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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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dürre, zerriebene Bimsstein des Piton die Gewächse nicht an
den Kraterrand gelangen.

Die erste Zone, die der Reben, erstreckt sich vom
Meeresufer bis in 390 bis 580 m Höhe; sie ist die am
stärksten bewohnte und die einzige, wo der Boden sorgfältig
bebaut ist. In dieser tiefen Lage, im Hafen von Orotava
und überall, wo die Winde freien Zutritt haben, hält sich
der hundertteilige Thermometer im Winter, im Januar und
Februar, um Mittag auf 15 bis 17°; im Sommer steigt die
Hitze nicht über 25 oder 26°, ist also um 5 bis 6° geringer
als die größte Hitze, die jährlich in Paris, Berlin und
St. Petersburg eintritt. Dies ergibt sich aus den Beobach-
tungen Savagis in den Jahren 1795 bis 1799. Die mittlere
Temperatur der Küste von Tenerifa scheint wenigstens 21°
(16,8° R.) zu sein, und ihr Klima steht in der Mitte zwischen
dem von Neapel und dem des heißen Erdstrichs. Auf der
Insel Madeira sind die mittleren Temperaturen des Januar
und des August, nach Heberden, 17,7° und 28,8°, in Rom
dagegen 5,6° und 26,1°. Aber so ähnlich sich die Klimate
von Madeira und Tenerifa sind, kommen doch die Gewächse
der ersteren Insel im allgemeinen in Europa leichter fort als
die von Tenerifa. Der Cheiranthus longifolius von Orotava
z. B. erfriert in Marseille, wie de Candolle beobachtet hat,
während der Cheiranthus mutabilis von Madeira dort im
Freien überwintert. Die Sommerhitze dauert auf Madeira
nicht so lange als auf Tenerifa.

In der Region der Reben kommen vor acht Arten baum-
artiger Euphorbien, Mesembryanthemumarten, die vom Kap
der guten Hoffnung bis zum Peloponnes verbreitet sind, die
Cacalia Kleinia, der Drachenbaum, und andere Gewächse,

in 840, in Norwegen dagegen, unter 67°, fern von der Küste in
1170 m Höhe, und doch sind hier die Winter ungleich strenger,
folglich die mittlere Jahrestemperatur geringer als in Island.
Nach diesen Angaben erscheint es als wahrscheinlich, daß Bouguer
und Saussure im Irrtum sind, wenn sie annehmen, daß der Pik
von Tenerifa die untere Grenze des ewigen Schnees erreiche. Unter
28° 17' der Breite ergeben sich für diese Grenze wenigstens 3800 m,
selbst wenn man sie zwischen dem Aetna und den Bergen von
Mexiko durch Interpolation berechnet. Dieser Punkt wird voll-
ständig ins reine gebracht werden, wenn einmal der westliche Teil
des Atlas gemessen ist, wo bei Marokko unter 311/2° Breite ewiger
Schnee liegt.

dürre, zerriebene Bimsſtein des Piton die Gewächſe nicht an
den Kraterrand gelangen.

Die erſte Zone, die der Reben, erſtreckt ſich vom
Meeresufer bis in 390 bis 580 m Höhe; ſie iſt die am
ſtärkſten bewohnte und die einzige, wo der Boden ſorgfältig
bebaut iſt. In dieſer tiefen Lage, im Hafen von Orotava
und überall, wo die Winde freien Zutritt haben, hält ſich
der hundertteilige Thermometer im Winter, im Januar und
Februar, um Mittag auf 15 bis 17°; im Sommer ſteigt die
Hitze nicht über 25 oder 26°, iſt alſo um 5 bis 6° geringer
als die größte Hitze, die jährlich in Paris, Berlin und
St. Petersburg eintritt. Dies ergibt ſich aus den Beobach-
tungen Savagis in den Jahren 1795 bis 1799. Die mittlere
Temperatur der Küſte von Tenerifa ſcheint wenigſtens 21°
(16,8° R.) zu ſein, und ihr Klima ſteht in der Mitte zwiſchen
dem von Neapel und dem des heißen Erdſtrichs. Auf der
Inſel Madeira ſind die mittleren Temperaturen des Januar
und des Auguſt, nach Heberden, 17,7° und 28,8°, in Rom
dagegen 5,6° und 26,1°. Aber ſo ähnlich ſich die Klimate
von Madeira und Tenerifa ſind, kommen doch die Gewächſe
der erſteren Inſel im allgemeinen in Europa leichter fort als
die von Tenerifa. Der Cheiranthus longifolius von Orotava
z. B. erfriert in Marſeille, wie de Candolle beobachtet hat,
während der Cheiranthus mutabilis von Madeira dort im
Freien überwintert. Die Sommerhitze dauert auf Madeira
nicht ſo lange als auf Tenerifa.

