Holz, Arno: Das Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. Zürich, 1886.Er sieht, er hört, er fühlt den Jammer Und wandelt tags von Haus zu Haus Und grollt dann nachts in seiner Kammer Sein Herz in wilde Lieder aus. Er hat es längst, schon längst vergessen, Wie wohl im Lenz die Sonne thut, Und wie's im Wald, umblüht von Kressen, Sich einst so schön, so schön geruht! Nur manchmal, manchmal noch durchziehen Sein Herz, das nach Erlösung schreit, Die grünen Waldhornmelodieen Der längst verrauschten Kinderzeit. Dann stöhnt er auf, und seine Hände Preßt er verzweifelt vors Gesicht Und rings die weißgetünchten Wände Erzittern, wenn er schluchzend spricht: "O Poesie, du Heiligschöne,
Von Thränen ist mein Herz durchnäßt, Weil du den treusten deiner Söhne In Nacht und Noth verkümmern läßt. Er ſieht, er hört, er fühlt den Jammer Und wandelt tags von Haus zu Haus Und grollt dann nachts in ſeiner Kammer Sein Herz in wilde Lieder aus. Er hat es längſt, ſchon längſt vergeſſen, Wie wohl im Lenz die Sonne thut, Und wie's im Wald, umblüht von Kreſſen, Sich einſt ſo ſchön, ſo ſchön geruht! Nur manchmal, manchmal noch durchziehen Sein Herz, das nach Erlöſung ſchreit, Die grünen Waldhornmelodieen Der längſt verrauſchten Kinderzeit. Dann ſtöhnt er auf, und ſeine Hände Preßt er verzweifelt vors Geſicht Und rings die weißgetünchten Wände Erzittern, wenn er ſchluchzend ſpricht: „O Poeſie, du Heiligſchöne,
Von Thränen iſt mein Herz durchnäßt, Weil du den treuſten deiner Söhne In Nacht und Noth verkümmern läßt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0278" n="256"/> <lg n="19"> <l>Er ſieht, er hört, er fühlt den Jammer</l><lb/> <l>Und wandelt tags von Haus zu Haus</l><lb/> <l>Und grollt dann nachts in ſeiner Kammer</l><lb/> <l>Sein Herz in wilde Lieder aus.</l><lb/> </lg> <lg n="20"> <l>Er hat es längſt, ſchon längſt vergeſſen,</l><lb/> <l>Wie <hi rendition="#g">wohl</hi> im Lenz die Sonne thut,</l><lb/> <l>Und wie's im Wald, umblüht von Kreſſen,</l><lb/> <l>Sich einſt ſo ſchön, ſo ſchön geruht!</l><lb/> </lg> <lg n="21"> <l>Nur manchmal, manchmal noch durchziehen</l><lb/> <l>Sein Herz, das nach Erlöſung ſchreit,</l><lb/> <l>Die grünen Waldhornmelodieen</l><lb/> <l>Der längſt verrauſchten Kinderzeit.</l><lb/> </lg> <lg n="22"> <l>Dann ſtöhnt er auf, und ſeine Hände</l><lb/> <l>Preßt er verzweifelt vors Geſicht</l><lb/> <l>Und rings die weißgetünchten Wände</l><lb/> <l>Erzittern, wenn er ſchluchzend ſpricht:</l><lb/> </lg> <lg n="23"> <l>„O Poeſie, du Heiligſchöne,</l><lb/> <l>Von Thränen iſt mein Herz durchnäßt,</l><lb/> <l>Weil du den treuſten deiner Söhne</l><lb/> <l>In Nacht und Noth verkümmern läßt.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [256/0278]
Er ſieht, er hört, er fühlt den Jammer
Und wandelt tags von Haus zu Haus
Und grollt dann nachts in ſeiner Kammer
Sein Herz in wilde Lieder aus.
Er hat es längſt, ſchon längſt vergeſſen,
Wie wohl im Lenz die Sonne thut,
Und wie's im Wald, umblüht von Kreſſen,
Sich einſt ſo ſchön, ſo ſchön geruht!
Nur manchmal, manchmal noch durchziehen
Sein Herz, das nach Erlöſung ſchreit,
Die grünen Waldhornmelodieen
Der längſt verrauſchten Kinderzeit.
Dann ſtöhnt er auf, und ſeine Hände
Preßt er verzweifelt vors Geſicht
Und rings die weißgetünchten Wände
Erzittern, wenn er ſchluchzend ſpricht:
„O Poeſie, du Heiligſchöne,
Von Thränen iſt mein Herz durchnäßt,
Weil du den treuſten deiner Söhne
In Nacht und Noth verkümmern läßt.
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