dilleren unmittelbar an die Gewächse aus der Familie der Kryptogamen stoßen. Mit Blüten bedeckte Retamabüsche schmücken die kleinen, von den Regenströmen eingerissenen und durch die Seitenausbrüche verstopften Thäler; unter der Re- tama folgt die Region der Farne und auf diese die der baum- artigen Heiden. Wälder von Lorbeeren, Rhamnus und Erd- beerbäumen liegen zwischen den Heidekräutern und den mit Reben und Obstbäumen bepflanzten Geländen. Ein reicher grüner Teppich breitet sich von der Ebene der Ginster und der Zone der Alpenkräuter bis zu den Gruppen von Dattel- palmen und Musen, deren Fuß das Weltmeer zu bespülen scheint. Ich deute hier nur die Hauptzüge dieser Pflanzen- karte an; im folgenden gebe ich einiges Nähere über die Pflanzengeographie der Insel Tenerifa.
Daß auf der Spitze des Piks die Dörfchen, Weinberge und Gärten an der Küste einem so nahe gerückt scheinen, dazu trägt die erstaunliche Durchsichtigkeit der Luft viel bei. Trotz der bedeutenden Entfernung erkannten wir nicht nur die Häuser, die Baumstämme, das Takelwerk der Schiffe, wir sahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den leb- haftesten Farben glänzen. Diese Erscheinung ist nicht allein dem hohen Standpunkt zuzuschreiben, sie deutet auf eine eigen- tümliche Beschaffenheit der Luft in heißen Ländern. Unter allen Zonen erscheint ein Gegenstand, der sich auf dem Meeres- spiegel befindet und von dem die Lichtstrahlen in wagerechter Richtung ausgehen, weniger lichtstark, als wenn man ihn vom Gipfel eines Berges sieht, wohin die Wasserdämpfe durch Luftschichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich auffallende Unterschiede werden vom Einfluß der Klimate be- dingt; der Spiegel eines Sees oder eines breiten Flusses glänzt bei gleicher Entfernung weniger, wenn man ihn vom Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom Gipfel der Kordilleren von Peru oder Mexiko sieht. Je reiner und heiterer die Luft ist, desto vollständiger lösen sich die Wasserdämpfe auf und desto weniger wird das Licht bei seinem Durchgang geschwächt. Wenn man von der Südsee her auf die Hochebene von Quito oder Antisana kommt, so wundert man sich in den ersten Tagen, wie nahe gerückt Gegenstände erscheinen, die 31 bis 36 km entfernt sind. Der Pik von Teyde genießt nun zwar nicht des Vorteils, unter den Tropen zu liegen, aber die Trockenheit der Luftsäulen, welche fortwährend über den benachbarten afrikanischen Ebenen
dilleren unmittelbar an die Gewächſe aus der Familie der Kryptogamen ſtoßen. Mit Blüten bedeckte Retamabüſche ſchmücken die kleinen, von den Regenſtrömen eingeriſſenen und durch die Seitenausbrüche verſtopften Thäler; unter der Re- tama folgt die Region der Farne und auf dieſe die der baum- artigen Heiden. Wälder von Lorbeeren, Rhamnus und Erd- beerbäumen liegen zwiſchen den Heidekräutern und den mit Reben und Obſtbäumen bepflanzten Geländen. Ein reicher grüner Teppich breitet ſich von der Ebene der Ginſter und der Zone der Alpenkräuter bis zu den Gruppen von Dattel- palmen und Muſen, deren Fuß das Weltmeer zu beſpülen ſcheint. Ich deute hier nur die Hauptzüge dieſer Pflanzen- karte an; im folgenden gebe ich einiges Nähere über die Pflanzengeographie der Inſel Tenerifa.
