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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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bewegliche Massen sich seit Jahrhunderten an denselben Stellen
befinden, so muß man annehmen, daß sie vom Gestein 73
bis 92 m unter der Meeresfläche herkommen und der Nach-
wuchs fortwährend wieder ersetzt, was die tropische Strömung
wegreißt. Diese Strömung führt die tropische Seetraube in
hohe Breiten, an die Küsten von Norwegen und Frankreich,
und die Algen werden südwärts von den Azoren keineswegs
vom Golfstrom zusammengetrieben, wie manche Seeleute
meinen. Es wäre zu wünschen, daß die Schiffer in diesen
mit Pflanzen bedeckten Strichen häufiger das Senkblei aus-
würfen; man versichert, holländische Seeleute haben mittels
Leinen aus Seidenfäden zwischen der Bank von Neufundland
und der schottischen Küste eine Reihe von Untiefen gefunden.

Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach
der allgemeinen Annahme das Meer wenig bewegt ist, los-
gerissen werden, darüber ist man noch nicht im klaren. Wir
wissen nur nach den schönen Beobachtungen von Lamouroux,
daß die Algen zwar vor der Entwickelung ihrer Fruktifikationen
ausnehmend fest am Gestein hängen, dagegen nach dieser Zeit
oder in der Jahreszeit, wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen
die Vegetation stockt, sehr leicht abzureißen sind. Fische und
Weichtiere, welche die Stengel der Tange benagen, mögen
wohl auch dazu beitragen, sie von ihren Wurzeln zu lösen.

Vom 22. Breitegrad an fanden wir die Meeresfläche mit
fliegenden Fischen 1 bedeckt; sie schnellten sich 4,5, ja 6 m in
die Höhe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich scheue
mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenstand zu berühren, von
dem die Reisenden so viel sprechen, als von Delphinen und
Haifischen, von der Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres.
Alle diese Dinge bieten den Physikern noch lange Stoff genug
zu anziehenden Beobachtungen, wenn sie sich ganz besonders
damit beschäftigen. Die Natur ist eine unerschöpfliche Quelle
der Forschung, und im Maß, als die Wissenschaft vorschreitet,
bietet sie dem, der sie recht zu befragen weiß, immer wieder
eine neue Seite, von der er sie bis jetzt nicht betrachtet hatte.

Ich erwähnte der fliegenden Fische, um die Naturkundigen
auf die ungeheure Größe ihrer Schwimmblase aufmerksam zu
machen, die bei einem 172 mm lange Fisch 95 mm lang
und 25 mm breit ist und 31/2 Kubikzoll Luft enthält. Die
Blase nimmt über die Hälfte vom Körperinhalt des Tieres

1 Exocoetus volitans.

bewegliche Maſſen ſich ſeit Jahrhunderten an denſelben Stellen
befinden, ſo muß man annehmen, daß ſie vom Geſtein 73
bis 92 m unter der Meeresfläche herkommen und der Nach-
wuchs fortwährend wieder erſetzt, was die tropiſche Strömung
wegreißt. Dieſe Strömung führt die tropiſche Seetraube in
hohe Breiten, an die Küſten von Norwegen und Frankreich,
und die Algen werden ſüdwärts von den Azoren keineswegs
vom Golfſtrom zuſammengetrieben, wie manche Seeleute
meinen. Es wäre zu wünſchen, daß die Schiffer in dieſen
mit Pflanzen bedeckten Strichen häufiger das Senkblei aus-
würfen; man verſichert, holländiſche Seeleute haben mittels
Leinen aus Seidenfäden zwiſchen der Bank von Neufundland
und der ſchottiſchen Küſte eine Reihe von Untiefen gefunden.

Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach
der allgemeinen Annahme das Meer wenig bewegt iſt, los-
geriſſen werden, darüber iſt man noch nicht im klaren. Wir
wiſſen nur nach den ſchönen Beobachtungen von Lamouroux,
daß die Algen zwar vor der Entwickelung ihrer Fruktifikationen
ausnehmend feſt am Geſtein hängen, dagegen nach dieſer Zeit
oder in der Jahreszeit, wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen
die Vegetation ſtockt, ſehr leicht abzureißen ſind. Fiſche und
Weichtiere, welche die Stengel der Tange benagen, mögen
wohl auch dazu beitragen, ſie von ihren Wurzeln zu löſen.

