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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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nung anzeigten. Mittels solcher kleinen, mit Windstillen
wechselnden Böen gelangt man in den Monaten Juni und
Juli von den Kanarischen Inseln nach den Antillen oder an
die Küsten von Südamerika. Im heißen Erdstrich lösen sich
die meteorologischen Vorgänge äußerst regelmäßig ab, und das
Jahr 1803 wird in den Annalen der Schiffahrt lange denk-
würdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadiz nach
Cumana gingen, unter 14° der Länge und 48° der Breite
umlegen mußten, weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind
aus Nord-Nord-West blies. Welch bedeutende Störung im
regelmäßigen Lauf der Luftströmungen muß man annehmen,
um sich von einem solchen Gegenwind Rechenschaft zu geben,
der ohne Zweifel auch den regelmäßigen Gang des Baro-
meters in seiner stündlichen Schwankung gestört haben wird!

Einige spanische Seefahrer haben neuerlich einen anderen
Weg nach den Antillen und zur Küste von Terra Firma als
den von Christoph Kolumbus zuerst eingeschlagenen zur Sprache
gebracht. Sie schlagen vor, man solle nicht gerade nach Süd
steuern, um den Passat aufzusuchen, sondern auf einer Dia-
gonale zwischen Kap St. Vincent und Amerika in Länge und
Breite zugleich vorrücken. Dieser Weg, der die Fahrt abkürzt,
da man den Wendekreis etwa 20° westwärts vom Punkte
schneidet, wo ihn die Schiffe gewöhnlich schneiden, ist von
Admiral Gravina mehreremal mit Glück eingeschlagen worden.
Dieser erfahrene Seemann, der in der Schlacht von Trafalgar
einen rühmlichen Tod fand, kam im Jahre 1802 auf diesem
schiefen Wege mehrere Tage vor der französischen Flotte nach
St. Domingo, obgleich er zufolge eines Befehls des Madrider
Hofes mit seinem Geschwader im Hafen von Ferrol hatte ein-
laufen und sich dort eine Zeitlang aufhalten müssen.

Dieses neue Verfahren kürzt die Ueberfahrt von Cadiz
nach Cumana etwa um ein Zwanzigteil ab; da man aber erst
unter dem 40. Grad der Länge die Tropen betritt, so läuft
man Gefahr, länger mit den veränderlichen Winden zu thun
zu haben, die bald aus Süd, bald aus Südwest blasen. Beim
alten Verfahren wird der Nachteil, daß man einen längeren
Weg macht, dadurch ausgeglichen, daß man sicher ist, in den
Passat zu gelangen und ihn auf einem größeren Stück der
Ueberfahrt benutzen zu können. Während meines Aufenthaltes
in den spanischen Kolonieen sah ich mehrere Kauffahrer an-
kommen, die aus Furcht vor Kapern den schiefen Weg ein-
geschlagen hatten und ausnehmend rasch herübergekommen

A. v. Humboldt, Reise. I. 9

nung anzeigten. Mittels ſolcher kleinen, mit Windſtillen
wechſelnden Böen gelangt man in den Monaten Juni und
Juli von den Kanariſchen Inſeln nach den Antillen oder an
die Küſten von Südamerika. Im heißen Erdſtrich löſen ſich
die meteorologiſchen Vorgänge äußerſt regelmäßig ab, und das
Jahr 1803 wird in den Annalen der Schiffahrt lange denk-
würdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadiz nach
Cumana gingen, unter 14° der Länge und 48° der Breite
umlegen mußten, weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind
aus Nord-Nord-Weſt blies. Welch bedeutende Störung im
regelmäßigen Lauf der Luftſtrömungen muß man annehmen,
um ſich von einem ſolchen Gegenwind Rechenſchaft zu geben,
der ohne Zweifel auch den regelmäßigen Gang des Baro-
meters in ſeiner ſtündlichen Schwankung geſtört haben wird!

Einige ſpaniſche Seefahrer haben neuerlich einen anderen
Weg nach den Antillen und zur Küſte von Terra Firma als
den von Chriſtoph Kolumbus zuerſt eingeſchlagenen zur Sprache
gebracht. Sie ſchlagen vor, man ſolle nicht gerade nach Süd
ſteuern, um den Paſſat aufzuſuchen, ſondern auf einer Dia-
gonale zwiſchen Kap St. Vincent und Amerika in Länge und
Breite zugleich vorrücken. Dieſer Weg, der die Fahrt abkürzt,
da man den Wendekreis etwa 20° weſtwärts vom Punkte
ſchneidet, wo ihn die Schiffe gewöhnlich ſchneiden, iſt von
Admiral Gravina mehreremal mit Glück eingeſchlagen worden.
Dieſer erfahrene Seemann, der in der Schlacht von Trafalgar
einen rühmlichen Tod fand, kam im Jahre 1802 auf dieſem
ſchiefen Wege mehrere Tage vor der franzöſiſchen Flotte nach
St. Domingo, obgleich er zufolge eines Befehls des Madrider
Hofes mit ſeinem Geſchwader im Hafen von Ferrol hatte ein-
laufen und ſich dort eine Zeitlang aufhalten müſſen.

