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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Nähe sahen, hat ganz das Ansehen eines in neuester Zeit
von vulkanischem Feuer verwüsteten Landes. Alles ist schwarz,
dürr, von Dammerde entblößt. Wir erkannten mit dem Fern-
rohr Basalt in ziemlich dünnen, stark fallenden Schichten.
Mehrere Hügel gleichen dem Monte Nuovo bei Neapel, oder
den Schlacken- und Aschenhügeln, welche am Fuße des Vul-
kanes Jorullo in Mexiko in einer Nacht aus dem berstenden
Boden emporgestiegen sind. Nach Abbe Viera wurde auch
im Jahre 1730 mehr als die Hälfte der Insel völlig um-
gewandelt. Der "Große Vulkan", dessen wir oben erwähnt,
und der bei den Eingeborenen der Vulkan von Temanfaya
heißt, verheerte das fruchtbarste und bestangebaute Gebiet;
neun Dörfer wurden durch die Lavaströme völlig zerstört. Ein
heftiges Erdbeben war der Katastrophe vorangegangen, und
gleich starke Stöße wurden noch mehrere Jahre nachher ge-
spürt. Letztere Erscheinung ist um so auffallender, je seltener
sie nach einem Ausbruche ist, wenn einmal nach dem Ausfluß
der geschmolzenen Stoffe die elastischen Dämpfe durch den
Krater haben entweichen können. Der Gipfel des großen
Vulkanes ist ein runder, nicht genau kegelförmiger Hügel. Nach
den Höhenwinkeln, die ich in verschiedenen Abständen genom-
men, scheint seine absolute Höhe nicht viel über 580 m zu
betragen. Die benachbarten kleinen Berge und die der Inseln
Alegranza une Clara sind kaum 95 bis 134 m hoch. Man
wundert sich, daß Gipfel, die sich auf hoher See so imposant
darstellen, nicht höher sein sollen. Aber nichts ist so unsicher
als unser Urteil über die Größe der Winkel, unter denen uns
Gegenstände ganz nahe am Horizont erscheinen. Einer Täu-
schung derart ist es zuzuschreiben, wenn vor den Messungen
de Churrucas und Galeanos am Kap Pilar die Berge an der
Magelhaensschen Meerenge und des Feuerlandes bei den See-
fahrern für ungemein hoch galten.

Die Insel Lanzarote hieß früher Titeroigotra. Bei
der Ankunft der Spanier zeichneten sich die Bewohner vor
den anderen Kanariern durch Merkmale höherer Kultur aus.
Sie hatten Häuser aus behauenen Steinen, während die
Guanchen auf Tenerifa, als wahre Troglodyten, in Höhlen
wohnten. Auf Lanzarote herrschte zu jener Zeit ein seltsamer
Gebrauch, der nur noch bei den Tibetanern vorkommt. 1 Eine

1 In Tibet ist übrigens die Vielmännerei nicht so häufig, als
man glaubt, und von der Priesterschaft mißbilligt.

Nähe ſahen, hat ganz das Anſehen eines in neueſter Zeit
von vulkaniſchem Feuer verwüſteten Landes. Alles iſt ſchwarz,
dürr, von Dammerde entblößt. Wir erkannten mit dem Fern-
rohr Baſalt in ziemlich dünnen, ſtark fallenden Schichten.
Mehrere Hügel gleichen dem Monte Nuovo bei Neapel, oder
den Schlacken- und Aſchenhügeln, welche am Fuße des Vul-
kanes Jorullo in Mexiko in einer Nacht aus dem berſtenden
Boden emporgeſtiegen ſind. Nach Abbé Viera wurde auch
im Jahre 1730 mehr als die Hälfte der Inſel völlig um-
gewandelt. Der „Große Vulkan“, deſſen wir oben erwähnt,
und der bei den Eingeborenen der Vulkan von Temanfaya
heißt, verheerte das fruchtbarſte und beſtangebaute Gebiet;
neun Dörfer wurden durch die Lavaſtröme völlig zerſtört. Ein
heftiges Erdbeben war der Kataſtrophe vorangegangen, und
gleich ſtarke Stöße wurden noch mehrere Jahre nachher ge-
ſpürt. Letztere Erſcheinung iſt um ſo auffallender, je ſeltener
ſie nach einem Ausbruche iſt, wenn einmal nach dem Ausfluß
der geſchmolzenen Stoffe die elaſtiſchen Dämpfe durch den
Krater haben entweichen können. Der Gipfel des großen
Vulkanes iſt ein runder, nicht genau kegelförmiger Hügel. Nach
den Höhenwinkeln, die ich in verſchiedenen Abſtänden genom-
men, ſcheint ſeine abſolute Höhe nicht viel über 580 m zu
betragen. Die benachbarten kleinen Berge und die der Inſeln
Alegranza une Clara ſind kaum 95 bis 134 m hoch. Man
wundert ſich, daß Gipfel, die ſich auf hoher See ſo impoſant
darſtellen, nicht höher ſein ſollen. Aber nichts iſt ſo unſicher
als unſer Urteil über die Größe der Winkel, unter denen uns
Gegenſtände ganz nahe am Horizont erſcheinen. Einer Täu-
ſchung derart iſt es zuzuſchreiben, wenn vor den Meſſungen
de Churrucas und Galeanos am Kap Pilar die Berge an der
Magelhaensſchen Meerenge und des Feuerlandes bei den See-
fahrern für ungemein hoch galten.

