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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896.

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was erst, wenn religiöse Gleichgültigkeit und Kälte wie
böse Geister auch in der Familie hausen? Oder wenn
das Familienleben durch das hundertköpfige Ungeheuer
der Genußsucht und durch Ehescheidungen todtgeschlagen
wird! Wer Ohren hat zu hören, der höre, wer Augen
hat zu sehen, der sehe.

Oder zieht die Verblendung nicht immer weitere
Kreise? Oder giebt es nicht abermal tausende, welche
wie Schriftgelehrte und Pharisäer die Predigt Christi
nicht verstehen wollen? Je weiter aber dies Uebel um
sich greifen sollte, desto herrlicher kann sich die Geschwister-
liebe entfalten, wenn auch oft wie eine Lilie unter den
Dornen. Oder giebt es nicht Familien, wo ein Sohn,
wo eine Tochter Irrwege wandelt? Da ist es denn
Aufgabe der Geschwister zu bitten; zu mahnen, zu warnen,
zu beschwören und zu beten. Denn die Bekehrung ist
ein Wunderwerk der göttlichen Gnade, wie die Heilung
des Aussätzigen und des kranken Knechtes eine That gött-
licher Allmacht.

Um daher das Unglück ferne zu halten, oder wieder
abzuwenden, haltet die Hausandachten. Wohl ist das zu-
nächst Sache der Eltern; aber die größern Kinder sollen
ihnen dabei behülflich sein - oder falls die Eltern gleich-
gültig sind - selbst diese Andacht halten. Eine Schwester
soll gleichsam Mutter, und gleichsam Vater ein Bruder sein.

Das ist doppelt nothwendig, wenn der Vater oder
die Mutter gestorben. Wenn dann so eine Tochter wie
eine Mutter den Vater tröstet und ihre Geschwister besorgt,
oder wenn so ein Sohn wie ein Vater an der Seite seiner
Mutter und Geschwister steht, wird die Wunde, welche der
Tod von Vater und Mutter geschlagen, nicht so stark ge-
fühlt, und die Familie wird durch das Band der Geschwister-
liebe zusammengehalten. Wo immer so schöne Verhält-
nisse, sollte nicht leicht an die Eingehung einer zweiten

was erst, wenn religiöse Gleichgültigkeit und Kälte wie
böse Geister auch in der Familie hausen? Oder wenn
das Familienleben durch das hundertköpfige Ungeheuer
der Genußsucht und durch Ehescheidungen todtgeschlagen
wird! Wer Ohren hat zu hören, der höre, wer Augen
hat zu sehen, der sehe.

Oder zieht die Verblendung nicht immer weitere
Kreise? Oder giebt es nicht abermal tausende, welche
wie Schriftgelehrte und Pharisäer die Predigt Christi
nicht verstehen wollen? Je weiter aber dies Uebel um
sich greifen sollte, desto herrlicher kann sich die Geschwister-
liebe entfalten, wenn auch oft wie eine Lilie unter den
Dornen. Oder giebt es nicht Familien, wo ein Sohn,
wo eine Tochter Irrwege wandelt? Da ist es denn
Aufgabe der Geschwister zu bitten; zu mahnen, zu warnen,
zu beschwören und zu beten. Denn die Bekehrung ist
ein Wunderwerk der göttlichen Gnade, wie die Heilung
des Aussätzigen und des kranken Knechtes eine That gött-
licher Allmacht.

Um daher das Unglück ferne zu halten, oder wieder
abzuwenden, haltet die Hausandachten. Wohl ist das zu-
nächst Sache der Eltern; aber die größern Kinder sollen
ihnen dabei behülflich sein – oder falls die Eltern gleich-
gültig sind – selbst diese Andacht halten. Eine Schwester
soll gleichsam Mutter, und gleichsam Vater ein Bruder sein.

Das ist doppelt nothwendig, wenn der Vater oder
die Mutter gestorben. Wenn dann so eine Tochter wie
eine Mutter den Vater tröstet und ihre Geschwister besorgt,
oder wenn so ein Sohn wie ein Vater an der Seite seiner
Mutter und Geschwister steht, wird die Wunde, welche der
Tod von Vater und Mutter geschlagen, nicht so stark ge-
fühlt, und die Familie wird durch das Band der Geschwister-
liebe zusammengehalten. Wo immer so schöne Verhält-
nisse, sollte nicht leicht an die Eingehung einer zweiten

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[319/0331] was erst, wenn religiöse Gleichgültigkeit und Kälte wie böse Geister auch in der Familie hausen? Oder wenn das Familienleben durch das hundertköpfige Ungeheuer der Genußsucht und durch Ehescheidungen todtgeschlagen wird! Wer Ohren hat zu hören, der höre, wer Augen hat zu sehen, der sehe. Oder zieht die Verblendung nicht immer weitere Kreise? Oder giebt es nicht abermal tausende, welche wie Schriftgelehrte und Pharisäer die Predigt Christi nicht verstehen wollen? Je weiter aber dies Uebel um sich greifen sollte, desto herrlicher kann sich die Geschwister- liebe entfalten, wenn auch oft wie eine Lilie unter den Dornen. Oder giebt es nicht Familien, wo ein Sohn, wo eine Tochter Irrwege wandelt? Da ist es denn Aufgabe der Geschwister zu bitten; zu mahnen, zu warnen, zu beschwören und zu beten. Denn die Bekehrung ist ein Wunderwerk der göttlichen Gnade, wie die Heilung des Aussätzigen und des kranken Knechtes eine That gött- licher Allmacht. Um daher das Unglück ferne zu halten, oder wieder abzuwenden, haltet die Hausandachten. Wohl ist das zu- nächst Sache der Eltern; aber die größern Kinder sollen ihnen dabei behülflich sein – oder falls die Eltern gleich- gültig sind – selbst diese Andacht halten. Eine Schwester soll gleichsam Mutter, und gleichsam Vater ein Bruder sein. Das ist doppelt nothwendig, wenn der Vater oder die Mutter gestorben. Wenn dann so eine Tochter wie eine Mutter den Vater tröstet und ihre Geschwister besorgt, oder wenn so ein Sohn wie ein Vater an der Seite seiner Mutter und Geschwister steht, wird die Wunde, welche der Tod von Vater und Mutter geschlagen, nicht so stark ge- fühlt, und die Familie wird durch das Band der Geschwister- liebe zusammengehalten. Wo immer so schöne Verhält- nisse, sollte nicht leicht an die Eingehung einer zweiten

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Zitationshilfe: Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/331>, abgerufen am 24.11.2024.