Dieſes neue Verfahren kürzt die Ueberfahrt von Cadiz
nach Cumana etwa um ein Zwanzigteil ab; da man aber erſt
unter dem 40. Grad der Länge die Tropen betritt, ſo läuft
man Gefahr, länger mit den veränderlichen Winden zu thun
zu haben, die bald aus Süd, bald aus Südweſt blaſen. Beim
alten Verfahren wird der Nachteil, daß man einen längeren
Weg macht, dadurch ausgeglichen, daß man ſicher iſt, in den
Paſſat zu gelangen und ihn auf einem größeren Stück der
Ueberfahrt benutzen zu können. Während meines Aufenthaltes
in den ſpaniſchen Kolonieen ſah ich mehrere Kauffahrer an-
kommen, die aus Furcht vor Kapern den ſchiefen Weg ein-
geſchlagen hatten und ausnehmend raſch herübergekommen

A. v. Humboldt, Reiſe. I. 9
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[129/0145] nung anzeigten. Mittels ſolcher kleinen, mit Windſtillen wechſelnden Böen gelangt man in den Monaten Juni und Juli von den Kanariſchen Inſeln nach den Antillen oder an die Küſten von Südamerika. Im heißen Erdſtrich löſen ſich die meteorologiſchen Vorgänge äußerſt regelmäßig ab, und das Jahr 1803 wird in den Annalen der Schiffahrt lange denk- würdig bleiben, weil mehrere Schiffe, die von Cadiz nach Cumana gingen, unter 14° der Länge und 48° der Breite umlegen mußten, weil mehrere Tage lang ein heftiger Wind aus Nord-Nord-Weſt blies. Welch bedeutende Störung im regelmäßigen Lauf der Luftſtrömungen muß man annehmen, um ſich von einem ſolchen Gegenwind Rechenſchaft zu geben, der ohne Zweifel auch den regelmäßigen Gang des Baro- meters in ſeiner ſtündlichen Schwankung geſtört haben wird! Einige ſpaniſche Seefahrer haben neuerlich einen anderen Weg nach den Antillen und zur Küſte von Terra Firma als den von Chriſtoph Kolumbus zuerſt eingeſchlagenen zur Sprache gebracht. Sie ſchlagen vor, man ſolle nicht gerade nach Süd ſteuern, um den Paſſat aufzuſuchen, ſondern auf einer Dia- gonale zwiſchen Kap St. Vincent und Amerika in Länge und Breite zugleich vorrücken. Dieſer Weg, der die Fahrt abkürzt, da man den Wendekreis etwa 20° weſtwärts vom Punkte ſchneidet, wo ihn die Schiffe gewöhnlich ſchneiden, iſt von Admiral Gravina mehreremal mit Glück eingeſchlagen worden. Dieſer erfahrene Seemann, der in der Schlacht von Trafalgar einen rühmlichen Tod fand, kam im Jahre 1802 auf dieſem ſchiefen Wege mehrere Tage vor der franzöſiſchen Flotte nach St. Domingo, obgleich er zufolge eines Befehls des Madrider Hofes mit ſeinem Geſchwader im Hafen von Ferrol hatte ein- laufen und ſich dort eine Zeitlang aufhalten müſſen. Dieſes neue Verfahren kürzt die Ueberfahrt von Cadiz nach Cumana etwa um ein Zwanzigteil ab; da man aber erſt unter dem 40. Grad der Länge die Tropen betritt, ſo läuft man Gefahr, länger mit den veränderlichen Winden zu thun zu haben, die bald aus Süd, bald aus Südweſt blaſen. Beim alten Verfahren wird der Nachteil, daß man einen längeren Weg macht, dadurch ausgeglichen, daß man ſicher iſt, in den Paſſat zu gelangen und ihn auf einem größeren Stück der Ueberfahrt benutzen zu können. Während meines Aufenthaltes in den ſpaniſchen Kolonieen ſah ich mehrere Kauffahrer an- kommen, die aus Furcht vor Kapern den ſchiefen Weg ein- geſchlagen hatten und ausnehmend raſch herübergekommen A. v. Humboldt, Reiſe. I. 9

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/145>, abgerufen am 19.04.2024.