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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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liegt das Zollhaus 76 m über dem Platze Trinidad, wo ich
meine astronomischen Beobachtungen gemacht habe, letzterer
15,6 m über dem Pflaster vor der Hauptkirche auf dem großen
Platze, und dieser 62 m über dem Guayreflusse bei La Noria.
Trotz des abschüssigen Bodens fahren Wagen in der Stadt,
man bedient sich ihrer aber selten. Drei Bäche, die vom
Gebirge herabkommen, der Anauco, Catuche und Caraguata,
laufen von Nord nach Süd durch die Stadt; sie haben sehr
hohe Ufer, und mit den ausgetrockneten Betten von Gebirgs-
wassern, welche darin auslaufen und das Terrain durchschnei-
den, erinnern sie im kleinen an die berühmten Guaicos in
Quito. Man trinkt in Caracas das Wasser des Rio Catuche,
aber die Wohlhabenden lassen das Wasser aus Valle, einem
4,5 km weit südwärts gelegenen Dorfe, kommen. Dieses
Wasser, sowie das aus dem Gamboa gelten für sehr gesund,
weil sie über Sassaparillwurzeln 1 laufen. Ich habe keine
Spur von Arom oder Extraktivstoff darin finden können; das
Wasser von Valle enthält keinen Kalk, aber etwas mehr
Kohlensäure als das Wasser aus dem Anauco. Die neue
Brücke über den letzteren Fluß ist schön gebaut und belebt
von den Spaziergängern, welche gegen Candelaria zu die
Straße von Chacao und Petara aufsuchen. Man zählt in
Caracas acht Kirchen, fünf Klöster und ein Theater, das 1500
bis 1800 Zuschauer faßt. Zu meiner Zeit war das Parterre,
in dem Männer und Frauen gesonderte Sitze haben, nicht
bedeckt. Man sah zugleich die Schauspieler und die Sterne.
Da das neblige Wetter mich um viele Trabantenbeobach-
tungen brachte, konnte ich von einer Loge im Theater aus
bemerken, ob Jupiter in der Nacht sichtbar sein werde. Die
Straßen von Caracas sind breit, gerade gezogen und schneiden
sich unter rechten Winkeln, wie in allen Städten, welche die
Spanier in Amerika gegründet. Die Häuser sind geräumig
und höher, als sie in einem Lande, das Erdbeben ausgesetzt
ist, sein sollten. Im Jahre 1800 waren die zwei Plätze
Alta Gracia und San Francisco sehr hübsch: ich sage im
Jahre 1800, denn die furchtbaren Erderschütterungen am
26. März 1812 haben fast die ganze Stadt zerstört. Sie

1 In ganz Amerika glaubt man, das Wasser nehme die Eigen-
schaften der Gewächse an, in deren Schatten es fließt. So rühmt
man an der Magelhaensschen Meerenge das Wasser, das mit den
Wurzeln der Winterana Canella in Berührung kommt.

liegt das Zollhaus 76 m über dem Platze Trinidad, wo ich
meine aſtronomiſchen Beobachtungen gemacht habe, letzterer
15,6 m über dem Pflaſter vor der Hauptkirche auf dem großen
Platze, und dieſer 62 m über dem Guayrefluſſe bei La Noria.
Trotz des abſchüſſigen Bodens fahren Wagen in der Stadt,
man bedient ſich ihrer aber ſelten. Drei Bäche, die vom
Gebirge herabkommen, der Anauco, Catuche und Caraguata,
laufen von Nord nach Süd durch die Stadt; ſie haben ſehr
hohe Ufer, und mit den ausgetrockneten Betten von Gebirgs-
waſſern, welche darin auslaufen und das Terrain durchſchnei-
den, erinnern ſie im kleinen an die berühmten Guaicos in
Quito. Man trinkt in Caracas das Waſſer des Rio Catuche,
aber die Wohlhabenden laſſen das Waſſer aus Valle, einem
4,5 km weit ſüdwärts gelegenen Dorfe, kommen. Dieſes
Waſſer, ſowie das aus dem Gamboa gelten für ſehr geſund,
weil ſie über Saſſaparillwurzeln 1 laufen. Ich habe keine
Spur von Arom oder Extraktivſtoff darin finden können; das
Waſſer von Valle enthält keinen Kalk, aber etwas mehr
Kohlenſäure als das Waſſer aus dem Anauco. Die neue
Brücke über den letzteren Fluß iſt ſchön gebaut und belebt
von den Spaziergängern, welche gegen Candelaria zu die
Straße von Chacao und Petara aufſuchen. Man zählt in
Caracas acht Kirchen, fünf Klöſter und ein Theater, das 1500
bis 1800 Zuſchauer faßt. Zu meiner Zeit war das Parterre,
in dem Männer und Frauen geſonderte Sitze haben, nicht
bedeckt. Man ſah zugleich die Schauſpieler und die Sterne.
Da das neblige Wetter mich um viele Trabantenbeobach-
tungen brachte, konnte ich von einer Loge im Theater aus
bemerken, ob Jupiter in der Nacht ſichtbar ſein werde. Die
Straßen von Caracas ſind breit, gerade gezogen und ſchneiden
ſich unter rechten Winkeln, wie in allen Städten, welche die
Spanier in Amerika gegründet. Die Häuſer ſind geräumig
und höher, als ſie in einem Lande, das Erdbeben ausgeſetzt
iſt, ſein ſollten. Im Jahre 1800 waren die zwei Plätze
Alta Gracia und San Francisco ſehr hübſch: ich ſage im
Jahre 1800, denn die furchtbaren Erderſchütterungen am
26. März 1812 haben faſt die ganze Stadt zerſtört. Sie

