Es ist mir unmöglich, hier eine Ei- genschaft unsrer Zeiten zu übergehen, die uns gewiss einen schönen Theil un- srer Lebenstage raubt, nehmlich jene unglückliche Vielgeschäftigkeit (Poby- pragmosyne), die sich jezt eines grossen Theils des menschlichen Geschlechts be- mächtigt hat, jenes unaufhörliche innre Treiben und Streben nach neuen Unter- nehmungen, Arbeiten, Planen. Der Genius Seculi bringt es mit sich, dass Selbstdenken, Thätigkeit, Speculatio- nen, Reformationen, den Menschen weit natürlicher sind, als sonst, und alle ihnen beywohnenden Kräfte sich weit lebhafter regen; der Luxus kommt dazu, der durch seine immer vervielfältigten Bedürfnisse, immer neue Anstrengungen der Kräfte, immer neue Unternehmun- gen nöthig macht. Daraus entsteht nun jene unaufhörliche Regsamkeit, die endlich alle Empfänglichkeit für innere Ruhe und Seelenfrieden zerstöhrt, den Menschen nie zu dem Grade von
Es iſt mir unmöglich, hier eine Ei- genſchaft unſrer Zeiten zu übergehen, die uns gewiſs einen ſchönen Theil un- ſrer Lebenstage raubt, nehmlich jene unglückliche Vielgeſchäftigkeit (Poby- pragmoſyne), die ſich jezt eines groſsen Theils des menſchlichen Geſchlechts be- mächtigt hat, jenes unaufhörliche innre Treiben und Streben nach neuen Unter- nehmungen, Arbeiten, Planen. Der Genius Seculi bringt es mit ſich, daſs Selbſtdenken, Thätigkeit, Speculatio- nen, Reformationen, den Menſchen weit natürlicher ſind, als ſonſt, und alle ihnen beywohnenden Kräfte ſich weit lebhafter regen; der Luxus kommt dazu, der durch ſeine immer vervielfältigten Bedürfniſſe, immer neue Anſtrengungen der Kräfte, immer neue Unternehmun- gen nöthig macht. Daraus entſteht nun jene unaufhörliche Regſamkeit, die endlich alle Empfänglichkeit für innere Ruhe und Seelenfrieden zerſtöhrt, den Menſchen nie zu dem Grade von
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Es iſt mir unmöglich, hier eine Ei-
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die uns gewiſs einen ſchönen Theil un-
ſrer Lebenstage raubt, nehmlich jene
unglückliche Vielgeſchäftigkeit (Poby-
pragmoſyne), die ſich jezt eines groſsen
Theils des menſchlichen Geſchlechts be-
mächtigt hat, jenes unaufhörliche innre
Treiben und Streben nach neuen Unter-
nehmungen, Arbeiten, Planen. Der
Genius Seculi bringt es mit ſich, daſs
Selbſtdenken, Thätigkeit, Speculatio-
nen, Reformationen, den Menſchen
weit natürlicher ſind, als ſonſt, und alle
ihnen beywohnenden Kräfte ſich weit
lebhafter regen; der Luxus kommt dazu,
der durch ſeine immer vervielfältigten
Bedürfniſſe, immer neue Anſtrengungen
der Kräfte, immer neue Unternehmun-
gen nöthig macht. Daraus entſteht nun
jene unaufhörliche Regſamkeit, die
endlich alle Empfänglichkeit für innere
Ruhe und Seelenfrieden zerſtöhrt, den
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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/419>, abgerufen am 22.11.2024.
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