Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
Und das Mitleid, ihre schöne, süße Tochter,
Faltete flehend ihre zarten, weißen Hände
Und stammelte schluchzend: Erbarmen, Erbarmen!
Da fuhr's wie ein Blitz durch das blutlose Steinbild
Und die frömmelnd gefaltete Riesenfaust,
Die einst in nebelgrauer Vorzeit
Die Hand des Prometheus gelenkt
Und aus Thon Menschen geformt,
Ballte sich wieder und schlug
An die immer noch weltenschwangere Stirn
Und der alte, zornige Jude
Wurde weich wie ein Kind!
Denn er fühlte, wie sein Herz
Tief in pochender Brust,
Wieder wonnig zu schlagen anhub
Und eine wilde, verzehrende Sehnsucht
Fiel ihn an,
Eine Sehnsucht nach jener alten, schönen Zeit,
Als er selber noch jung war
Und die Welt, die träumende Welt,
In das bläuliche Dämmerlicht der Urzeit
Süß hineinduftete,
Zitternd und thaufrisch,
Wie eine jungerblühte, rothe Maienrose!
Und zornentbrannt
Riß er die weihrauchduftende Schellenkappe,
Und das Mitleid, ihre ſchöne, ſüße Tochter,
Faltete flehend ihre zarten, weißen Hände
Und ſtammelte ſchluchzend: Erbarmen, Erbarmen!
Da fuhr's wie ein Blitz durch das blutloſe Steinbild
Und die frömmelnd gefaltete Rieſenfauſt,
Die einſt in nebelgrauer Vorzeit
Die Hand des Prometheus gelenkt
Und aus Thon Menſchen geformt,
Ballte ſich wieder und ſchlug
An die immer noch weltenſchwangere Stirn
Und der alte, zornige Jude
Wurde weich wie ein Kind!
Denn er fühlte, wie ſein Herz
Tief in pochender Bruſt,
Wieder wonnig zu ſchlagen anhub
Und eine wilde, verzehrende Sehnſucht
Fiel ihn an,
Eine Sehnſucht nach jener alten, ſchönen Zeit,
Als er ſelber noch jung war
Und die Welt, die träumende Welt,
In das bläuliche Dämmerlicht der Urzeit
Süß hineinduftete,
Zitternd und thaufriſch,
Wie eine jungerblühte, rothe Maienroſe!
Und zornentbrannt
Riß er die weihrauchduftende Schellenkappe,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0293" n="271"/>
          <lg n="21">
            <l>Und das Mitleid, ihre &#x017F;chöne, &#x017F;üße Tochter,</l><lb/>
            <l>Faltete flehend ihre zarten, weißen Hände</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;tammelte &#x017F;chluchzend: Erbarmen, Erbarmen!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="22">
            <l>Da fuhr's wie ein Blitz durch das blutlo&#x017F;e Steinbild</l><lb/>
            <l>Und die frömmelnd gefaltete Rie&#x017F;enfau&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Die ein&#x017F;t in nebelgrauer Vorzeit</l><lb/>
            <l>Die Hand des Prometheus gelenkt</l><lb/>
            <l>Und aus Thon Men&#x017F;chen geformt,</l><lb/>
            <l>Ballte &#x017F;ich wieder und &#x017F;chlug</l><lb/>
            <l>An die immer noch welten&#x017F;chwangere Stirn</l><lb/>
            <l>Und der alte, zornige Jude</l><lb/>
            <l>Wurde weich wie ein Kind!</l><lb/>
            <l>Denn er fühlte, wie &#x017F;ein Herz</l><lb/>
            <l>Tief in pochender Bru&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Wieder wonnig zu &#x017F;chlagen anhub</l><lb/>
            <l>Und eine wilde, verzehrende Sehn&#x017F;ucht</l><lb/>
            <l>Fiel ihn an,</l><lb/>
            <l>Eine Sehn&#x017F;ucht nach jener alten, &#x017F;chönen Zeit,</l><lb/>
            <l>Als er &#x017F;elber noch jung war</l><lb/>
            <l>Und die Welt, die träumende Welt,</l><lb/>
            <l>In das bläuliche Dämmerlicht der Urzeit</l><lb/>
            <l>Süß hineinduftete,</l><lb/>
            <l>Zitternd und thaufri&#x017F;ch,</l><lb/>
            <l>Wie eine jungerblühte, rothe Maienro&#x017F;e!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="23">
            <l>Und zornentbrannt</l><lb/>
            <l>Riß er die weihrauchduftende Schellenkappe,</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0293] Und das Mitleid, ihre ſchöne, ſüße Tochter, Faltete flehend ihre zarten, weißen Hände Und ſtammelte ſchluchzend: Erbarmen, Erbarmen! Da fuhr's wie ein Blitz durch das blutloſe Steinbild Und die frömmelnd gefaltete Rieſenfauſt, Die einſt in nebelgrauer Vorzeit Die Hand des Prometheus gelenkt Und aus Thon Menſchen geformt, Ballte ſich wieder und ſchlug An die immer noch weltenſchwangere Stirn Und der alte, zornige Jude Wurde weich wie ein Kind! Denn er fühlte, wie ſein Herz Tief in pochender Bruſt, Wieder wonnig zu ſchlagen anhub Und eine wilde, verzehrende Sehnſucht Fiel ihn an, Eine Sehnſucht nach jener alten, ſchönen Zeit, Als er ſelber noch jung war Und die Welt, die träumende Welt, In das bläuliche Dämmerlicht der Urzeit Süß hineinduftete, Zitternd und thaufriſch, Wie eine jungerblühte, rothe Maienroſe! Und zornentbrannt Riß er die weihrauchduftende Schellenkappe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/293
Zitationshilfe: Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holz_buch_1886/293>, abgerufen am 24.11.2024.