Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
Schon küßt die Welt ein bleiches Abendroth,
Die alte Griechensonne des Homer
Hat sich ertränkt ins teifundunkle Meer,
Und seine Sense schärft der schwarze Tod.
Kein Stern, der farbig durch die Wolken bricht,
Kein Traum, der kühlend um die Schläfen weht,
Kein Lied, das Wunder thut wie ein Gebet,
Kein Herz, das heimlich mit sich selber spricht!
Doch tappt sich hüstelnd durch die dunkle Nacht
Ein böses Ding und pocht an deine Thür
Und zischt wie eine Viper: "Komm herfür,
Ich bin das Herz, womit die Sünde lacht!
Ich weiß, auch du bist mir ein Kind der Zeit,
Das mit der Welt und mit sich selber grollt;
Ich aber wate bis ans Knie in Gold
Und höre, wie dein Herz nach Wollust schreit.
Komm mit, in meinem Lusthaus wohnt das Glück:
Du trittst hinein, und singend drehn um dich
Vielhundert weiße Dirnenleiber sich
Und schlank wirft sie mein Spiegel dir zurück.
Schon küßt die Welt ein bleiches Abendroth,
Die alte Griechenſonne des Homer
Hat ſich ertränkt ins teifundunkle Meer,
Und ſeine Senſe ſchärft der ſchwarze Tod.
Kein Stern, der farbig durch die Wolken bricht,
Kein Traum, der kühlend um die Schläfen weht,
Kein Lied, das Wunder thut wie ein Gebet,
Kein Herz, das heimlich mit ſich ſelber ſpricht!
Doch tappt ſich hüſtelnd durch die dunkle Nacht
Ein böſes Ding und pocht an deine Thür
Und ziſcht wie eine Viper: „Komm herfür,
Ich bin das Herz, womit die Sünde lacht!
Ich weiß, auch du biſt mir ein Kind der Zeit,
Das mit der Welt und mit ſich ſelber grollt;
Ich aber wate bis ans Knie in Gold
Und höre, wie dein Herz nach Wolluſt ſchreit.
Komm mit, in meinem Luſthaus wohnt das Glück:
Du trittſt hinein, und ſingend drehn um dich
Vielhundert weiße Dirnenleiber ſich
Und ſchlank wirft ſie mein Spiegel dir zurück.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0446" n="424"/>
          <lg n="4">
            <l>Schon küßt die Welt ein bleiches Abendroth,</l><lb/>
            <l>Die alte Griechen&#x017F;onne des Homer</l><lb/>
            <l>Hat &#x017F;ich ertränkt ins teifundunkle Meer,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;eine Sen&#x017F;e &#x017F;chärft der &#x017F;chwarze Tod.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="5">
            <l>Kein Stern, der farbig durch die Wolken bricht,</l><lb/>
            <l>Kein Traum, der kühlend um die Schläfen weht,</l><lb/>
            <l>Kein Lied, das Wunder thut wie ein Gebet,</l><lb/>
            <l>Kein Herz, das heimlich mit &#x017F;ich &#x017F;elber &#x017F;pricht!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="6">
            <l>Doch tappt &#x017F;ich hü&#x017F;telnd durch die dunkle Nacht</l><lb/>
            <l>Ein bö&#x017F;es Ding und pocht an deine Thür</l><lb/>
            <l>Und zi&#x017F;cht wie eine Viper: &#x201E;Komm herfür,</l><lb/>
            <l>Ich bin das Herz, womit die Sünde lacht!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="7">
            <l>Ich weiß, auch du bi&#x017F;t mir ein Kind der Zeit,</l><lb/>
            <l>Das mit der Welt und mit &#x017F;ich &#x017F;elber grollt;</l><lb/>
            <l>Ich aber wate bis ans Knie in Gold</l><lb/>
            <l>Und höre, wie dein Herz nach Wollu&#x017F;t &#x017F;chreit.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="8">
            <l>Komm mit, in meinem Lu&#x017F;thaus wohnt das Glück:</l><lb/>
            <l>Du tritt&#x017F;t hinein, und &#x017F;ingend drehn um dich</l><lb/>
            <l>Vielhundert weiße Dirnenleiber &#x017F;ich</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;chlank wirft &#x017F;ie mein Spiegel dir zurück.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0446] Schon küßt die Welt ein bleiches Abendroth, Die alte Griechenſonne des Homer Hat ſich ertränkt ins teifundunkle Meer, Und ſeine Senſe ſchärft der ſchwarze Tod. Kein Stern, der farbig durch die Wolken bricht, Kein Traum, der kühlend um die Schläfen weht, Kein Lied, das Wunder thut wie ein Gebet, Kein Herz, das heimlich mit ſich ſelber ſpricht! Doch tappt ſich hüſtelnd durch die dunkle Nacht Ein böſes Ding und pocht an deine Thür Und ziſcht wie eine Viper: „Komm herfür, Ich bin das Herz, womit die Sünde lacht! Ich weiß, auch du biſt mir ein Kind der Zeit, Das mit der Welt und mit ſich ſelber grollt; Ich aber wate bis ans Knie in Gold Und höre, wie dein Herz nach Wolluſt ſchreit. Komm mit, in meinem Luſthaus wohnt das Glück: Du trittſt hinein, und ſingend drehn um dich Vielhundert weiße Dirnenleiber ſich Und ſchlank wirft ſie mein Spiegel dir zurück.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/446
Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/446>, abgerufen am 13.05.2024.