Vom 22. Breitegrad an fanden wir die Meeresfläche mit
fliegenden Fiſchen 1 bedeckt; ſie ſchnellten ſich 4,5, ja 6 m in
die Höhe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich ſcheue
mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenſtand zu berühren, von
dem die Reiſenden ſo viel ſprechen, als von Delphinen und
Haifiſchen, von der Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres.
Alle dieſe Dinge bieten den Phyſikern noch lange Stoff genug
zu anziehenden Beobachtungen, wenn ſie ſich ganz beſonders
damit beſchäftigen. Die Natur iſt eine unerſchöpfliche Quelle
der Forſchung, und im Maß, als die Wiſſenſchaft vorſchreitet,
bietet ſie dem, der ſie recht zu befragen weiß, immer wieder
eine neue Seite, von der er ſie bis jetzt nicht betrachtet hatte.

Ich erwähnte der fliegenden Fiſche, um die Naturkundigen
auf die ungeheure Größe ihrer Schwimmblaſe aufmerkſam zu
machen, die bei einem 172 mm lange Fiſch 95 mm lang
und 25 mm breit iſt und 3½ Kubikzoll Luft enthält. Die
Blaſe nimmt über die Hälfte vom Körperinhalt des Tieres

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[132/0148] bewegliche Maſſen ſich ſeit Jahrhunderten an denſelben Stellen befinden, ſo muß man annehmen, daß ſie vom Geſtein 73 bis 92 m unter der Meeresfläche herkommen und der Nach- wuchs fortwährend wieder erſetzt, was die tropiſche Strömung wegreißt. Dieſe Strömung führt die tropiſche Seetraube in hohe Breiten, an die Küſten von Norwegen und Frankreich, und die Algen werden ſüdwärts von den Azoren keineswegs vom Golfſtrom zuſammengetrieben, wie manche Seeleute meinen. Es wäre zu wünſchen, daß die Schiffer in dieſen mit Pflanzen bedeckten Strichen häufiger das Senkblei aus- würfen; man verſichert, holländiſche Seeleute haben mittels Leinen aus Seidenfäden zwiſchen der Bank von Neufundland und der ſchottiſchen Küſte eine Reihe von Untiefen gefunden. Wie und wodurch die Algen in Tiefen, in denen nach der allgemeinen Annahme das Meer wenig bewegt iſt, los- geriſſen werden, darüber iſt man noch nicht im klaren. Wir wiſſen nur nach den ſchönen Beobachtungen von Lamouroux, daß die Algen zwar vor der Entwickelung ihrer Fruktifikationen ausnehmend feſt am Geſtein hängen, dagegen nach dieſer Zeit oder in der Jahreszeit, wo bei ihnen wie bei den Landpflanzen die Vegetation ſtockt, ſehr leicht abzureißen ſind. Fiſche und Weichtiere, welche die Stengel der Tange benagen, mögen wohl auch dazu beitragen, ſie von ihren Wurzeln zu löſen. Vom 22. Breitegrad an fanden wir die Meeresfläche mit fliegenden Fiſchen 1 bedeckt; ſie ſchnellten ſich 4,5, ja 6 m in die Höhe und fielen auf den Oberlauf nieder. Ich ſcheue mich nicht, hier gleichfalls einen Gegenſtand zu berühren, von dem die Reiſenden ſo viel ſprechen, als von Delphinen und Haifiſchen, von der Seekrankheit und dem Leuchten des Meeres. Alle dieſe Dinge bieten den Phyſikern noch lange Stoff genug zu anziehenden Beobachtungen, wenn ſie ſich ganz beſonders damit beſchäftigen. Die Natur iſt eine unerſchöpfliche Quelle der Forſchung, und im Maß, als die Wiſſenſchaft vorſchreitet, bietet ſie dem, der ſie recht zu befragen weiß, immer wieder eine neue Seite, von der er ſie bis jetzt nicht betrachtet hatte. Ich erwähnte der fliegenden Fiſche, um die Naturkundigen auf die ungeheure Größe ihrer Schwimmblaſe aufmerkſam zu machen, die bei einem 172 mm lange Fiſch 95 mm lang und 25 mm breit iſt und 3½ Kubikzoll Luft enthält. Die Blaſe nimmt über die Hälfte vom Körperinhalt des Tieres 1 Exocoetus volitans.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/148>, abgerufen am 27.04.2024.