Vorstadt der Indianer, deren Straßen geradlinig und mit kleinen, ganz neuen Häusern von sehr freundlichem Ansehen besetzt sind. Dieser Stadtteil war infolge des Erdbebens, das Cumana anderthalb Jahre vor unserer Ankunft zerstört hatte, eben erst neu aufgebaut worden. Kaum waren wir auf einer hölzernen Brücke über den Manzanares gegangen, in dem hier Bava oder Krokodile von der kleinen Art vor- kommen, begegneten uns überall die Spuren dieser schreck- lichen Katastrophe; neue Gebäude erhoben sich auf den Trüm- mern der alten.
Wir wurden vom Kapitän des Pizarro zum Statthalter der Provinz, Don Vicente Emparan, geführt, um ihm die Pässe zu überreichen, die das Staatssekretariat uns ausgestellt. Er empfing uns mit der Offenheit und edlen Einfachheit, die von jeher Züge des baskischen Volkscharakters waren. Ehe er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt wurde, hatte er sich als Schiffskapitän in der königlichen Marine ausgezeichnet. Sein Name erinnert an einen der merkwürdigsten und traurigsten Vorfälle in der Geschichte der Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwischen Spanien und England schlugen sich zwei Brüder des Statthalters Emparan bei Nacht vor dem Hafen von Cadiz mit ihren Schiffen, weil jeder das andere Schiff für ein feindliches hielt. Der Kampf war so furchtbar, daß beide Schiffe fast zugleich sanken. Nur ein sehr kleiner Teil der beiderseitigen Mannschaft wurde ge- rettet, und die beiden Brüder hatten das Unglück, einander kurz vor ihrem Tode zu erkennen.
Der Statthalter von Cumana äußerte sich sehr zufrieden über unseren Entschluß, uns eine Zeitlang in Neuandalusien aufzuhalten, das zu jener Zeit in Europa kaum dem Namen nach bekannt war, und das in seinen Gebirgen und an den Ufern seiner zahlreichen Ströme der Naturforschung das reichste Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns mit einheimischen Pflanzen gefärbte Baumwolle und schöne Möbel ganz aus einheimischen Hölzern; er interessierte sich lebhaft für alle physischen Wissenschaften und fragte uns zu unserer großen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, daß die Luft unter dem schönen tropischen Himmel weniger Stick- stoff (azotico) enthalte als in Spanien, oder ob, wenn sich das Eisen hierzulande rascher oxydiere, dies allein von der größeren Feuchtigkeit herrühre, die der Haarhygrometer an- zeige. Dem Reisenden kann der Name des Vaterlandes,
Vorſtadt der Indianer, deren Straßen geradlinig und mit kleinen, ganz neuen Häuſern von ſehr freundlichem Anſehen beſetzt ſind. Dieſer Stadtteil war infolge des Erdbebens, das Cumana anderthalb Jahre vor unſerer Ankunft zerſtört hatte, eben erſt neu aufgebaut worden. Kaum waren wir auf einer hölzernen Brücke über den Manzanares gegangen, in dem hier Bava oder Krokodile von der kleinen Art vor- kommen, begegneten uns überall die Spuren dieſer ſchreck- lichen Kataſtrophe; neue Gebäude erhoben ſich auf den Trüm- mern der alten.
Wir wurden vom Kapitän des Pizarro zum Statthalter der Provinz, Don Vicente Emparan, geführt, um ihm die Päſſe zu überreichen, die das Staatsſekretariat uns ausgeſtellt. Er empfing uns mit der Offenheit und edlen Einfachheit, die von jeher Züge des baskiſchen Volkscharakters waren. Ehe er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt wurde, hatte er ſich als Schiffskapitän in der königlichen Marine ausgezeichnet. Sein Name erinnert an einen der merkwürdigſten und traurigſten Vorfälle in der Geſchichte der Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwiſchen Spanien und England ſchlugen ſich zwei Brüder des Statthalters Emparan bei Nacht vor dem Hafen von Cadiz mit ihren Schiffen, weil jeder das andere Schiff für ein feindliches hielt. Der Kampf war ſo furchtbar, daß beide Schiffe faſt zugleich ſanken. Nur ein ſehr kleiner Teil der beiderſeitigen Mannſchaft wurde ge- rettet, und die beiden Brüder hatten das Unglück, einander kurz vor ihrem Tode zu erkennen.
