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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

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Bier u. dgl. Und dieses Vorurtheil ver-
dient besonders gerügt zu werden, weil
es immer mehr Anhänger gewinnt, mit
der jezt beliebten excitirenden Methode
zusammentrifft, und das Nachtheilige
selbst von Aerzten nicht immer gehörig
eingesehen wird. Denn, sagt man, das
Fleisch stärkt, und diess ist gerade, was
ein Kind braucht. Aber meine Gründe
dagegen sind folgende: Es muss immer
ein gewisses Verhältniss seyn zwischen
dem Nährenden und dem zu nährenden,
zwischen dem Reiz und der Reizfähig-
keit. Je grösser die Reizfähigkeit ist,
desto stärker kann auch ein kleiner Reiz
wirken, je schwächer jene, desto schwä-
cher ist die Wirkung des Reizes. Nun
verhält sich aber diese Reizfähigkeit im
menschlichen Leben in immer abneh-
mender Proportion. In der ersten Pe-
riode des Lebens ist sie am stärksten,
denn von Jahr zu Jahr schwächer, bis sie
im Alter gar erlöscht. Man kann folg-
lich sagen, dass Milch in Absicht ihrer
reizenden und stärkenden Kraft in eben

Bier u. dgl. Und dieſes Vorurtheil ver-
dient beſonders gerügt zu werden, weil
es immer mehr Anhänger gewinnt, mit
der jezt beliebten excitirenden Methode
zuſammentrifft, und das Nachtheilige
ſelbſt von Aerzten nicht immer gehörig
eingeſehen wird. Denn, ſagt man, das
Fleiſch ſtärkt, und dieſs iſt gerade, was
ein Kind braucht. Aber meine Gründe
dagegen ſind folgende: Es muſs immer
ein gewiſſes Verhältniſs ſeyn zwiſchen
dem Nährenden und dem zu nährenden,
zwiſchen dem Reiz und der Reizfähig-
keit. Je gröſser die Reizfähigkeit iſt,
deſto ſtärker kann auch ein kleiner Reiz
wirken, je ſchwächer jene, deſto ſchwä-
cher iſt die Wirkung des Reizes. Nun
verhält ſich aber dieſe Reizfähigkeit im
menſchlichen Leben in immer abneh-
mender Proportion. In der erſten Pe-
riode des Lebens iſt ſie am ſtärkſten,
denn von Jahr zu Jahr ſchwächer, bis ſie
im Alter gar erlöſcht. Man kann folg-
lich ſagen, daſs Milch in Abſicht ihrer
reizenden und ſtärkenden Kraft in eben

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[484/0512] Bier u. dgl. Und dieſes Vorurtheil ver- dient beſonders gerügt zu werden, weil es immer mehr Anhänger gewinnt, mit der jezt beliebten excitirenden Methode zuſammentrifft, und das Nachtheilige ſelbſt von Aerzten nicht immer gehörig eingeſehen wird. Denn, ſagt man, das Fleiſch ſtärkt, und dieſs iſt gerade, was ein Kind braucht. Aber meine Gründe dagegen ſind folgende: Es muſs immer ein gewiſſes Verhältniſs ſeyn zwiſchen dem Nährenden und dem zu nährenden, zwiſchen dem Reiz und der Reizfähig- keit. Je gröſser die Reizfähigkeit iſt, deſto ſtärker kann auch ein kleiner Reiz wirken, je ſchwächer jene, deſto ſchwä- cher iſt die Wirkung des Reizes. Nun verhält ſich aber dieſe Reizfähigkeit im menſchlichen Leben in immer abneh- mender Proportion. In der erſten Pe- riode des Lebens iſt ſie am ſtärkſten, denn von Jahr zu Jahr ſchwächer, bis ſie im Alter gar erlöſcht. Man kann folg- lich ſagen, daſs Milch in Abſicht ihrer reizenden und ſtärkenden Kraft in eben

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Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/512>, abgerufen am 22.11.2024.