Holz, Arno: Phantasus. 1. Heft. Berlin, 1898.Kein Laut! Nur die Pappeln flüstern . . . Der alte Tümpel vor mir schwarz wie Tinte, um mich, über mir, von allen Seiten, auf Fledermausflügeln, die Nacht, und nur drüben noch, zwischen den beiden Weidenstümpfen, die sich im Dunkeln wie Drachen dehnen, matt, fahl, verröchelnd, ein letzter Schwefelstreif. Auf ihm, scharf, eine Silhouette: ein Faun, der die Flöte bläst. Ich sehe deutlich seine Finger. Sie sind alle zierlich gespreizt und die beiden kleinsten sogar höchst kokett aufwärts gebogen. Das graziöse Röhrchen quer in ihrer Mitte schwebt fast wagerecht über der linken Schulter. Auch die rechte sehe ich. Nur den Kopf nicht. Der fehlt. Der ist runtergekullert. Der liegt seit hundert Jahren schon unten im Tümpel. Plitsch! --? Ein Frosch. Ich bin zusammengeschrocken. Der Streif drüben erlischt, ich fühle, wie das Wasser Kreise treibt, und die uralte Steinbank, auf der ich sitze, schauert mir plötzlich ihre Kälte bis ins Genick hinauf. . . . . .? Nein. Nichts. Nur die Pappeln. Kein Laut! Nur die Pappeln flüstern . . . Der alte Tümpel vor mir schwarz wie Tinte, um mich, über mir, von allen Seiten, auf Fledermausflügeln, die Nacht, und nur drüben noch, zwischen den beiden Weidenstümpfen, die sich im Dunkeln wie Drachen dehnen, matt, fahl, verröchelnd, ein letzter Schwefelstreif. Auf ihm, scharf, eine Silhouette: ein Faun, der die Flöte bläst. Ich sehe deutlich seine Finger. Sie sind alle zierlich gespreizt und die beiden kleinsten sogar höchst kokett aufwärts gebogen. Das graziöse Röhrchen quer in ihrer Mitte schwebt fast wagerecht über der linken Schulter. Auch die rechte sehe ich. Nur den Kopf nicht. Der fehlt. Der ist runtergekullert. Der liegt seit hundert Jahren schon unten im Tümpel. Plitsch! —? Ein Frosch. Ich bin zusammengeschrocken. Der Streif drüben erlischt, ich fühle, wie das Wasser Kreise treibt, und die uralte Steinbank, auf der ich sitze, schauert mir plötzlich ihre Kälte bis ins Genick hinauf. . . . . .? Nein. Nichts. Nur die Pappeln. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0053"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l rendition="#c">Kein Laut!</l><lb/> <l rendition="#c">Nur die Pappeln flüstern . . .</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l rendition="#c">Der alte Tümpel vor mir schwarz wie Tinte,</l><lb/> <l rendition="#c">um mich, über mir, von allen Seiten,</l><lb/> <l rendition="#c">auf Fledermausflügeln,</l><lb/> <l rendition="#c">die Nacht,</l><lb/> <l rendition="#c">und nur drüben noch,</l><lb/> <l rendition="#c">zwischen den beiden Weidenstümpfen,</l><lb/> <l rendition="#c">die sich im Dunkeln wie Drachen dehnen,</l><lb/> <l rendition="#c">matt, fahl, verröchelnd,</l><lb/> <l rendition="#c">ein letzter Schwefelstreif.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l rendition="#c">Auf ihm, scharf, eine Silhouette: ein Faun, der die Flöte bläst.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l rendition="#c">Ich sehe deutlich seine Finger.</l><lb/> <l rendition="#c">Sie sind alle zierlich gespreizt</l><lb/> <l rendition="#c">und die beiden kleinsten sogar höchst kokett aufwärts gebogen.</l><lb/> <l rendition="#c">Das graziöse Röhrchen quer in ihrer Mitte</l><lb/> <l rendition="#c">schwebt fast wagerecht über der linken Schulter.</l><lb/> <l rendition="#c">Auch die rechte sehe ich.</l><lb/> <l rendition="#c">Nur den Kopf nicht. Der fehlt. Der ist runtergekullert.</l><lb/> <l rendition="#c">Der liegt seit hundert Jahren schon</l><lb/> <l rendition="#c">unten im Tümpel.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l rendition="#c">Plitsch! —? Ein Frosch.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l rendition="#c">Ich bin zusammengeschrocken.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l rendition="#c">Der Streif drüben erlischt,</l><lb/> <l rendition="#c">ich fühle, wie das Wasser Kreise treibt,</l><lb/> <l rendition="#c">und die uralte Steinbank, auf der ich sitze,</l><lb/> <l rendition="#c">schauert mir plötzlich ihre Kälte bis ins Genick hinauf.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l rendition="#c">. . . . .?</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l rendition="#c">Nein. Nichts. Nur die Pappeln.</l> </lg><lb/> </lg> </body> </text> </TEI> [0053]
Kein Laut!
Nur die Pappeln flüstern . . .
Der alte Tümpel vor mir schwarz wie Tinte,
um mich, über mir, von allen Seiten,
auf Fledermausflügeln,
die Nacht,
und nur drüben noch,
zwischen den beiden Weidenstümpfen,
die sich im Dunkeln wie Drachen dehnen,
matt, fahl, verröchelnd,
ein letzter Schwefelstreif.
Auf ihm, scharf, eine Silhouette: ein Faun, der die Flöte bläst.
Ich sehe deutlich seine Finger.
Sie sind alle zierlich gespreizt
und die beiden kleinsten sogar höchst kokett aufwärts gebogen.
Das graziöse Röhrchen quer in ihrer Mitte
schwebt fast wagerecht über der linken Schulter.
Auch die rechte sehe ich.
Nur den Kopf nicht. Der fehlt. Der ist runtergekullert.
Der liegt seit hundert Jahren schon
unten im Tümpel.
Plitsch! —? Ein Frosch.
Ich bin zusammengeschrocken.
Der Streif drüben erlischt,
ich fühle, wie das Wasser Kreise treibt,
und die uralte Steinbank, auf der ich sitze,
schauert mir plötzlich ihre Kälte bis ins Genick hinauf.
. . . . .?
Nein. Nichts. Nur die Pappeln.
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