Der Statthalter von Cumana äußerte ſich ſehr zufrieden über unſeren Entſchluß, uns eine Zeitlang in Neuandaluſien aufzuhalten, das zu jener Zeit in Europa kaum dem Namen nach bekannt war, und das in ſeinen Gebirgen und an den Ufern ſeiner zahlreichen Ströme der Naturforſchung das reichſte Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns mit einheimiſchen Pflanzen gefärbte Baumwolle und ſchöne Möbel ganz aus einheimiſchen Hölzern; er intereſſierte ſich lebhaft für alle phyſiſchen Wiſſenſchaften und fragte uns zu unſerer großen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, daß die Luft unter dem ſchönen tropiſchen Himmel weniger Stick- ſtoff (azotico) enthalte als in Spanien, oder ob, wenn ſich das Eiſen hierzulande raſcher oxydiere, dies allein von der größeren Feuchtigkeit herrühre, die der Haarhygrometer an- zeige. Dem Reiſenden kann der Name des Vaterlandes,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0172"n="156"/>
Vorſtadt der Indianer, deren Straßen geradlinig und mit<lb/>
kleinen, ganz neuen Häuſern von ſehr freundlichem Anſehen<lb/>
beſetzt ſind. Dieſer Stadtteil war infolge des Erdbebens,<lb/>
das Cumana anderthalb Jahre vor unſerer Ankunft zerſtört<lb/>
hatte, eben erſt neu aufgebaut worden. Kaum waren wir<lb/>
auf einer hölzernen Brücke über den Manzanares gegangen,<lb/>
in dem hier Bava oder Krokodile von der kleinen Art vor-<lb/>
kommen, begegneten uns überall die Spuren dieſer ſchreck-<lb/>
lichen Kataſtrophe; neue Gebäude erhoben ſich auf den Trüm-<lb/>
mern der alten.</p><lb/><p>Wir wurden vom Kapitän des Pizarro zum Statthalter<lb/>
der Provinz, Don Vicente Emparan, geführt, um ihm die<lb/>
Päſſe zu überreichen, die das Staatsſekretariat uns ausgeſtellt.<lb/>
Er empfing uns mit der Offenheit und edlen Einfachheit, die<lb/>
von jeher Züge des baskiſchen Volkscharakters waren. Ehe<lb/>
er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt<lb/>
wurde, hatte er ſich als Schiffskapitän in der königlichen<lb/>
Marine ausgezeichnet. Sein Name erinnert an einen der<lb/>
merkwürdigſten und traurigſten Vorfälle in der Geſchichte der<lb/>
Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwiſchen Spanien und<lb/>
England ſchlugen ſich zwei Brüder des Statthalters Emparan<lb/>
bei Nacht vor dem Hafen von Cadiz mit ihren Schiffen, weil<lb/>
jeder das andere Schiff für ein feindliches hielt. Der Kampf<lb/>
war ſo furchtbar, daß beide Schiffe faſt zugleich ſanken. Nur<lb/>
ein ſehr kleiner Teil der beiderſeitigen Mannſchaft wurde ge-<lb/>
rettet, und die beiden Brüder hatten das Unglück, einander<lb/>
kurz vor ihrem Tode zu erkennen.</p><lb/><p>Der Statthalter von Cumana äußerte ſich ſehr zufrieden<lb/>
über unſeren Entſchluß, uns eine Zeitlang in Neuandaluſien<lb/>
aufzuhalten, das zu jener Zeit in Europa kaum dem Namen<lb/>
nach bekannt war, und das in ſeinen Gebirgen und an den<lb/>
Ufern ſeiner zahlreichen Ströme der Naturforſchung das reichſte<lb/>
Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns<lb/>
mit einheimiſchen Pflanzen gefärbte Baumwolle und ſchöne<lb/>
