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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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nismus und ihrem grammatischen Bau etwas wüßte, Elemente,
welche von größerer Bedeutung sind als Wortform und Gleich-
laut. Es verhält sich mit gewissen Mundarten wie mit den
organischen Bildungen, die sich in der Reihe der natürlichen
Familien nirgends unterbringen lassen. Sie stehen nur schein-
bar so vereinzelt da; der Schein schwindet, sobald man eine
größere Masse von Bildungen überblickt, wo dann die ver-
mittelnden Glieder hervortreten.

Gelehrte, die überall, wo es Mumien, Hieroglyphen und
Pyramiden gibt, Aegypten sehen, sind vielleicht der Ansicht,
das Geschlecht Typhons und die Guanchen stehen in Zu-
sammenhang mittels der Berbern, echter Atlanten, zu denen
die Tibbu und Tuarik der Wüste gehören. 1 Es genügt
hier aber an der Bemerkung, daß eine solche Annahme durch
keinerlei Aehnlichkeit zwischen der Berbersprache und dem Kopti-
schen, das mit Recht für ein Ueberbleibsel des alten Aegyptischen
gilt, unterstützt wird.

Das Volk, das die Guanchen verdrängt hat, stammt von
Spaniern und zu einem sehr kleinen Teil von Normannen
ab. Obgleich diese beiden Volksstämme drei Jahrhunderte lang
demselben Klima ausgesetzt gewesen sind, zeichnet sich der
letztere durch weißere Haut aus. Die Nachkommen der Nor-
mannen wohnen im Thal Teganana zwischen Punta de Naga
und Punta de Hidalgo. Die Namen Grandville und Dam-
pierre kommen in diesem Bezirke noch ziemlich häufig vor.
Die Kanarier sind ein redliches, mäßiges und religiöses Volk;
zu Hause zeigen sie aber weniger Betriebsamkeit als in fremden
Ländern. Ein unruhiger Unternehmungsgeist treibt diese Insu-
laner, wie die Biscayer und Katalanen, auf die Philippinen,
auf die Marianen und in Amerika überall hin, wo es spa-
nische Kolonieen gibt, von Chile und dem La Plata bis nach
Neumexiko. Ihnen verdankt man großenteils die Fortschritte
des Ackerbaues in den Kolonieen. Der ganze Archipel hat
kaum 160000 Einwohner, und der Islennos sind vielleicht
in der Neuen Welt mehr als in ihrer alten Heimat.


eines Berberstammes ist. (Vater, Untersuchungen über Amerika,
S. 170.) Die guanchischen Worte alcorac, Gott, und almo-
garon,
Tempel, scheinen arabischen Ursprunges, wenigstens be-
deutet in letzterer Sprache almoharram heilig.
1 Hornemanns Reise von Kairo nach Murzuk.

nismus und ihrem grammatiſchen Bau etwas wüßte, Elemente,
welche von größerer Bedeutung ſind als Wortform und Gleich-
laut. Es verhält ſich mit gewiſſen Mundarten wie mit den
organiſchen Bildungen, die ſich in der Reihe der natürlichen
Familien nirgends unterbringen laſſen. Sie ſtehen nur ſchein-
bar ſo vereinzelt da; der Schein ſchwindet, ſobald man eine
größere Maſſe von Bildungen überblickt, wo dann die ver-
mittelnden Glieder hervortreten.

Gelehrte, die überall, wo es Mumien, Hieroglyphen und
Pyramiden gibt, Aegypten ſehen, ſind vielleicht der Anſicht,
das Geſchlecht Typhons und die Guanchen ſtehen in Zu-
ſammenhang mittels der Berbern, echter Atlanten, zu denen
die Tibbu und Tuarik der Wüſte gehören. 1 Es genügt
hier aber an der Bemerkung, daß eine ſolche Annahme durch
keinerlei Aehnlichkeit zwiſchen der Berberſprache und dem Kopti-
ſchen, das mit Recht für ein Ueberbleibſel des alten Aegyptiſchen
gilt, unterſtützt wird.

