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Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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daher nicht mit Gewißheit behaupten, daß, als Donna Ersilia das Schreiben Gigia's in die Tasche steckte, ihr dabei eine bestimmte Absicht vorgeschwebt habe.

Maso aber, welcher von den großen, in einem besonderen Zimmer der Villa aufgestellten Briefherbarien seiner Padrona nichts wußte, meinte, das Verschwinden seines Briefe in der Tasche der Donna Ersilia sei ein Vorgang von hoher Bedeutung. Er fand darin den klaren Beweis, daß Donna Ersilia noch weiter seine Sache führen und daß sie auch diesen Knäuel entwirren werde. Und weil er nun einmal das Ding in solchem Lichte betrachtete, so fiel es ihm auch nicht ein, den Worten der Padrona einen schlimmen Sinn beizulegen. Es sei sein Glück, daß es so gekommen! Nun, worin anders konnte denn sein Glück bestehen, als daß Gigia trotz ihres räthselhaften Schreibens die Seinige würde? Von all seiner Bangigkeit befreit, munter und vertrauensvoll wie jüngst, ging er daher auch diesmal von der Villa heim.

Die Woche verstrich unter der drängenden Arbeit der Weinlese, und Maso, welchem den Tag über die schwere Traubenhütte auf dem Rücken hing, fielen am Abend die Augen zu, gerade wenn er meinte, ungestört an seine Herzensangelegenheit denken zu können. Dafür wollte er den Sonntag um so gründlicher ausnutzen. Am Abend zuvor war er auf der Villa gewesen, um wie gewöhnlich die Sonntagspost zur Beförderung nach Florenz in Empfang zu nehmen; allein zu seinem großen

daher nicht mit Gewißheit behaupten, daß, als Donna Ersilia das Schreiben Gigia's in die Tasche steckte, ihr dabei eine bestimmte Absicht vorgeschwebt habe.

Maso aber, welcher von den großen, in einem besonderen Zimmer der Villa aufgestellten Briefherbarien seiner Padrona nichts wußte, meinte, das Verschwinden seines Briefe in der Tasche der Donna Ersilia sei ein Vorgang von hoher Bedeutung. Er fand darin den klaren Beweis, daß Donna Ersilia noch weiter seine Sache führen und daß sie auch diesen Knäuel entwirren werde. Und weil er nun einmal das Ding in solchem Lichte betrachtete, so fiel es ihm auch nicht ein, den Worten der Padrona einen schlimmen Sinn beizulegen. Es sei sein Glück, daß es so gekommen! Nun, worin anders konnte denn sein Glück bestehen, als daß Gigia trotz ihres räthselhaften Schreibens die Seinige würde? Von all seiner Bangigkeit befreit, munter und vertrauensvoll wie jüngst, ging er daher auch diesmal von der Villa heim.

Die Woche verstrich unter der drängenden Arbeit der Weinlese, und Maso, welchem den Tag über die schwere Traubenhütte auf dem Rücken hing, fielen am Abend die Augen zu, gerade wenn er meinte, ungestört an seine Herzensangelegenheit denken zu können. Dafür wollte er den Sonntag um so gründlicher ausnutzen. Am Abend zuvor war er auf der Villa gewesen, um wie gewöhnlich die Sonntagspost zur Beförderung nach Florenz in Empfang zu nehmen; allein zu seinem großen

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[0039] daher nicht mit Gewißheit behaupten, daß, als Donna Ersilia das Schreiben Gigia's in die Tasche steckte, ihr dabei eine bestimmte Absicht vorgeschwebt habe. Maso aber, welcher von den großen, in einem besonderen Zimmer der Villa aufgestellten Briefherbarien seiner Padrona nichts wußte, meinte, das Verschwinden seines Briefe in der Tasche der Donna Ersilia sei ein Vorgang von hoher Bedeutung. Er fand darin den klaren Beweis, daß Donna Ersilia noch weiter seine Sache führen und daß sie auch diesen Knäuel entwirren werde. Und weil er nun einmal das Ding in solchem Lichte betrachtete, so fiel es ihm auch nicht ein, den Worten der Padrona einen schlimmen Sinn beizulegen. Es sei sein Glück, daß es so gekommen! Nun, worin anders konnte denn sein Glück bestehen, als daß Gigia trotz ihres räthselhaften Schreibens die Seinige würde? Von all seiner Bangigkeit befreit, munter und vertrauensvoll wie jüngst, ging er daher auch diesmal von der Villa heim. Die Woche verstrich unter der drängenden Arbeit der Weinlese, und Maso, welchem den Tag über die schwere Traubenhütte auf dem Rücken hing, fielen am Abend die Augen zu, gerade wenn er meinte, ungestört an seine Herzensangelegenheit denken zu können. Dafür wollte er den Sonntag um so gründlicher ausnutzen. Am Abend zuvor war er auf der Villa gewesen, um wie gewöhnlich die Sonntagspost zur Beförderung nach Florenz in Empfang zu nehmen; allein zu seinem großen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:13:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:13:28Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Horner, Heinrich [d. i. Heinrich Homberger]: Der Säugling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/horner_saeugling_1910/39>, abgerufen am 18.04.2024.