In der Region der Reben kommen vor acht Arten baum-
artiger Euphorbien, Meſembryanthemumarten, die vom Kap
der guten Hoffnung bis zum Peloponnes verbreitet ſind, die
Cacalia Kleinia, der Drachenbaum, und andere Gewächſe,

in 840, in Norwegen dagegen, unter 67°, fern von der Küſte in
1170 m Höhe, und doch ſind hier die Winter ungleich ſtrenger,
folglich die mittlere Jahrestemperatur geringer als in Island.
Nach dieſen Angaben erſcheint es als wahrſcheinlich, daß Bouguer
und Sauſſure im Irrtum ſind, wenn ſie annehmen, daß der Pik
von Tenerifa die untere Grenze des ewigen Schnees erreiche. Unter
28° 17′ der Breite ergeben ſich für dieſe Grenze wenigſtens 3800 m,
ſelbſt wenn man ſie zwiſchen dem Aetna und den Bergen von
Mexiko durch Interpolation berechnet. Dieſer Punkt wird voll-
ſtändig ins reine gebracht werden, wenn einmal der weſtliche Teil
des Atlas gemeſſen iſt, wo bei Marokko unter 31½° Breite ewiger
Schnee liegt.
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[111/0127] dürre, zerriebene Bimsſtein des Piton die Gewächſe nicht an den Kraterrand gelangen. Die erſte Zone, die der Reben, erſtreckt ſich vom Meeresufer bis in 390 bis 580 m Höhe; ſie iſt die am ſtärkſten bewohnte und die einzige, wo der Boden ſorgfältig bebaut iſt. In dieſer tiefen Lage, im Hafen von Orotava und überall, wo die Winde freien Zutritt haben, hält ſich der hundertteilige Thermometer im Winter, im Januar und Februar, um Mittag auf 15 bis 17°; im Sommer ſteigt die Hitze nicht über 25 oder 26°, iſt alſo um 5 bis 6° geringer als die größte Hitze, die jährlich in Paris, Berlin und St. Petersburg eintritt. Dies ergibt ſich aus den Beobach- tungen Savagis in den Jahren 1795 bis 1799. Die mittlere Temperatur der Küſte von Tenerifa ſcheint wenigſtens 21° (16,8° R.) zu ſein, und ihr Klima ſteht in der Mitte zwiſchen dem von Neapel und dem des heißen Erdſtrichs. Auf der Inſel Madeira ſind die mittleren Temperaturen des Januar und des Auguſt, nach Heberden, 17,7° und 28,8°, in Rom dagegen 5,6° und 26,1°. Aber ſo ähnlich ſich die Klimate von Madeira und Tenerifa ſind, kommen doch die Gewächſe der erſteren Inſel im allgemeinen in Europa leichter fort als die von Tenerifa. Der Cheiranthus longifolius von Orotava z. B. erfriert in Marſeille, wie de Candolle beobachtet hat, während der Cheiranthus mutabilis von Madeira dort im Freien überwintert. Die Sommerhitze dauert auf Madeira nicht ſo lange als auf Tenerifa. In der Region der Reben kommen vor acht Arten baum- artiger Euphorbien, Meſembryanthemumarten, die vom Kap der guten Hoffnung bis zum Peloponnes verbreitet ſind, die Cacalia Kleinia, der Drachenbaum, und andere Gewächſe, 2 2 in 840, in Norwegen dagegen, unter 67°, fern von der Küſte in 1170 m Höhe, und doch ſind hier die Winter ungleich ſtrenger, folglich die mittlere Jahrestemperatur geringer als in Island. Nach dieſen Angaben erſcheint es als wahrſcheinlich, daß Bouguer und Sauſſure im Irrtum ſind, wenn ſie annehmen, daß der Pik von Tenerifa die untere Grenze des ewigen Schnees erreiche. Unter 28° 17′ der Breite ergeben ſich für dieſe Grenze wenigſtens 3800 m, ſelbſt wenn man ſie zwiſchen dem Aetna und den Bergen von Mexiko durch Interpolation berechnet. Dieſer Punkt wird voll- ſtändig ins reine gebracht werden, wenn einmal der weſtliche Teil des Atlas gemeſſen iſt, wo bei Marokko unter 31½° Breite ewiger Schnee liegt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/127>, abgerufen am 27.04.2024.