Schwarzen sein werde." Unser Jahrhundert sollte diese Pro- phezeiung in Erfüllung gehen und eine europäische Kolonie in Amerika sich in einen afrikanischen Staat verwandeln sehen.
Die 60000 Sklaven in den vereinigten Provinzen von Venezuela sind so ungleich verteilt, daß auf die Provinz Ca- racas allein 40000 kommen, worunter ein Fünfteil Mulatten, auf Maracaybo 10000 bis 12000, auf Cumana und Barcelona kaum 6000. Um den Einfluß zu würdigen, den die Neger und die Farbigen auf die öffentliche Ruhe im allgemeinen äußern, ist es nicht genug, daß man ihre Kopfzahl kennt, man muß auch ihre Zusammendrängung an gewissen Punkten und ihre Lebensweise als Ackerbauer oder Stadtbewohner in Betracht ziehen. In der Provinz Venezuela sind die Sklaven fast alle auf einem nicht sehr ausgedehnten Landstriche bei- sammen, innerhalb der Küste und einer Linie, die (54 km von der Küste) über Panaquire, Yare, Sabana de Ocumare, Villa de Cura und Nirgua läuft. Auf den Llanos, den weiten Ebenen von Calabozo, San Carlos, Guanare und Barqui- simeto zählt man nur 4000 bis 5000, die auf den Höfen zer- streut und mit der Hut des Viehes beschäftigt sind. Die Zahl der Freigelassenen ist sehr beträchtlich, denn die spanische Ge- setzgebung und die Sitten leisten der Freilassung Vorschub. Der Herr darf dem Sklaven, der ihm dreihundert Piaster bietet, die Freiheit nicht versagen, hätte der Sklave auch wegen des besonderen Geschickes im Handwerk, das er treibt, doppelt so viel gekostet. Die Fälle, daß jemand im letzten Willen mehr oder weniger Sklaven die Freiheit schenkt, sind in der Provinz Venezuela häufiger als irgendwo. Kurz bevor wir die fruchtbaren Thäler von Aragua und den See von Va- lencia besuchten, hatte eine Dame im großen Dorfe La Victoria auf dem Totenbette ihren Kindern aufgegeben, ihre Sklaven, dreißig an der Zahl, freizulassen. Mit Vergnügen spreche ich von Handlungen, die den Charakter von Menschen, die Bonpland und mir so viel Zuneigung und Wohlwollen be- wiesen, in so schönem Lichte zeigen.
Nach den Negern ist es in den Kolonieen von besonderem Belang, die Zahl der weißen Kreolen, die ich Hispano-Ameri- kaner 1 nenne, und der in Europa gebürtigen Weißen zu kennen.
1 Nach dem Vorgang von Anglo-Amerikaner, welcher Aus- druck in alle europäischen Sprachen übergegangen ist. In den
Schwarzen ſein werde.“ Unſer Jahrhundert ſollte dieſe Pro- phezeiung in Erfüllung gehen und eine europäiſche Kolonie in Amerika ſich in einen afrikaniſchen Staat verwandeln ſehen.
