darinn einen grossen Schild der Tugend. Schamhaftigkeit, Schüchternheit, ein gewisses innres Gefühl von Unrechtthun, genug, alle die zarten Empfindungen, die den Begriff der Jungfräulichkeit aus- machen, werden ihn immer noch, auch bey sehr grosser Verführung, zurück- schrecken. Aber eine einzige Uebertre- tung vernichtet sie alle unwiderbring- lich. Dazu kommt noch, dass der erste Genuss oft erst das Bedürfniss dazu er- regt, und den ersten Keim jenes noch schlafenden Triebs erweckt, so wie jeder Sinn erst durch Kultur zum vollkomm- nen Sinn wird. Es ist in diesem Betracht nicht blos die physische sondern auch die moralische Jungfrauschaft etwas sehr Reelles, und ein heiliges Gut, das beyde Geschlechter sorgfältig bewahren sollten. Aber eben so gewiss ist es, dass ein ein- ziger Fall hinreicht, um uns dieselbe, nicht blos physisch sondern auch mora- lisch zu rauben, und wer einmal gefal- len ist, der wird zuverlässig öftrer fallen.
darinn einen groſsen Schild der Tugend. Schamhaftigkeit, Schüchternheit, ein gewiſſes innres Gefühl von Unrechtthun, genug, alle die zarten Empfindungen, die den Begriff der Jungfräulichkeit aus- machen, werden ihn immer noch, auch bey ſehr groſser Verführung, zurück- ſchrecken. Aber eine einzige Uebertre- tung vernichtet ſie alle unwiderbring- lich. Dazu kommt noch, daſs der erſte Genuſs oft erſt das Bedürfniſs dazu er- regt, und den erſten Keim jenes noch ſchlafenden Triebs erweckt, ſo wie jeder Sinn erſt durch Kultur zum vollkomm- nen Sinn wird. Es iſt in dieſem Betracht nicht blos die phyſiſche ſondern auch die moraliſche Jungfrauſchaft etwas ſehr Reelles, und ein heiliges Gut, das beyde Geſchlechter ſorgfältig bewahren ſollten. Aber eben ſo gewiſs iſt es, daſs ein ein- ziger Fall hinreicht, um uns dieſelbe, nicht blos phyſiſch ſondern auch mora- liſch zu rauben, und wer einmal gefal- len iſt, der wird zuverläſſig öftrer fallen.
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darinn einen groſsen Schild der Tugend.
Schamhaftigkeit, Schüchternheit, ein
gewiſſes innres Gefühl von Unrechtthun,
genug, alle die zarten Empfindungen,
die den Begriff der Jungfräulichkeit aus-
machen, werden ihn immer noch, auch
bey ſehr groſser Verführung, zurück-
ſchrecken. Aber eine einzige Uebertre-
tung vernichtet ſie alle unwiderbring-
lich. Dazu kommt noch, daſs der erſte
Genuſs oft erſt das Bedürfniſs dazu er-
regt, und den erſten Keim jenes noch
ſchlafenden Triebs erweckt, ſo wie jeder
Sinn erſt durch Kultur zum vollkomm-
nen Sinn wird. Es iſt in dieſem Betracht
nicht blos die phyſiſche ſondern auch
die moraliſche Jungfrauſchaft etwas ſehr
Reelles, und ein heiliges Gut, das beyde
Geſchlechter ſorgfältig bewahren ſollten.
Aber eben ſo gewiſs iſt es, daſs ein ein-
ziger Fall hinreicht, um uns dieſelbe,
nicht blos phyſiſch ſondern auch mora-
liſch zu rauben, und wer einmal gefal-
len iſt, der wird zuverläſſig öftrer
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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/560>, abgerufen am 22.11.2024.
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