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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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zurückwirft, als die Baumblätter voneinander durch Schatten
getrennt sind, die einen größeren Umfang haben als die be-
leuchteten Teile.

Daraus geht hervor, daß der Pik von Tenerifa, abge-
sehen von Piton, zu den Bergen gehört, die man, wie
Bouguer sich ausdrückt, auf weite Entfernung nur negativ
sieht, weil sie das Licht auffangen, das von der äußersten
Grenze des Luftkreises zu uns gelangt, und wir ihr Dasein
nur gewahr werden, weil das Licht in der sie umgebenden
Luft und das, welches die Luftteilchen zwischen dem Berge
und dem Auge des Beobachters fortpflanzen, von verschiedener
Intensität sind. 1 Entfernt man sich von der Insel Tenerifa,
so bleibt der Piton oder Zuckerhut ziemlich lange positiv
sichtbar, weil er weißes Licht reflektiert und sich vom Himmel
hell abhebt; da aber dieser Kegel nur 156 m hoch und an der
Spitze 78 m breit ist, so hat man neuerdings die Frage auf-
geworfen, ob er bei so unbedeutender Masse auf weiter als
180 km sichtbar sein kann, und ob es nicht wahrscheinlicher
ist, daß man in See den Pik erst dann als ein Wölkchen
über dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Basis des
Piton heraufzurücken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite
des Zuckerhutes zu 200 m an, so findet man, daß der kleine
Kegel in 180 km Entfernung in horizontaler Richtung noch
unter einem Winkel von mehr als drei Minuten erscheint.
Dieser Winkel ist groß genug, um einen Gegenstand sichtbar
zu machen, und wenn der Piton beträchtlich höher wäre, als
an der Basis breit, so dürfte der Winkel in horizontaler
Richtung noch kleiner sein, und der Gegenstand machte doch
noch einen Eindruck auf unsere Organe; aus mikrometrischen
Beobachtungen geht hervor, daß eine Minute nur dann die
Grenze der Sichtbarkeit ist, wenn die Gegenstände nach allen
Richtungen von gleichem Durchmesser sind. Man erkennt in
einer weiten Ebene einzelne Baumstämme mit bloßem Auge,
obgleich der Sehwinkel nicht 25 Sekunden beträgt.

Da die Sichtbarkeit eines Gegenstandes, der sich dunkel-
farbig abhebt, von der Lichtmenge abhängt, die auf zwei Linien
zum Auge gelangt, deren eine am Berge endet, während die

1 Aus den Versuchen desselben Beobachters geht hervor, daß,
wenn dieser Unterschied für unsere Organe merkbar werden und der
Berg sich deutlich vom Himmel abheben soll, das eine Licht wenig-
stens um ein Sechzigteil stärker sein muß als das andere.

zurückwirft, als die Baumblätter voneinander durch Schatten
getrennt ſind, die einen größeren Umfang haben als die be-
leuchteten Teile.

Daraus geht hervor, daß der Pik von Tenerifa, abge-
ſehen von Piton, zu den Bergen gehört, die man, wie
Bouguer ſich ausdrückt, auf weite Entfernung nur negativ
ſieht, weil ſie das Licht auffangen, das von der äußerſten
Grenze des Luftkreiſes zu uns gelangt, und wir ihr Daſein
nur gewahr werden, weil das Licht in der ſie umgebenden
Luft und das, welches die Luftteilchen zwiſchen dem Berge
und dem Auge des Beobachters fortpflanzen, von verſchiedener
Intenſität ſind. 1 Entfernt man ſich von der Inſel Tenerifa,
ſo bleibt der Piton oder Zuckerhut ziemlich lange poſitiv
ſichtbar, weil er weißes Licht reflektiert und ſich vom Himmel
hell abhebt; da aber dieſer Kegel nur 156 m hoch und an der
Spitze 78 m breit iſt, ſo hat man neuerdings die Frage auf-
geworfen, ob er bei ſo unbedeutender Maſſe auf weiter als
180 km ſichtbar ſein kann, und ob es nicht wahrſcheinlicher
iſt, daß man in See den Pik erſt dann als ein Wölkchen
über dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Baſis des
Piton heraufzurücken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite
des Zuckerhutes zu 200 m an, ſo findet man, daß der kleine
Kegel in 180 km Entfernung in horizontaler Richtung noch
unter einem Winkel von mehr als drei Minuten erſcheint.
Dieſer Winkel iſt groß genug, um einen Gegenſtand ſichtbar
zu machen, und wenn der Piton beträchtlich höher wäre, als
an der Baſis breit, ſo dürfte der Winkel in horizontaler
Richtung noch kleiner ſein, und der Gegenſtand machte doch
noch einen Eindruck auf unſere Organe; aus mikrometriſchen
Beobachtungen geht hervor, daß eine Minute nur dann die
Grenze der Sichtbarkeit iſt, wenn die Gegenſtände nach allen
Richtungen von gleichem Durchmeſſer ſind. Man erkennt in
einer weiten Ebene einzelne Baumſtämme mit bloßem Auge,
obgleich der Sehwinkel nicht 25 Sekunden beträgt.