Die 60000 Sklaven in den vereinigten Provinzen von Venezuela ſind ſo ungleich verteilt, daß auf die Provinz Ca- racas allein 40000 kommen, worunter ein Fünfteil Mulatten, auf Maracaybo 10000 bis 12000, auf Cumana und Barcelona kaum 6000. Um den Einfluß zu würdigen, den die Neger und die Farbigen auf die öffentliche Ruhe im allgemeinen äußern, iſt es nicht genug, daß man ihre Kopfzahl kennt, man muß auch ihre Zuſammendrängung an gewiſſen Punkten und ihre Lebensweiſe als Ackerbauer oder Stadtbewohner in Betracht ziehen. In der Provinz Venezuela ſind die Sklaven faſt alle auf einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtriche bei- ſammen, innerhalb der Küſte und einer Linie, die (54 km von der Küſte) über Panaquire, Yare, Sabana de Ocumare, Villa de Cura und Nirgua läuft. Auf den Llanos, den weiten Ebenen von Calabozo, San Carlos, Guanare und Barqui- ſimeto zählt man nur 4000 bis 5000, die auf den Höfen zer- ſtreut und mit der Hut des Viehes beſchäftigt ſind. Die Zahl der Freigelaſſenen iſt ſehr beträchtlich, denn die ſpaniſche Ge- ſetzgebung und die Sitten leiſten der Freilaſſung Vorſchub. Der Herr darf dem Sklaven, der ihm dreihundert Piaſter bietet, die Freiheit nicht verſagen, hätte der Sklave auch wegen des beſonderen Geſchickes im Handwerk, das er treibt, doppelt ſo viel gekoſtet. Die Fälle, daß jemand im letzten Willen mehr oder weniger Sklaven die Freiheit ſchenkt, ſind in der Provinz Venezuela häufiger als irgendwo. Kurz bevor wir die fruchtbaren Thäler von Aragua und den See von Va- lencia beſuchten, hatte eine Dame im großen Dorfe La Victoria auf dem Totenbette ihren Kindern aufgegeben, ihre Sklaven, dreißig an der Zahl, freizulaſſen. Mit Vergnügen ſpreche ich von Handlungen, die den Charakter von Menſchen, die Bonpland und mir ſo viel Zuneigung und Wohlwollen be- wieſen, in ſo ſchönem Lichte zeigen.
Nach den Negern iſt es in den Kolonieen von beſonderem Belang, die Zahl der weißen Kreolen, die ich Hiſpano-Ameri- kaner 1 nenne, und der in Europa gebürtigen Weißen zu kennen.
1 Nach dem Vorgang von Anglo-Amerikaner, welcher Aus- druck in alle europäiſchen Sprachen übergegangen iſt. In den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0109"n="101"/>
Schwarzen ſein werde.“ Unſer Jahrhundert ſollte dieſe Pro-<lb/>
phezeiung in Erfüllung gehen und eine europäiſche Kolonie<lb/>
in Amerika ſich in einen afrikaniſchen Staat verwandeln<lb/>ſehen.</p><lb/><p>Die 60000 Sklaven in den vereinigten Provinzen von<lb/>
Venezuela ſind ſo ungleich verteilt, daß auf die Provinz Ca-<lb/>
racas allein 40000 kommen, worunter ein Fünfteil Mulatten,<lb/>
auf Maracaybo 10000 bis 12000, auf Cumana und Barcelona<lb/>
kaum 6000. Um den Einfluß zu würdigen, den die Neger<lb/>
und die Farbigen auf die öffentliche Ruhe im allgemeinen<lb/>
äußern, iſt es nicht genug, daß man ihre Kopfzahl kennt,<lb/>
man muß auch ihre Zuſammendrängung an gewiſſen Punkten<lb/>
und ihre Lebensweiſe als Ackerbauer oder Stadtbewohner in<lb/>
Betracht ziehen. In der Provinz Venezuela ſind die Sklaven<lb/>
faſt alle auf einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtriche bei-<lb/>ſammen, innerhalb der Küſte und einer Linie, die (54 <hirendition="#aq">km</hi><lb/>
von der Küſte) über Panaquire, Yare, Sabana de Ocumare,<lb/>
Villa de Cura und Nirgua läuft. Auf den Llanos, den weiten<lb/>
Ebenen von Calabozo, San Carlos, Guanare und Barqui-<lb/>ſimeto zählt man nur 4000 bis 5000, die auf den Höfen zer-<lb/>ſtreut und mit der Hut des Viehes beſchäftigt ſind. Die Zahl<lb/>
der Freigelaſſenen iſt ſehr beträchtlich, denn die ſpaniſche Ge-<lb/>ſetzgebung und die Sitten leiſten der Freilaſſung Vorſchub.<lb/>
