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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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390 m hoch; wo ich ihn untersuchen konnte, besteht er aus
dem Kalkstein des Uferstriches. Mergel- und Kalkschichten
wechseln mit anderen, welche Quarzkörner enthalten. Wer
die Reliefbildung des Landes zu seinem besonderen Studium
macht, muß es auffallend finden, daß ein quergelegter Gebirgs-
kamm unter rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine,
südliche, aus sekundären Gebirgsbildungen besteht, während die
andere, nördliche, Urgebirge ist. Auf dem Gipfel des Cerro
de Meapire sieht man das Gebirge einerseits nach dem Meer-
busen von Paria, andererseits nach dem von Cariaco sich abdachen.
Ostwärts und westwärts vom Kamme liegt ein niedriger,
sumpfiger Boden, der ohne Unterbrechung fortstreicht, und
nimmt man an, daß die beiden Meerbusen dadurch entstanden
sind, daß der Boden durch Erdbeben zerrissen worden ist und sich
gesenkt hat, so muß man voraussetzen, daß der Cerro de
Meapire diesen gewaltsamen Erschütterungen widerstanden hat,
so daß der Meerbusen von Paria und der von Cariaco nicht
zu einem verschmelzen konnten. Wäre dieser Felsdamm nicht
da, so bestünde wahrscheinlich auch die Landenge nicht. Vom
Schlosse Araya bis zum Kap Paria würde die ganze Gebirgs-
masse an der Küste eine schmale, Margarita parallel laufende,
viermal längere Insel bilden. Diese Ansichten gründen sich
nicht nur auf unmittelbare Untersuchung des Bodens und die
Schlüsse aus der Reliefbildung desselben; schon ein Blick auf
die Umrisse der Küsten und die geognostische Karte des Landes
muß auf dieselben Gedanken bringen. Die Insel Margarita
hat, wie es scheint, früher mit der Küstenkette von Araya
durch die Halbinsel Chacopata und die Karibischen Inseln
Lobo und Coche zusammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit
den Gebirgen des Cocollar und von Caripe durch den Gebirgs-
kamm Meapire zusammenhängt.

Im gegenwärtigen Zustande der Dinge sieht man die
feuchten Ebenen, die ost- und westwärts vom Kamme streichen
und uneigentlich die Thäler von San Bonifacio und Cariaco
heißen, sich fortwährend in das Meer hinaus verlängern.
Das Meer zieht sich zurück, und diese Verrückung der Küste ist
besonders bei Cumana auffallend. Wenn die Höhenverhältnisse
des Bodens darauf hinweisen, daß die Meerbusen von Cariaco
und Paria früher einen weit größeren Umfang hatten, so
läßt sich auch nicht in Zweifel ziehen, daß gegenwärtig das
Land sich allmählich vergrößert. Bei Cumana wurde im Jahre
1791 eine Batterie, die sogenannte Boca, dicht am Meere

390 m hoch; wo ich ihn unterſuchen konnte, beſteht er aus
dem Kalkſtein des Uferſtriches. Mergel- und Kalkſchichten
wechſeln mit anderen, welche Quarzkörner enthalten. Wer
die Reliefbildung des Landes zu ſeinem beſonderen Studium
macht, muß es auffallend finden, daß ein quergelegter Gebirgs-
kamm unter rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine,
ſüdliche, aus ſekundären Gebirgsbildungen beſteht, während die
andere, nördliche, Urgebirge iſt. Auf dem Gipfel des Cerro
de Meapire ſieht man das Gebirge einerſeits nach dem Meer-
buſen von Paria, andererſeits nach dem von Cariaco ſich abdachen.
Oſtwärts und weſtwärts vom Kamme liegt ein niedriger,
ſumpfiger Boden, der ohne Unterbrechung fortſtreicht, und
nimmt man an, daß die beiden Meerbuſen dadurch entſtanden
ſind, daß der Boden durch Erdbeben zerriſſen worden iſt und ſich
geſenkt hat, ſo muß man vorausſetzen, daß der Cerro de
Meapire dieſen gewaltſamen Erſchütterungen widerſtanden hat,
ſo daß der Meerbuſen von Paria und der von Cariaco nicht
zu einem verſchmelzen konnten. Wäre dieſer Felsdamm nicht
da, ſo beſtünde wahrſcheinlich auch die Landenge nicht. Vom
Schloſſe Araya bis zum Kap Paria würde die ganze Gebirgs-
maſſe an der Küſte eine ſchmale, Margarita parallel laufende,
viermal längere Inſel bilden. Dieſe Anſichten gründen ſich
nicht nur auf unmittelbare Unterſuchung des Bodens und die
Schlüſſe aus der Reliefbildung desſelben; ſchon ein Blick auf
die Umriſſe der Küſten und die geognoſtiſche Karte des Landes
muß auf dieſelben Gedanken bringen. Die Inſel Margarita
hat, wie es ſcheint, früher mit der Küſtenkette von Araya
durch die Halbinſel Chacopata und die Karibiſchen Inſeln
Lobo und Coche zuſammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit
den Gebirgen des Cocollar und von Caripe durch den Gebirgs-
kamm Meapire zuſammenhängt.

