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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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dünn bevölkertes Land unter dem Drucke der schlechtesten Re-
gierung zu erfreuen hat. Sie selbst machen keine Ansprüche
auf Amt und Würden, und so fragen sie nichts danach, wenn
Leute damit bekleidet werden, die sie kaum dem Namen nach
kennen und deren Arm nicht zu ihnen reicht. Immerhin wäre
ihnen eine nationale Regierung und volle Handelsfreiheit lieber
als das alte Kolonialwesen, aber diese Wünsche sind gegen-
über der Liebe zur Ruhe und der Gewöhnung an ein träges
Leben keineswegs so lebhaft, daß sie sich deshalb zu schweren,
langwierigen Opfern entschließen sollten.

Mit dieser nach vielfachem Verkehr mit allen Ständen
entworfenen Skizze der verschiedenen Färbung der politischen
Ansichten in den Kolonieen habe ich auch die Ursachen der
langen friedlichen Herrschaft des Mutterlandes über Amerika
angegeben. Wenn die Ruhe erhalten blieb, so war dies die
Folge der Gewohnheit des großen Einflusses einer gewissen
Zahl mächtiger Familien, vor allem des Gleichgewichtes, das
sich zwischen feindlichen Gewalten herstellt. Eine auf Ent-
zweiung gegründete Sicherheit muß erschüttert werden, sobald
eine bedeutende Menschenmasse ihren Privathaß eine Weile
ruhen läßt und im Gefühl eines gemeinsamen Interesses sich
verbündet, sobald dieses Gefühl, einmal erwacht, am Wider-
stand erstarkt und durch fortschreitende Geistesentwickelung und
die Umwandlung der Sitten der Einfluß der Gewohnheit und
der alten Vorstellungen sich mindert.

Wir haben oben gesehen, daß die indianische Bevölkerung
in den vereinigten Provinzen von Venezuela nicht stark und
nicht altcivilisiert ist; auch sind alle Städte derselben von den
spanischen Eroberern gegründet. Diese konnten hier nicht,
wie in Mexiko und Peru, in die Fußstapfen der alten Kultur
der Eingeborenen treten. An Caracas, Maracaybo, Cumana
und Coro ist nichts indianisch als die Namen. Von den
Hauptstädten des tropischen Amerika, 1 die im Gebirge liegen
und eines sehr gemäßigten Klimas genießen, ist Caracas die
am tiefsten gelegene. Da die Hauptmasse der Bevölkerung
von Venezuela den Küsten nahe gerückt ist und der kultivier-
teste Landstrich von Ost nach West denselben parallel läuft,
so ist Caracas kein Mittelpunkt des Handels, wie Mexiko,
Santa Fe de Bogata und Quito. Jede der sieben in eine

1 Mexiko, Santa Fe de Bogota und Quito.

dünn bevölkertes Land unter dem Drucke der ſchlechteſten Re-
gierung zu erfreuen hat. Sie ſelbſt machen keine Anſprüche
auf Amt und Würden, und ſo fragen ſie nichts danach, wenn
Leute damit bekleidet werden, die ſie kaum dem Namen nach
kennen und deren Arm nicht zu ihnen reicht. Immerhin wäre
ihnen eine nationale Regierung und volle Handelsfreiheit lieber
als das alte Kolonialweſen, aber dieſe Wünſche ſind gegen-
über der Liebe zur Ruhe und der Gewöhnung an ein träges
Leben keineswegs ſo lebhaft, daß ſie ſich deshalb zu ſchweren,
langwierigen Opfern entſchließen ſollten.

Mit dieſer nach vielfachem Verkehr mit allen Ständen
entworfenen Skizze der verſchiedenen Färbung der politiſchen
Anſichten in den Kolonieen habe ich auch die Urſachen der
langen friedlichen Herrſchaft des Mutterlandes über Amerika
angegeben. Wenn die Ruhe erhalten blieb, ſo war dies die
Folge der Gewohnheit des großen Einfluſſes einer gewiſſen
Zahl mächtiger Familien, vor allem des Gleichgewichtes, das
ſich zwiſchen feindlichen Gewalten herſtellt. Eine auf Ent-
zweiung gegründete Sicherheit muß erſchüttert werden, ſobald
eine bedeutende Menſchenmaſſe ihren Privathaß eine Weile
ruhen läßt und im Gefühl eines gemeinſamen Intereſſes ſich
verbündet, ſobald dieſes Gefühl, einmal erwacht, am Wider-
ſtand erſtarkt und durch fortſchreitende Geiſtesentwickelung und
die Umwandlung der Sitten der Einfluß der Gewohnheit und
der alten Vorſtellungen ſich mindert.