Da die Sichtbarkeit eines Gegenſtandes, der ſich dunkel-
farbig abhebt, von der Lichtmenge abhängt, die auf zwei Linien
zum Auge gelangt, deren eine am Berge endet, während die

1 Aus den Verſuchen desſelben Beobachters geht hervor, daß,
wenn dieſer Unterſchied für unſere Organe merkbar werden und der
Berg ſich deutlich vom Himmel abheben ſoll, das eine Licht wenig-
ſtens um ein Sechzigteil ſtärker ſein muß als das andere.
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[51/0067] zurückwirft, als die Baumblätter voneinander durch Schatten getrennt ſind, die einen größeren Umfang haben als die be- leuchteten Teile. Daraus geht hervor, daß der Pik von Tenerifa, abge- ſehen von Piton, zu den Bergen gehört, die man, wie Bouguer ſich ausdrückt, auf weite Entfernung nur negativ ſieht, weil ſie das Licht auffangen, das von der äußerſten Grenze des Luftkreiſes zu uns gelangt, und wir ihr Daſein nur gewahr werden, weil das Licht in der ſie umgebenden Luft und das, welches die Luftteilchen zwiſchen dem Berge und dem Auge des Beobachters fortpflanzen, von verſchiedener Intenſität ſind. 1 Entfernt man ſich von der Inſel Tenerifa, ſo bleibt der Piton oder Zuckerhut ziemlich lange poſitiv ſichtbar, weil er weißes Licht reflektiert und ſich vom Himmel hell abhebt; da aber dieſer Kegel nur 156 m hoch und an der Spitze 78 m breit iſt, ſo hat man neuerdings die Frage auf- geworfen, ob er bei ſo unbedeutender Maſſe auf weiter als 180 km ſichtbar ſein kann, und ob es nicht wahrſcheinlicher iſt, daß man in See den Pik erſt dann als ein Wölkchen über dem Horizont gewahr wird, wenn bereits die Baſis des Piton heraufzurücken beginnt. Nimmt man die mittlere Breite des Zuckerhutes zu 200 m an, ſo findet man, daß der kleine Kegel in 180 km Entfernung in horizontaler Richtung noch unter einem Winkel von mehr als drei Minuten erſcheint. Dieſer Winkel iſt groß genug, um einen Gegenſtand ſichtbar zu machen, und wenn der Piton beträchtlich höher wäre, als an der Baſis breit, ſo dürfte der Winkel in horizontaler Richtung noch kleiner ſein, und der Gegenſtand machte doch noch einen Eindruck auf unſere Organe; aus mikrometriſchen Beobachtungen geht hervor, daß eine Minute nur dann die Grenze der Sichtbarkeit iſt, wenn die Gegenſtände nach allen Richtungen von gleichem Durchmeſſer ſind. Man erkennt in einer weiten Ebene einzelne Baumſtämme mit bloßem Auge, obgleich der Sehwinkel nicht 25 Sekunden beträgt. Da die Sichtbarkeit eines Gegenſtandes, der ſich dunkel- farbig abhebt, von der Lichtmenge abhängt, die auf zwei Linien zum Auge gelangt, deren eine am Berge endet, während die 1 Aus den Verſuchen desſelben Beobachters geht hervor, daß, wenn dieſer Unterſchied für unſere Organe merkbar werden und der Berg ſich deutlich vom Himmel abheben ſoll, das eine Licht wenig- ſtens um ein Sechzigteil ſtärker ſein muß als das andere.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/67>, abgerufen am 26.04.2024.