Der Herr darf dem Sklaven, der ihm dreihundert Piaſter<lb/>
bietet, die Freiheit nicht verſagen, hätte der Sklave auch wegen<lb/>
des beſonderen Geſchickes im Handwerk, das er treibt, doppelt<lb/>ſo viel gekoſtet. Die Fälle, daß jemand im letzten Willen<lb/>
mehr oder weniger Sklaven die Freiheit ſchenkt, ſind in der<lb/>
Provinz Venezuela häufiger als irgendwo. Kurz bevor wir<lb/>
die fruchtbaren Thäler von Aragua und den See von Va-<lb/>
lencia beſuchten, hatte eine Dame im großen Dorfe La Victoria<lb/>
auf dem Totenbette ihren Kindern aufgegeben, ihre Sklaven,<lb/>
dreißig an der Zahl, freizulaſſen. Mit Vergnügen ſpreche<lb/>
ich von Handlungen, die den Charakter von Menſchen, die<lb/>
Bonpland und mir ſo viel Zuneigung und Wohlwollen be-<lb/>
wieſen, in ſo ſchönem Lichte zeigen.</p><lb/><p>Nach den Negern iſt es in den Kolonieen von beſonderem<lb/>
Belang, die Zahl der weißen Kreolen, die ich Hiſpano-Ameri-<lb/>
kaner <notexml:id="note-0109"next="#note-0110"place="foot"n="1">Nach dem Vorgang von <hirendition="#g">Anglo-Amerikaner</hi>, welcher Aus-<lb/>
druck in alle europäiſchen Sprachen übergegangen iſt. In den</note> nenne, und der in Europa gebürtigen Weißen zu kennen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[101/0109]
Schwarzen ſein werde.“ Unſer Jahrhundert ſollte dieſe Pro-
phezeiung in Erfüllung gehen und eine europäiſche Kolonie
in Amerika ſich in einen afrikaniſchen Staat verwandeln
ſehen.
Die 60000 Sklaven in den vereinigten Provinzen von
Venezuela ſind ſo ungleich verteilt, daß auf die Provinz Ca-
racas allein 40000 kommen, worunter ein Fünfteil Mulatten,
auf Maracaybo 10000 bis 12000, auf Cumana und Barcelona
kaum 6000. Um den Einfluß zu würdigen, den die Neger
und die Farbigen auf die öffentliche Ruhe im allgemeinen
äußern, iſt es nicht genug, daß man ihre Kopfzahl kennt,
man muß auch ihre Zuſammendrängung an gewiſſen Punkten
und ihre Lebensweiſe als Ackerbauer oder Stadtbewohner in
Betracht ziehen. In der Provinz Venezuela ſind die Sklaven
faſt alle auf einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtriche bei-
ſammen, innerhalb der Küſte und einer Linie, die (54 km
von der Küſte) über Panaquire, Yare, Sabana de Ocumare,
Villa de Cura und Nirgua läuft. Auf den Llanos, den weiten
Ebenen von Calabozo, San Carlos, Guanare und Barqui-
ſimeto zählt man nur 4000 bis 5000, die auf den Höfen zer-
ſtreut und mit der Hut des Viehes beſchäftigt ſind. Die Zahl
der Freigelaſſenen iſt ſehr beträchtlich, denn die ſpaniſche Ge-
ſetzgebung und die Sitten leiſten der Freilaſſung Vorſchub.
Der Herr darf dem Sklaven, der ihm dreihundert Piaſter
bietet, die Freiheit nicht verſagen, hätte der Sklave auch wegen
des beſonderen Geſchickes im Handwerk, das er treibt, doppelt
ſo viel gekoſtet. Die Fälle, daß jemand im letzten Willen
mehr oder weniger Sklaven die Freiheit ſchenkt, ſind in der
Provinz Venezuela häufiger als irgendwo. Kurz bevor wir
die fruchtbaren Thäler von Aragua und den See von Va-
lencia beſuchten, hatte eine Dame im großen Dorfe La Victoria
auf dem Totenbette ihren Kindern aufgegeben, ihre Sklaven,
dreißig an der Zahl, freizulaſſen. Mit Vergnügen ſpreche
ich von Handlungen, die den Charakter von Menſchen, die
Bonpland und mir ſo viel Zuneigung und Wohlwollen be-
wieſen, in ſo ſchönem Lichte zeigen.
Nach den Negern iſt es in den Kolonieen von beſonderem
Belang, die Zahl der weißen Kreolen, die ich Hiſpano-Ameri-
kaner 1 nenne, und der in Europa gebürtigen Weißen zu kennen.
1 Nach dem Vorgang von Anglo-Amerikaner, welcher Aus-
druck in alle europäiſchen Sprachen übergegangen iſt. In den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/109>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.