Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be- schrieben, weil es mir wichtig schien, eine Gegend kennen zu lernen, die seit Jahrhunderten der Herd der furchtbarsten Erdbeben war. Ehe wir von diesen außerordentlichen Er- scheinungen sprechen, erscheint es als zweckmäßig, die ver- schiedenen Züge des von mir entworfenen Naturbildes zu- sammenzufassen.
Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird von einem Schlosse beherrscht. Kein Glockenturm, keine Kuppel fällt von weitem dem Reisenden ins Auge, nur einige Tama- rinden-, Kokosnuß- und Dattelstämme erheben sich über die Häuser mit platten Dächern. Die Ebene ringsum, besonders dem Meere zu, ist trübselig, staubig und dürr, wogegen ein frischer, kräftiger Pflanzenwuchs von weitem den geschlängelten Lauf des Flusses bezeichnet, der die Stadt von den Vorstädten, die Bevölkerung von europäischer und gemischter Abkunft von den kupferfarbigen Eingeborenen trennt. Der freistehende, kahle, weiße Schloßberg San Antonio wirft zugleich eine große Masse Licht und strahlender Wärme zurück; er besteht aus Breccien, deren Schichten versteinerte Seetiere einschließen. In weiter Ferne gegen Süden streicht dunkel ein mächtiger Gebirgszug hin. Dies sind die hohen Kalkalpen von Neu- andalusien, wo dem Kalk Sandsteine und andere neuere Bil- dungen aufgelagert sind. Majestätische Wälder bedecken diese Kordillere im inneren Lande und hängen durch ein bewaldetes Thal mit dem nackten, thonigen und salzhaltigen Boden zusammen, auf dem Cumana liegt. Einige Vögel von bedeu- tender Größe tragen zur eigentümlichen Physiognomie des Landes bei. Am Gestade und am Meerbusen sieht man Scharen von Fischreihern und Alcatras, sehr plumpen Vögeln, die gleich den Schwänen mit gehobenen Flügeln über das Wasser gleiten. Näher bei den Wohnstätten der Menschen sind Tausende von Galinazogeiern, wahre Schakale unter dem Gefieder, rastlos beschäftigt, tote Tiere zu suchen. Ein Meer- busen, auf dessen Grunde heiße Quellen vorkommen, trennt die sekundären Gebirgsbildungen vom primitiven Schiefer- gebirge der Halbinsel Araya. Beide Küsten werden von einem ruhigen, blauen, beständig vom selben Winde leicht bewegten Meere bespült. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur bei Sonnenuntergang leichtes Gewölk aufzieht, ruht auf der See, auf der baumlosen Halbinsel und der Ebene von Cumana, während man zwischen den Berggipfeln im Inneren Gewitter
Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be- ſchrieben, weil es mir wichtig ſchien, eine Gegend kennen zu lernen, die ſeit Jahrhunderten der Herd der furchtbarſten Erdbeben war. Ehe wir von dieſen außerordentlichen Er- ſcheinungen ſprechen, erſcheint es als zweckmäßig, die ver- ſchiedenen Züge des von mir entworfenen Naturbildes zu- ſammenzufaſſen.
Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird von einem Schloſſe beherrſcht. Kein Glockenturm, keine Kuppel fällt von weitem dem Reiſenden ins Auge, nur einige Tama- rinden-, Kokosnuß- und Dattelſtämme erheben ſich über die Häuſer mit platten Dächern. Die Ebene ringsum, beſonders dem Meere zu, iſt trübſelig, ſtaubig und dürr, wogegen ein friſcher, kräftiger Pflanzenwuchs von weitem den geſchlängelten Lauf des Fluſſes bezeichnet, der die Stadt von den Vorſtädten, die Bevölkerung von europäiſcher und gemiſchter Abkunft von den kupferfarbigen Eingeborenen trennt. Der freiſtehende, kahle, weiße Schloßberg San Antonio wirft zugleich eine große Maſſe Licht und ſtrahlender Wärme zurück; er beſteht aus Breccien, deren Schichten verſteinerte Seetiere einſchließen. In weiter Ferne gegen Süden ſtreicht dunkel ein mächtiger Gebirgszug hin. Dies ſind die hohen Kalkalpen von Neu- andaluſien, wo dem Kalk Sandſteine und andere neuere Bil- dungen aufgelagert ſind. Majeſtätiſche Wälder bedecken dieſe Kordillere im inneren Lande und hängen durch ein bewaldetes Thal mit dem nackten, thonigen und ſalzhaltigen Boden zuſammen, auf dem Cumana liegt. Einige Vögel von bedeu- tender Größe tragen zur eigentümlichen Phyſiognomie des Landes bei. Am Geſtade und am Meerbuſen ſieht man Scharen von Fiſchreihern und Alcatras, ſehr plumpen Vögeln, die gleich den Schwänen mit gehobenen Flügeln über das Waſſer gleiten. Näher bei den Wohnſtätten der Menſchen ſind Tauſende von Galinazogeiern, wahre Schakale unter dem Gefieder, raſtlos beſchäftigt, tote Tiere zu ſuchen. Ein Meer- buſen, auf deſſen Grunde heiße Quellen vorkommen, trennt die ſekundären Gebirgsbildungen vom primitiven Schiefer- gebirge der Halbinſel Araya. Beide Küſten werden von einem ruhigen, blauen, beſtändig vom ſelben Winde leicht bewegten Meere beſpült. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur bei Sonnenuntergang leichtes Gewölk aufzieht, ruht auf der See, auf der baumloſen Halbinſel und der Ebene von Cumana, während man zwiſchen den Berggipfeln im Inneren Gewitter
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Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be-
ſchrieben, weil es mir wichtig ſchien, eine Gegend kennen zu
lernen, die ſeit Jahrhunderten der Herd der furchtbarſten
Erdbeben war. Ehe wir von dieſen außerordentlichen Er-
ſcheinungen ſprechen, erſcheint es als zweckmäßig, die ver-
ſchiedenen Züge des von mir entworfenen Naturbildes zu-
ſammenzufaſſen.
Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird
von einem Schloſſe beherrſcht. Kein Glockenturm, keine Kuppel
fällt von weitem dem Reiſenden ins Auge, nur einige Tama-
rinden-, Kokosnuß- und Dattelſtämme erheben ſich über die
Häuſer mit platten Dächern. Die Ebene ringsum, beſonders
dem Meere zu, iſt trübſelig, ſtaubig und dürr, wogegen ein
friſcher, kräftiger Pflanzenwuchs von weitem den geſchlängelten
Lauf des Fluſſes bezeichnet, der die Stadt von den Vorſtädten,
die Bevölkerung von europäiſcher und gemiſchter Abkunft von
den kupferfarbigen Eingeborenen trennt. Der freiſtehende,
kahle, weiße Schloßberg San Antonio wirft zugleich eine
große Maſſe Licht und ſtrahlender Wärme zurück; er beſteht
aus Breccien, deren Schichten verſteinerte Seetiere einſchließen.
In weiter Ferne gegen Süden ſtreicht dunkel ein mächtiger
Gebirgszug hin. Dies ſind die hohen Kalkalpen von Neu-
andaluſien, wo dem Kalk Sandſteine und andere neuere Bil-
dungen aufgelagert ſind. Majeſtätiſche Wälder bedecken dieſe
Kordillere im inneren Lande und hängen durch ein bewaldetes
Thal mit dem nackten, thonigen und ſalzhaltigen Boden
zuſammen, auf dem Cumana liegt. Einige Vögel von bedeu-
tender Größe tragen zur eigentümlichen Phyſiognomie des
Landes bei. Am Geſtade und am Meerbuſen ſieht man
Scharen von Fiſchreihern und Alcatras, ſehr plumpen Vögeln,
die gleich den Schwänen mit gehobenen Flügeln über das
Waſſer gleiten. Näher bei den Wohnſtätten der Menſchen
ſind Tauſende von Galinazogeiern, wahre Schakale unter dem
Gefieder, raſtlos beſchäftigt, tote Tiere zu ſuchen. Ein Meer-
buſen, auf deſſen Grunde heiße Quellen vorkommen, trennt
die ſekundären Gebirgsbildungen vom primitiven Schiefer-
gebirge der Halbinſel Araya. Beide Küſten werden von einem
ruhigen, blauen, beſtändig vom ſelben Winde leicht bewegten
Meere beſpült. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur
bei Sonnenuntergang leichtes Gewölk aufzieht, ruht auf der
See, auf der baumloſen Halbinſel und der Ebene von Cumana,
während man zwiſchen den Berggipfeln im Inneren Gewitter
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/185>, abgerufen am 27.04.2024.
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