Das Volk, das die Guanchen verdrängt hat, ſtammt von
Spaniern und zu einem ſehr kleinen Teil von Normannen
ab. Obgleich dieſe beiden Volksſtämme drei Jahrhunderte lang
demſelben Klima ausgeſetzt geweſen ſind, zeichnet ſich der
letztere durch weißere Haut aus. Die Nachkommen der Nor-
mannen wohnen im Thal Teganana zwiſchen Punta de Naga
und Punta de Hidalgo. Die Namen Grandville und Dam-
pierre kommen in dieſem Bezirke noch ziemlich häufig vor.
Die Kanarier ſind ein redliches, mäßiges und religiöſes Volk;
zu Hauſe zeigen ſie aber weniger Betriebſamkeit als in fremden
Ländern. Ein unruhiger Unternehmungsgeiſt treibt dieſe Inſu-
laner, wie die Biscayer und Katalanen, auf die Philippinen,
auf die Marianen und in Amerika überall hin, wo es ſpa-
niſche Kolonieen gibt, von Chile und dem La Plata bis nach
Neumexiko. Ihnen verdankt man großenteils die Fortſchritte
des Ackerbaues in den Kolonieen. Der ganze Archipel hat
kaum 160000 Einwohner, und der Isleños ſind vielleicht
in der Neuen Welt mehr als in ihrer alten Heimat.


eines Berberſtammes iſt. (Vater, Unterſuchungen über Amerika,
S. 170.) Die guanchiſchen Worte alcorac, Gott, und almo-
garon,
Tempel, ſcheinen arabiſchen Urſprunges, wenigſtens be-
deutet in letzterer Sprache almoharram heilig.
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[122/0138] nismus und ihrem grammatiſchen Bau etwas wüßte, Elemente, welche von größerer Bedeutung ſind als Wortform und Gleich- laut. Es verhält ſich mit gewiſſen Mundarten wie mit den organiſchen Bildungen, die ſich in der Reihe der natürlichen Familien nirgends unterbringen laſſen. Sie ſtehen nur ſchein- bar ſo vereinzelt da; der Schein ſchwindet, ſobald man eine größere Maſſe von Bildungen überblickt, wo dann die ver- mittelnden Glieder hervortreten. Gelehrte, die überall, wo es Mumien, Hieroglyphen und Pyramiden gibt, Aegypten ſehen, ſind vielleicht der Anſicht, das Geſchlecht Typhons und die Guanchen ſtehen in Zu- ſammenhang mittels der Berbern, echter Atlanten, zu denen die Tibbu und Tuarik der Wüſte gehören. 1 Es genügt hier aber an der Bemerkung, daß eine ſolche Annahme durch keinerlei Aehnlichkeit zwiſchen der Berberſprache und dem Kopti- ſchen, das mit Recht für ein Ueberbleibſel des alten Aegyptiſchen gilt, unterſtützt wird. Das Volk, das die Guanchen verdrängt hat, ſtammt von Spaniern und zu einem ſehr kleinen Teil von Normannen ab. Obgleich dieſe beiden Volksſtämme drei Jahrhunderte lang demſelben Klima ausgeſetzt geweſen ſind, zeichnet ſich der letztere durch weißere Haut aus. Die Nachkommen der Nor- mannen wohnen im Thal Teganana zwiſchen Punta de Naga und Punta de Hidalgo. Die Namen Grandville und Dam- pierre kommen in dieſem Bezirke noch ziemlich häufig vor. Die Kanarier ſind ein redliches, mäßiges und religiöſes Volk; zu Hauſe zeigen ſie aber weniger Betriebſamkeit als in fremden Ländern. Ein unruhiger Unternehmungsgeiſt treibt dieſe Inſu- laner, wie die Biscayer und Katalanen, auf die Philippinen, auf die Marianen und in Amerika überall hin, wo es ſpa- niſche Kolonieen gibt, von Chile und dem La Plata bis nach Neumexiko. Ihnen verdankt man großenteils die Fortſchritte des Ackerbaues in den Kolonieen. Der ganze Archipel hat kaum 160000 Einwohner, und der Isleños ſind vielleicht in der Neuen Welt mehr als in ihrer alten Heimat. 1 1 Hornemanns Reiſe von Kairo nach Murzuk. 1 eines Berberſtammes iſt. (Vater, Unterſuchungen über Amerika, S. 170.) Die guanchiſchen Worte alcorac, Gott, und almo- garon, Tempel, ſcheinen arabiſchen Urſprunges, wenigſtens be- deutet in letzterer Sprache almoharram heilig.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/138>, abgerufen am 26.04.2024.