Daß auf der Spitze des Piks die Dörfchen, Weinberge und Gärten an der Küſte einem ſo nahe gerückt ſcheinen, dazu trägt die erſtaunliche Durchſichtigkeit der Luft viel bei. Trotz der bedeutenden Entfernung erkannten wir nicht nur die Häuſer, die Baumſtämme, das Takelwerk der Schiffe, wir ſahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den leb- hafteſten Farben glänzen. Dieſe Erſcheinung iſt nicht allein dem hohen Standpunkt zuzuſchreiben, ſie deutet auf eine eigen- tümliche Beſchaffenheit der Luft in heißen Ländern. Unter allen Zonen erſcheint ein Gegenſtand, der ſich auf dem Meeres- ſpiegel befindet und von dem die Lichtſtrahlen in wagerechter Richtung ausgehen, weniger lichtſtark, als wenn man ihn vom Gipfel eines Berges ſieht, wohin die Waſſerdämpfe durch Luftſchichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich auffallende Unterſchiede werden vom Einfluß der Klimate be- dingt; der Spiegel eines Sees oder eines breiten Fluſſes glänzt bei gleicher Entfernung weniger, wenn man ihn vom Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom Gipfel der Kordilleren von Peru oder Mexiko ſieht. Je reiner und heiterer die Luft iſt, deſto vollſtändiger löſen ſich die Waſſerdämpfe auf und deſto weniger wird das Licht bei ſeinem Durchgang geſchwächt. Wenn man von der Südſee her auf die Hochebene von Quito oder Antiſana kommt, ſo wundert man ſich in den erſten Tagen, wie nahe gerückt Gegenſtände erſcheinen, die 31 bis 36 km entfernt ſind. Der Pik von Teyde genießt nun zwar nicht des Vorteils, unter den Tropen zu liegen, aber die Trockenheit der Luftſäulen, welche fortwährend über den benachbarten afrikaniſchen Ebenen
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dilleren unmittelbar an die Gewächſe aus der Familie der
Kryptogamen ſtoßen. Mit Blüten bedeckte Retamabüſche
ſchmücken die kleinen, von den Regenſtrömen eingeriſſenen und
durch die Seitenausbrüche verſtopften Thäler; unter der Re-
tama folgt die Region der Farne und auf dieſe die der baum-
artigen Heiden. Wälder von Lorbeeren, Rhamnus und Erd-
beerbäumen liegen zwiſchen den Heidekräutern und den mit
Reben und Obſtbäumen bepflanzten Geländen. Ein reicher
grüner Teppich breitet ſich von der Ebene der Ginſter und
der Zone der Alpenkräuter bis zu den Gruppen von Dattel-
palmen und Muſen, deren Fuß das Weltmeer zu beſpülen
ſcheint. Ich deute hier nur die Hauptzüge dieſer Pflanzen-
karte an; im folgenden gebe ich einiges Nähere über die
Pflanzengeographie der Inſel Tenerifa.
Daß auf der Spitze des Piks die Dörfchen, Weinberge
und Gärten an der Küſte einem ſo nahe gerückt ſcheinen,
dazu trägt die erſtaunliche Durchſichtigkeit der Luft viel bei.
Trotz der bedeutenden Entfernung erkannten wir nicht nur
die Häuſer, die Baumſtämme, das Takelwerk der Schiffe, wir
ſahen auch die reiche Pflanzenwelt der Ebenen in den leb-
hafteſten Farben glänzen. Dieſe Erſcheinung iſt nicht allein
dem hohen Standpunkt zuzuſchreiben, ſie deutet auf eine eigen-
tümliche Beſchaffenheit der Luft in heißen Ländern. Unter
allen Zonen erſcheint ein Gegenſtand, der ſich auf dem Meeres-
ſpiegel befindet und von dem die Lichtſtrahlen in wagerechter
Richtung ausgehen, weniger lichtſtark, als wenn man ihn vom
Gipfel eines Berges ſieht, wohin die Waſſerdämpfe durch
Luftſchichten von abnehmender Dichtigkeit gelangen. Gleich
auffallende Unterſchiede werden vom Einfluß der Klimate be-
dingt; der Spiegel eines Sees oder eines breiten Fluſſes
glänzt bei gleicher Entfernung weniger, wenn man ihn vom
Kamme der Schweizer Hochalpen, als wenn man ihn vom
Gipfel der Kordilleren von Peru oder Mexiko ſieht. Je reiner
und heiterer die Luft iſt, deſto vollſtändiger löſen ſich die
Waſſerdämpfe auf und deſto weniger wird das Licht bei
ſeinem Durchgang geſchwächt. Wenn man von der Südſee
her auf die Hochebene von Quito oder Antiſana kommt, ſo
wundert man ſich in den erſten Tagen, wie nahe gerückt
Gegenſtände erſcheinen, die 31 bis 36 km entfernt ſind. Der
Pik von Teyde genießt nun zwar nicht des Vorteils, unter
den Tropen zu liegen, aber die Trockenheit der Luftſäulen,
welche fortwährend über den benachbarten afrikaniſchen Ebenen
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/108>, abgerufen am 26.04.2024.
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