1 In ganz Amerika glaubt man, das Waſſer nehme die Eigen-
ſchaften der Gewächſe an, in deren Schatten es fließt. So rühmt
man an der Magelhaensſchen Meerenge das Waſſer, das mit den
Wurzeln der Winterana Canella in Berührung kommt.
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[109/0117] liegt das Zollhaus 76 m über dem Platze Trinidad, wo ich meine aſtronomiſchen Beobachtungen gemacht habe, letzterer 15,6 m über dem Pflaſter vor der Hauptkirche auf dem großen Platze, und dieſer 62 m über dem Guayrefluſſe bei La Noria. Trotz des abſchüſſigen Bodens fahren Wagen in der Stadt, man bedient ſich ihrer aber ſelten. Drei Bäche, die vom Gebirge herabkommen, der Anauco, Catuche und Caraguata, laufen von Nord nach Süd durch die Stadt; ſie haben ſehr hohe Ufer, und mit den ausgetrockneten Betten von Gebirgs- waſſern, welche darin auslaufen und das Terrain durchſchnei- den, erinnern ſie im kleinen an die berühmten Guaicos in Quito. Man trinkt in Caracas das Waſſer des Rio Catuche, aber die Wohlhabenden laſſen das Waſſer aus Valle, einem 4,5 km weit ſüdwärts gelegenen Dorfe, kommen. Dieſes Waſſer, ſowie das aus dem Gamboa gelten für ſehr geſund, weil ſie über Saſſaparillwurzeln 1 laufen. Ich habe keine Spur von Arom oder Extraktivſtoff darin finden können; das Waſſer von Valle enthält keinen Kalk, aber etwas mehr Kohlenſäure als das Waſſer aus dem Anauco. Die neue Brücke über den letzteren Fluß iſt ſchön gebaut und belebt von den Spaziergängern, welche gegen Candelaria zu die Straße von Chacao und Petara aufſuchen. Man zählt in Caracas acht Kirchen, fünf Klöſter und ein Theater, das 1500 bis 1800 Zuſchauer faßt. Zu meiner Zeit war das Parterre, in dem Männer und Frauen geſonderte Sitze haben, nicht bedeckt. Man ſah zugleich die Schauſpieler und die Sterne. Da das neblige Wetter mich um viele Trabantenbeobach- tungen brachte, konnte ich von einer Loge im Theater aus bemerken, ob Jupiter in der Nacht ſichtbar ſein werde. Die Straßen von Caracas ſind breit, gerade gezogen und ſchneiden ſich unter rechten Winkeln, wie in allen Städten, welche die Spanier in Amerika gegründet. Die Häuſer ſind geräumig und höher, als ſie in einem Lande, das Erdbeben ausgeſetzt iſt, ſein ſollten. Im Jahre 1800 waren die zwei Plätze Alta Gracia und San Francisco ſehr hübſch: ich ſage im Jahre 1800, denn die furchtbaren Erderſchütterungen am 26. März 1812 haben faſt die ganze Stadt zerſtört. Sie 1 In ganz Amerika glaubt man, das Waſſer nehme die Eigen- ſchaften der Gewächſe an, in deren Schatten es fließt. So rühmt man an der Magelhaensſchen Meerenge das Waſſer, das mit den Wurzeln der Winterana Canella in Berührung kommt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/117>, abgerufen am 03.05.2024.