Wir haben oben geſehen, daß die indianiſche Bevölkerung
in den vereinigten Provinzen von Venezuela nicht ſtark und
nicht altciviliſiert iſt; auch ſind alle Städte derſelben von den
ſpaniſchen Eroberern gegründet. Dieſe konnten hier nicht,
wie in Mexiko und Peru, in die Fußſtapfen der alten Kultur
der Eingeborenen treten. An Caracas, Maracaybo, Cumana
und Coro iſt nichts indianiſch als die Namen. Von den
Hauptſtädten des tropiſchen Amerika, 1 die im Gebirge liegen
und eines ſehr gemäßigten Klimas genießen, iſt Caracas die
am tiefſten gelegene. Da die Hauptmaſſe der Bevölkerung
von Venezuela den Küſten nahe gerückt iſt und der kultivier-
teſte Landſtrich von Oſt nach Weſt denſelben parallel läuft,
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Santa Fé de Bogata und Quito. Jede der ſieben in eine

1 Mexiko, Santa Fé de Bogota und Quito.
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[105/0113] dünn bevölkertes Land unter dem Drucke der ſchlechteſten Re- gierung zu erfreuen hat. Sie ſelbſt machen keine Anſprüche auf Amt und Würden, und ſo fragen ſie nichts danach, wenn Leute damit bekleidet werden, die ſie kaum dem Namen nach kennen und deren Arm nicht zu ihnen reicht. Immerhin wäre ihnen eine nationale Regierung und volle Handelsfreiheit lieber als das alte Kolonialweſen, aber dieſe Wünſche ſind gegen- über der Liebe zur Ruhe und der Gewöhnung an ein träges Leben keineswegs ſo lebhaft, daß ſie ſich deshalb zu ſchweren, langwierigen Opfern entſchließen ſollten. Mit dieſer nach vielfachem Verkehr mit allen Ständen entworfenen Skizze der verſchiedenen Färbung der politiſchen Anſichten in den Kolonieen habe ich auch die Urſachen der langen friedlichen Herrſchaft des Mutterlandes über Amerika angegeben. Wenn die Ruhe erhalten blieb, ſo war dies die Folge der Gewohnheit des großen Einfluſſes einer gewiſſen Zahl mächtiger Familien, vor allem des Gleichgewichtes, das ſich zwiſchen feindlichen Gewalten herſtellt. Eine auf Ent- zweiung gegründete Sicherheit muß erſchüttert werden, ſobald eine bedeutende Menſchenmaſſe ihren Privathaß eine Weile ruhen läßt und im Gefühl eines gemeinſamen Intereſſes ſich verbündet, ſobald dieſes Gefühl, einmal erwacht, am Wider- ſtand erſtarkt und durch fortſchreitende Geiſtesentwickelung und die Umwandlung der Sitten der Einfluß der Gewohnheit und der alten Vorſtellungen ſich mindert. Wir haben oben geſehen, daß die indianiſche Bevölkerung in den vereinigten Provinzen von Venezuela nicht ſtark und nicht altciviliſiert iſt; auch ſind alle Städte derſelben von den ſpaniſchen Eroberern gegründet. Dieſe konnten hier nicht, wie in Mexiko und Peru, in die Fußſtapfen der alten Kultur der Eingeborenen treten. An Caracas, Maracaybo, Cumana und Coro iſt nichts indianiſch als die Namen. Von den Hauptſtädten des tropiſchen Amerika, 1 die im Gebirge liegen und eines ſehr gemäßigten Klimas genießen, iſt Caracas die am tiefſten gelegene. Da die Hauptmaſſe der Bevölkerung von Venezuela den Küſten nahe gerückt iſt und der kultivier- teſte Landſtrich von Oſt nach Weſt denſelben parallel läuft, ſo iſt Caracas kein Mittelpunkt des Handels, wie Mexiko, Santa Fé de Bogata und Quito. Jede der ſieben in eine 1 Mexiko, Santa Fé de Bogota und Quito.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/113>, abgerufen am 24.11.2024.