Nicht weniger schädlich ist die zweyte Krankheit der Einbildungskraft, die Empfindeley, die romanhafte Denk- art, die traurige Schwärmerey. Es ist ganz einerley, ob man die traurigen Be- gebenheiten selbst erlebt, oder durch Romanen und Empfindeley sich so leb- haft macht, dass man eben das nieder- schlagende Gefühl davon hat. Ja es ist in so fern noch nachtheiliger, weil es dort ein natürlicher Zustand, hier aber ein erkünstelter und also desto angrei- fenderer Affect ist. Wir haben gesehen, wie äusserst schädlich Traurigkeit für alle Lebenskraft und Bewegung ist. Man kann also leicht denken, wie de- struirend eine solche Seelenstimmung seyn muss, die beständigen Trübsinn zum Gefährten des Lebens macht, die sogar die reinsten Freuden mit Thrä- nen und herzbrechenden Empfindun- gen geniesst. Welche Tödtung al- ler Energie, alles frohen Muths! Ge- wiss, ein Paar Jahre in einem sol-
Nicht weniger ſchädlich iſt die zweyte Krankheit der Einbildungskraft, die Empfindeley, die romanhafte Denk- art, die traurige Schwärmerey. Es iſt ganz einerley, ob man die traurigen Be- gebenheiten ſelbſt erlebt, oder durch Romanen und Empfindeley ſich ſo leb- haft macht, daſs man eben das nieder- ſchlagende Gefühl davon hat. Ja es iſt in ſo fern noch nachtheiliger, weil es dort ein natürlicher Zuſtand, hier aber ein erkünſtelter und alſo deſto angrei- fenderer Affect iſt. Wir haben geſehen, wie äuſserſt ſchädlich Traurigkeit für alle Lebenskraft und Bewegung iſt. Man kann alſo leicht denken, wie de- ſtruirend eine ſolche Seelenſtimmung ſeyn muſs, die beſtändigen Trübſinn zum Gefährten des Lebens macht, die ſogar die reinſten Freuden mit Thrä- nen und herzbrechenden Empfindun- gen genieſst. Welche Tödtung al- ler Energie, alles frohen Muths! Ge- wiſs, ein Paar Jahre in einem ſol-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0440"n="412"/><p>Nicht weniger ſchädlich iſt die<lb/>
zweyte Krankheit der Einbildungskraft,<lb/>
die <hirendition="#i">Empfindeley</hi>, die romanhafte Denk-<lb/>
art, die traurige Schwärmerey. Es iſt<lb/>
ganz einerley, ob man die traurigen Be-<lb/>
gebenheiten ſelbſt erlebt, oder durch<lb/>
Romanen und Empfindeley ſich ſo leb-<lb/>
haft macht, daſs man eben das nieder-<lb/>ſchlagende Gefühl davon hat. Ja es iſt<lb/>
in ſo fern noch nachtheiliger, weil es<lb/>
dort ein natürlicher Zuſtand, hier aber<lb/>
ein erkünſtelter und alſo deſto angrei-<lb/>
fenderer Affect iſt. Wir haben geſehen,<lb/>
wie äuſserſt ſchädlich Traurigkeit für<lb/>
alle Lebenskraft und Bewegung iſt.<lb/>
Man kann alſo leicht denken, wie de-<lb/>ſtruirend eine ſolche Seelenſtimmung<lb/>ſeyn muſs, die beſtändigen Trübſinn<lb/>
zum Gefährten des Lebens macht, die<lb/>ſogar die reinſten Freuden mit Thrä-<lb/>
nen und herzbrechenden Empfindun-<lb/>
gen genieſst. Welche Tödtung al-<lb/>
ler Energie, alles frohen Muths! Ge-<lb/>
wiſs, ein Paar Jahre in einem ſol-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[412/0440]
Nicht weniger ſchädlich iſt die
zweyte Krankheit der Einbildungskraft,
die Empfindeley, die romanhafte Denk-
art, die traurige Schwärmerey. Es iſt
ganz einerley, ob man die traurigen Be-
gebenheiten ſelbſt erlebt, oder durch
Romanen und Empfindeley ſich ſo leb-
haft macht, daſs man eben das nieder-
ſchlagende Gefühl davon hat. Ja es iſt
in ſo fern noch nachtheiliger, weil es
dort ein natürlicher Zuſtand, hier aber
ein erkünſtelter und alſo deſto angrei-
fenderer Affect iſt. Wir haben geſehen,
wie äuſserſt ſchädlich Traurigkeit für
alle Lebenskraft und Bewegung iſt.
Man kann alſo leicht denken, wie de-
ſtruirend eine ſolche Seelenſtimmung
ſeyn muſs, die beſtändigen Trübſinn
zum Gefährten des Lebens macht, die
ſogar die reinſten Freuden mit Thrä-
nen und herzbrechenden Empfindun-
gen genieſst. Welche Tödtung al-
ler Energie, alles frohen Muths! Ge-
wiſs, ein Paar Jahre in einem ſol-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/440>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.