf das von Victoria Feuer gegeben. Unſer Wirt, ein Miliz-<lb/>
lieutenant, wurde nicht müde, uns zu ſchildern, wie gefährlich<lb/>
ein ſolches Manöver ſei. „Rings um ihn ſeien Gewehre ge-<lb/>
weſen, die jeden Augenblick zerſpringen konnten; er habe vier<lb/>
Stunden in der Sonne ſtehen müſſen, und ſeine Sklaven haben<lb/>
ihm nicht einmal einen Sonnenſchirm über den Kopf halten<lb/>
dürfen.“ Wie raſch doch die ſcheinbar friedfertigſten Völker<lb/>ſich an den Krieg gewöhnen! Ich lächelte damals über eine<lb/>
Haſenfüßigkeit, die ſich mit ſo naiver Offenherzigkeit kundgab,<lb/>
und zwölf Jahre darauf wurden dieſe ſelben Thäler von<lb/>
Aragua, die friedlichen Ebenen bei Victoria und Turmero,<lb/>
das Defil<hirendition="#aq">é</hi> von Cabrera und die fruchtbaren Ufer des Sees<lb/>
von Valencia der Schauplatz der blutigſten, hartnäckigſten<lb/>
Gefechte zwiſchen den Eingeborenen und den Truppen des<lb/>
Mutterlandes.</p><lb/><p>Südlich von Turmero ſpringt ein Bergzug aus Kalkſtein<lb/>
in die Ebene vor und trennt zwei ſchöne Zuckerpflanzungen,<lb/>
die Guayavita und die Paja. Letztere gehört der Familie<lb/>
des Grafen Tovar, der überall in der Provinz Beſitzungen<lb/>
hat. Bei der Guayavita hat man braunes Eiſenerz entdeckt.<lb/>
Nördlich von Turmero, in der Küſtenkordillere, erhebt ſich<lb/>
ein Granitgipfel, der <hirendition="#g">Chuao</hi>, auf dem man zugleich das<lb/>
Meer und den See von Valencia ſieht. Ueber dieſen Fels-<lb/>
kamm, der, ſo weit das Auge reicht, nach Weſt fortſtreicht, ge-<lb/>
langt man auf ziemlich beſchwerlichen Wegen zu den reichen<lb/>
Kakaopflanzungen auf dem Küſtenſtriche bei Choroni, Turiamo<lb/>
und Ocumare, Orten, wohlbekannt wegen der Fruchtbar-<lb/>
keit ihres Bodens und wegen ihrer Ungeſundheit. Turmero,<lb/>
Maracay, Cura, Guacara, jeder Ort im Araguathal hat<lb/>ſeinen Bergpfad, der zu einem der kleinen Häfen an der<lb/>
Küſte führt.</p><lb/><p>Hinter dem Dorfe Turmero, Maracay zu, bemerkt man<lb/>
auf 4,5 <hirendition="#aq">km</hi> weit am Horizont einen Gegenſtand, der wie ein<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A. v. <hirendition="#g">Humboldt</hi>, Reiſe. <hirendition="#aq">II.</hi> 13</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[193/0201]
ſie aber in zwei Monaten verdient, verſchwenden ſie in einer
Woche für geiſtige Getränke in den Schenken, deren leider
von Tag zu Tage mehr werden.
In Turmero ſahen wir ein Ueberbleibſel der Landmiliz
beiſammen. Man ſah es den Leuten an, daß dieſe Thäler
ſeit Jahrhunderten eines ununterbrochenen Friedens genoſſen
hatten. Der Generalkapitän wollte das Militärweſen wieder
in Schwung bringen und hatte große Uebungen angeordnet.
Da hatte in einem Scheingefecht das Bataillon von Turmero
auf das von Victoria Feuer gegeben. Unſer Wirt, ein Miliz-
lieutenant, wurde nicht müde, uns zu ſchildern, wie gefährlich
ein ſolches Manöver ſei. „Rings um ihn ſeien Gewehre ge-
weſen, die jeden Augenblick zerſpringen konnten; er habe vier
Stunden in der Sonne ſtehen müſſen, und ſeine Sklaven haben
ihm nicht einmal einen Sonnenſchirm über den Kopf halten
dürfen.“ Wie raſch doch die ſcheinbar friedfertigſten Völker
ſich an den Krieg gewöhnen! Ich lächelte damals über eine
Haſenfüßigkeit, die ſich mit ſo naiver Offenherzigkeit kundgab,
und zwölf Jahre darauf wurden dieſe ſelben Thäler von
Aragua, die friedlichen Ebenen bei Victoria und Turmero,
das Defilé von Cabrera und die fruchtbaren Ufer des Sees
von Valencia der Schauplatz der blutigſten, hartnäckigſten
Gefechte zwiſchen den Eingeborenen und den Truppen des
Mutterlandes.
Südlich von Turmero ſpringt ein Bergzug aus Kalkſtein
in die Ebene vor und trennt zwei ſchöne Zuckerpflanzungen,
die Guayavita und die Paja. Letztere gehört der Familie
des Grafen Tovar, der überall in der Provinz Beſitzungen
hat. Bei der Guayavita hat man braunes Eiſenerz entdeckt.
Nördlich von Turmero, in der Küſtenkordillere, erhebt ſich
ein Granitgipfel, der Chuao, auf dem man zugleich das
Meer und den See von Valencia ſieht. Ueber dieſen Fels-
kamm, der, ſo weit das Auge reicht, nach Weſt fortſtreicht, ge-
langt man auf ziemlich beſchwerlichen Wegen zu den reichen
Kakaopflanzungen auf dem Küſtenſtriche bei Choroni, Turiamo
und Ocumare, Orten, wohlbekannt wegen der Fruchtbar-
keit ihres Bodens und wegen ihrer Ungeſundheit. Turmero,
Maracay, Cura, Guacara, jeder Ort im Araguathal hat
ſeinen Bergpfad, der zu einem der kleinen Häfen an der
Küſte führt.
Hinter dem Dorfe Turmero, Maracay zu, bemerkt man
auf 4,5 km weit am Horizont einen Gegenſtand, der wie ein
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 13
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/201>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.