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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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denn wie sollte man voraussetzen können, daß so viele Arten
von Ulvaceen und die Diktyoteen mit grünen Stengeln und
Blättern auf Gestein unmittelbar unter der Meeresfläche ge-
wachsen sind?

Nach den Angaben eines alten portugiesischen Wegweisers
meinte der Kapitän des Pizarro sich einem kleinen Fort nördlich
von Teguise, dem Hauptort von Lanzarote, gegenüber zu
befinden. Man hielt einen Basaltfelsen für ein Kastell, man
salutierte es durch Aufhissen der spanischen Flagge und warf
das Boot aus, um sich durch einen Offizier beim Komman-
danten des vermeintlichen Forts erkundigen zu lassen, ob die
Engländer in der Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns
nicht wenig, als wir vernahmen, daß das Land, das wir für
einen Teil der Küste von Lanzarote gehalten, die kleine Insel
Graciosa sei und daß es auf mehrere Kilometer in der Runde
keinen bewohnten Ort gebe.

Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das
den Schlußpunkt einer weiten Bai bildete. Ganz unbeschreiblich
ist das Gefühl des Naturforschers, der zum erstenmal einen
außereuropäischen Boden betritt. Die Aufmerksamkeit wird
von so vielen Gegenständen in Anspruch genommen, daß man
sich von seinen Empfindungen kaum Rechenschaft zu geben
vermag. Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Natur-
körper vor sich zu haben, und in der Aufregung erkennt man
häufig Dinge nicht wieder, die in unseren botanischen Gärten
und naturgeschichtlichen Sammlungen zu den gemeinsten ge-
hören. An 200 m vom Ufer sahen wir einen Mann mit
der Angelrute fischen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber
er ergriff die Flucht und versteckte sich hinter einem Felsen.
Die Matrosen hatten Mühe, seiner habhaft zu werden. Der
Anblick der Korvette, der Kanonendonner am einsamen, jedoch
zuweilen von Kapern besuchten Orte, das Landen des Bootes,
alles hatte dem armen Fischer Angst eingejagt. Wir erfuhren
von ihm, die kleine Insel Graciosa, an der wir gelandet, sei
von Lanzarote durch einen engen Kanal, el Rio genannt, ge-
trennt. Er erbot sich, uns in den Hafen los Colorados zu
führen, wo wir uns hinsichtlich der Blockade von Tenerifa
erkundigen könnten; da er aber zugleich versicherte, seit mehre-
ren Wochen kein Fahrzeug auf offener See gesehen zu haben,
so beschloß der Kapitän, geradezu nach Santa Cruz zu steuern.

Das kleine Stück der Insel Graciosa, das wir kennen
gelernt, gleicht den aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei

denn wie ſollte man vorausſetzen können, daß ſo viele Arten
von Ulvaceen und die Diktyoteen mit grünen Stengeln und
Blättern auf Geſtein unmittelbar unter der Meeresfläche ge-
wachſen ſind?

Nach den Angaben eines alten portugieſiſchen Wegweiſers
meinte der Kapitän des Pizarro ſich einem kleinen Fort nördlich
von Teguiſe, dem Hauptort von Lanzarote, gegenüber zu
befinden. Man hielt einen Baſaltfelſen für ein Kaſtell, man
ſalutierte es durch Aufhiſſen der ſpaniſchen Flagge und warf
das Boot aus, um ſich durch einen Offizier beim Komman-
danten des vermeintlichen Forts erkundigen zu laſſen, ob die
Engländer in der Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns
nicht wenig, als wir vernahmen, daß das Land, das wir für
einen Teil der Küſte von Lanzarote gehalten, die kleine Inſel
Gracioſa ſei und daß es auf mehrere Kilometer in der Runde
keinen bewohnten Ort gebe.

Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das
den Schlußpunkt einer weiten Bai bildete. Ganz unbeſchreiblich
iſt das Gefühl des Naturforſchers, der zum erſtenmal einen
außereuropäiſchen Boden betritt. Die Aufmerkſamkeit wird
von ſo vielen Gegenſtänden in Anſpruch genommen, daß man
ſich von ſeinen Empfindungen kaum Rechenſchaft zu geben
vermag. Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Natur-
körper vor ſich zu haben, und in der Aufregung erkennt man
häufig Dinge nicht wieder, die in unſeren botaniſchen Gärten
und naturgeſchichtlichen Sammlungen zu den gemeinſten ge-
hören. An 200 m vom Ufer ſahen wir einen Mann mit
der Angelrute fiſchen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber
er ergriff die Flucht und verſteckte ſich hinter einem Felſen.
Die Matroſen hatten Mühe, ſeiner habhaft zu werden. Der
Anblick der Korvette, der Kanonendonner am einſamen, jedoch
zuweilen von Kapern beſuchten Orte, das Landen des Bootes,
alles hatte dem armen Fiſcher Angſt eingejagt. Wir erfuhren
von ihm, die kleine Inſel Gracioſa, an der wir gelandet, ſei
von Lanzarote durch einen engen Kanal, el Rio genannt, ge-
trennt. Er erbot ſich, uns in den Hafen los Colorados zu
führen, wo wir uns hinſichtlich der Blockade von Tenerifa
erkundigen könnten; da er aber zugleich verſicherte, ſeit mehre-
ren Wochen kein Fahrzeug auf offener See geſehen zu haben,
ſo beſchloß der Kapitän, geradezu nach Santa Cruz zu ſteuern.

Das kleine Stück der Inſel Gracioſa, das wir kennen
gelernt, gleicht den aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei

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[45/0061] denn wie ſollte man vorausſetzen können, daß ſo viele Arten von Ulvaceen und die Diktyoteen mit grünen Stengeln und Blättern auf Geſtein unmittelbar unter der Meeresfläche ge- wachſen ſind? Nach den Angaben eines alten portugieſiſchen Wegweiſers meinte der Kapitän des Pizarro ſich einem kleinen Fort nördlich von Teguiſe, dem Hauptort von Lanzarote, gegenüber zu befinden. Man hielt einen Baſaltfelſen für ein Kaſtell, man ſalutierte es durch Aufhiſſen der ſpaniſchen Flagge und warf das Boot aus, um ſich durch einen Offizier beim Komman- danten des vermeintlichen Forts erkundigen zu laſſen, ob die Engländer in der Umgegend kreuzten. Wir wunderten uns nicht wenig, als wir vernahmen, daß das Land, das wir für einen Teil der Küſte von Lanzarote gehalten, die kleine Inſel Gracioſa ſei und daß es auf mehrere Kilometer in der Runde keinen bewohnten Ort gebe. Wir benutzten das Boot, um ans Land zu gehen, das den Schlußpunkt einer weiten Bai bildete. Ganz unbeſchreiblich iſt das Gefühl des Naturforſchers, der zum erſtenmal einen außereuropäiſchen Boden betritt. Die Aufmerkſamkeit wird von ſo vielen Gegenſtänden in Anſpruch genommen, daß man ſich von ſeinen Empfindungen kaum Rechenſchaft zu geben vermag. Bei jedem Schritt glaubt man einen neuen Natur- körper vor ſich zu haben, und in der Aufregung erkennt man häufig Dinge nicht wieder, die in unſeren botaniſchen Gärten und naturgeſchichtlichen Sammlungen zu den gemeinſten ge- hören. An 200 m vom Ufer ſahen wir einen Mann mit der Angelrute fiſchen. Man fuhr im Boot auf ihn zu, aber er ergriff die Flucht und verſteckte ſich hinter einem Felſen. Die Matroſen hatten Mühe, ſeiner habhaft zu werden. Der Anblick der Korvette, der Kanonendonner am einſamen, jedoch zuweilen von Kapern beſuchten Orte, das Landen des Bootes, alles hatte dem armen Fiſcher Angſt eingejagt. Wir erfuhren von ihm, die kleine Inſel Gracioſa, an der wir gelandet, ſei von Lanzarote durch einen engen Kanal, el Rio genannt, ge- trennt. Er erbot ſich, uns in den Hafen los Colorados zu führen, wo wir uns hinſichtlich der Blockade von Tenerifa erkundigen könnten; da er aber zugleich verſicherte, ſeit mehre- ren Wochen kein Fahrzeug auf offener See geſehen zu haben, ſo beſchloß der Kapitän, geradezu nach Santa Cruz zu ſteuern. Das kleine Stück der Inſel Gracioſa, das wir kennen gelernt, gleicht den aus Laven aufgebauten Vorgebirgen bei

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/61>, abgerufen am 28.03.2024.