Die Inſel Lanzarote hieß früher Titeroigotra. Bei
der Ankunft der Spanier zeichneten ſich die Bewohner vor
den anderen Kanariern durch Merkmale höherer Kultur aus.
Sie hatten Häuſer aus behauenen Steinen, während die
Guanchen auf Tenerifa, als wahre Troglodyten, in Höhlen
wohnten. Auf Lanzarote herrſchte zu jener Zeit ein ſeltſamer
Gebrauch, der nur noch bei den Tibetanern vorkommt. 1 Eine

1 In Tibet iſt übrigens die Vielmännerei nicht ſo häufig, als
man glaubt, und von der Prieſterſchaft mißbilligt.
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[42/0058] Nähe ſahen, hat ganz das Anſehen eines in neueſter Zeit von vulkaniſchem Feuer verwüſteten Landes. Alles iſt ſchwarz, dürr, von Dammerde entblößt. Wir erkannten mit dem Fern- rohr Baſalt in ziemlich dünnen, ſtark fallenden Schichten. Mehrere Hügel gleichen dem Monte Nuovo bei Neapel, oder den Schlacken- und Aſchenhügeln, welche am Fuße des Vul- kanes Jorullo in Mexiko in einer Nacht aus dem berſtenden Boden emporgeſtiegen ſind. Nach Abbé Viera wurde auch im Jahre 1730 mehr als die Hälfte der Inſel völlig um- gewandelt. Der „Große Vulkan“, deſſen wir oben erwähnt, und der bei den Eingeborenen der Vulkan von Temanfaya heißt, verheerte das fruchtbarſte und beſtangebaute Gebiet; neun Dörfer wurden durch die Lavaſtröme völlig zerſtört. Ein heftiges Erdbeben war der Kataſtrophe vorangegangen, und gleich ſtarke Stöße wurden noch mehrere Jahre nachher ge- ſpürt. Letztere Erſcheinung iſt um ſo auffallender, je ſeltener ſie nach einem Ausbruche iſt, wenn einmal nach dem Ausfluß der geſchmolzenen Stoffe die elaſtiſchen Dämpfe durch den Krater haben entweichen können. Der Gipfel des großen Vulkanes iſt ein runder, nicht genau kegelförmiger Hügel. Nach den Höhenwinkeln, die ich in verſchiedenen Abſtänden genom- men, ſcheint ſeine abſolute Höhe nicht viel über 580 m zu betragen. Die benachbarten kleinen Berge und die der Inſeln Alegranza une Clara ſind kaum 95 bis 134 m hoch. Man wundert ſich, daß Gipfel, die ſich auf hoher See ſo impoſant darſtellen, nicht höher ſein ſollen. Aber nichts iſt ſo unſicher als unſer Urteil über die Größe der Winkel, unter denen uns Gegenſtände ganz nahe am Horizont erſcheinen. Einer Täu- ſchung derart iſt es zuzuſchreiben, wenn vor den Meſſungen de Churrucas und Galeanos am Kap Pilar die Berge an der Magelhaensſchen Meerenge und des Feuerlandes bei den See- fahrern für ungemein hoch galten. Die Inſel Lanzarote hieß früher Titeroigotra. Bei der Ankunft der Spanier zeichneten ſich die Bewohner vor den anderen Kanariern durch Merkmale höherer Kultur aus. Sie hatten Häuſer aus behauenen Steinen, während die Guanchen auf Tenerifa, als wahre Troglodyten, in Höhlen wohnten. Auf Lanzarote herrſchte zu jener Zeit ein ſeltſamer Gebrauch, der nur noch bei den Tibetanern vorkommt. 1 Eine 1 In Tibet iſt übrigens die Vielmännerei nicht ſo häufig, als man glaubt, und von der Prieſterſchaft mißbilligt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/58>, abgerufen am 18.04.2024.