Möbel ganz aus einheimiſchen Hölzern; er intereſſierte ſich<lb/>
lebhaft für alle phyſiſchen Wiſſenſchaften und fragte uns zu<lb/>
unſerer großen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, daß<lb/>
die Luft unter dem ſchönen tropiſchen Himmel weniger Stick-<lb/>ſtoff <hirendition="#aq">(azotico)</hi> enthalte als in Spanien, oder ob, wenn ſich<lb/>
das Eiſen hierzulande raſcher oxydiere, dies allein von der<lb/>
größeren Feuchtigkeit herrühre, die der Haarhygrometer an-<lb/>
zeige. Dem Reiſenden kann der Name des Vaterlandes,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[156/0172]
Vorſtadt der Indianer, deren Straßen geradlinig und mit
kleinen, ganz neuen Häuſern von ſehr freundlichem Anſehen
beſetzt ſind. Dieſer Stadtteil war infolge des Erdbebens,
das Cumana anderthalb Jahre vor unſerer Ankunft zerſtört
hatte, eben erſt neu aufgebaut worden. Kaum waren wir
auf einer hölzernen Brücke über den Manzanares gegangen,
in dem hier Bava oder Krokodile von der kleinen Art vor-
kommen, begegneten uns überall die Spuren dieſer ſchreck-
lichen Kataſtrophe; neue Gebäude erhoben ſich auf den Trüm-
mern der alten.
Wir wurden vom Kapitän des Pizarro zum Statthalter
der Provinz, Don Vicente Emparan, geführt, um ihm die
Päſſe zu überreichen, die das Staatsſekretariat uns ausgeſtellt.
Er empfing uns mit der Offenheit und edlen Einfachheit, die
von jeher Züge des baskiſchen Volkscharakters waren. Ehe
er zum Statthalter von Portobelo und Cumana ernannt
wurde, hatte er ſich als Schiffskapitän in der königlichen
Marine ausgezeichnet. Sein Name erinnert an einen der
merkwürdigſten und traurigſten Vorfälle in der Geſchichte der
Seekriege. Nach dem letzten Bruch zwiſchen Spanien und
England ſchlugen ſich zwei Brüder des Statthalters Emparan
bei Nacht vor dem Hafen von Cadiz mit ihren Schiffen, weil
jeder das andere Schiff für ein feindliches hielt. Der Kampf
war ſo furchtbar, daß beide Schiffe faſt zugleich ſanken. Nur
ein ſehr kleiner Teil der beiderſeitigen Mannſchaft wurde ge-
rettet, und die beiden Brüder hatten das Unglück, einander
kurz vor ihrem Tode zu erkennen.
Der Statthalter von Cumana äußerte ſich ſehr zufrieden
über unſeren Entſchluß, uns eine Zeitlang in Neuandaluſien
aufzuhalten, das zu jener Zeit in Europa kaum dem Namen
nach bekannt war, und das in ſeinen Gebirgen und an den
Ufern ſeiner zahlreichen Ströme der Naturforſchung das reichſte
Feld der Beobachtung bietet. Der Statthalter zeigte uns
mit einheimiſchen Pflanzen gefärbte Baumwolle und ſchöne
Möbel ganz aus einheimiſchen Hölzern; er intereſſierte ſich
lebhaft für alle phyſiſchen Wiſſenſchaften und fragte uns zu
unſerer großen Verwunderung, ob wir nicht glaubten, daß
die Luft unter dem ſchönen tropiſchen Himmel weniger Stick-
ſtoff (azotico) enthalte als in Spanien, oder ob, wenn ſich
das Eiſen hierzulande raſcher oxydiere, dies allein von der
größeren Feuchtigkeit herrühre, die der Haarhygrometer an-
zeige. Dem Reiſenden kann der Name des Vaterlandes,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/172>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.