Im gegenwärtigen Zuſtande der Dinge ſieht man die
feuchten Ebenen, die oſt- und weſtwärts vom Kamme ſtreichen
und uneigentlich die Thäler von San Bonifacio und Cariaco
heißen, ſich fortwährend in das Meer hinaus verlängern.
Das Meer zieht ſich zurück, und dieſe Verrückung der Küſte iſt
beſonders bei Cumana auffallend. Wenn die Höhenverhältniſſe
des Bodens darauf hinweiſen, daß die Meerbuſen von Cariaco
und Paria früher einen weit größeren Umfang hatten, ſo
läßt ſich auch nicht in Zweifel ziehen, daß gegenwärtig das
Land ſich allmählich vergrößert. Bei Cumana wurde im Jahre
1791 eine Batterie, die ſogenannte Boca, dicht am Meere

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[288/0304] 390 m hoch; wo ich ihn unterſuchen konnte, beſteht er aus dem Kalkſtein des Uferſtriches. Mergel- und Kalkſchichten wechſeln mit anderen, welche Quarzkörner enthalten. Wer die Reliefbildung des Landes zu ſeinem beſonderen Studium macht, muß es auffallend finden, daß ein quergelegter Gebirgs- kamm unter rechtem Winkel zwei Ketten verbindet, deren eine, ſüdliche, aus ſekundären Gebirgsbildungen beſteht, während die andere, nördliche, Urgebirge iſt. Auf dem Gipfel des Cerro de Meapire ſieht man das Gebirge einerſeits nach dem Meer- buſen von Paria, andererſeits nach dem von Cariaco ſich abdachen. Oſtwärts und weſtwärts vom Kamme liegt ein niedriger, ſumpfiger Boden, der ohne Unterbrechung fortſtreicht, und nimmt man an, daß die beiden Meerbuſen dadurch entſtanden ſind, daß der Boden durch Erdbeben zerriſſen worden iſt und ſich geſenkt hat, ſo muß man vorausſetzen, daß der Cerro de Meapire dieſen gewaltſamen Erſchütterungen widerſtanden hat, ſo daß der Meerbuſen von Paria und der von Cariaco nicht zu einem verſchmelzen konnten. Wäre dieſer Felsdamm nicht da, ſo beſtünde wahrſcheinlich auch die Landenge nicht. Vom Schloſſe Araya bis zum Kap Paria würde die ganze Gebirgs- maſſe an der Küſte eine ſchmale, Margarita parallel laufende, viermal längere Inſel bilden. Dieſe Anſichten gründen ſich nicht nur auf unmittelbare Unterſuchung des Bodens und die Schlüſſe aus der Reliefbildung desſelben; ſchon ein Blick auf die Umriſſe der Küſten und die geognoſtiſche Karte des Landes muß auf dieſelben Gedanken bringen. Die Inſel Margarita hat, wie es ſcheint, früher mit der Küſtenkette von Araya durch die Halbinſel Chacopata und die Karibiſchen Inſeln Lobo und Coche zuſammengehangen, wie die Kette noch jetzt mit den Gebirgen des Cocollar und von Caripe durch den Gebirgs- kamm Meapire zuſammenhängt. Im gegenwärtigen Zuſtande der Dinge ſieht man die feuchten Ebenen, die oſt- und weſtwärts vom Kamme ſtreichen und uneigentlich die Thäler von San Bonifacio und Cariaco heißen, ſich fortwährend in das Meer hinaus verlängern. Das Meer zieht ſich zurück, und dieſe Verrückung der Küſte iſt beſonders bei Cumana auffallend. Wenn die Höhenverhältniſſe des Bodens darauf hinweiſen, daß die Meerbuſen von Cariaco und Paria früher einen weit größeren Umfang hatten, ſo läßt ſich auch nicht in Zweifel ziehen, daß gegenwärtig das Land ſich allmählich vergrößert. Bei Cumana wurde im Jahre 1791 eine Batterie, die ſogenannte Boca, dicht am Meere

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/304>, abgerufen am 26.04.2024.