wenn es in seiner Macht stände, wieder ein Kind zu werden; die Ansprüche, die er an sich, an seine Umge- bungen stellen gelernt, aufzugeben, an den Nagel zu hängen, wo sein Knabenjäckchen hing und wo nun sein Reiseranzen hängen soll.
Armer Anton! Weißt Du denn nicht, daß Du jenen Räumen entwachsen bist; entwachsen auf jede Weise? Deinem männlich-ausgebildeten, schlanken Körper wird der Großmutter Stübchen ein Kerker sein und Deine Seele, die jetzt nur Ruhe träumt, wird sich an dieses Kerkers Wänden schwer verletzen, sobald sie wieder sich zu regen beginnt, dem bunten Schmetterlinge ähnlich, der mit ängstlichem Geflatter an eines Fensters Glasscheiben den feinen Farbenduft von seinen Fittigen streift! Warum eilst Du so sehr Deinem Grabe entgegen? Dem Grabe Deiner Jugend, Deiner noch lange nicht besiegten Lebenslust?
Und er wanderte rüstig fort, bis er dieser unzeiti- gen Anstrengung unterlag. Nur mit dem letzten Aufgebot seiner ganz erschöpften Kräfte erreichte er noch das kleine Städtchen St., etwa zwei und eine halbe Meile von Liebenau entfernt, nach seiner Be- rechnung. Dort mußte er liegen bleiben; nicht etwa, wie seine Absicht gewesen, über Nacht, um des andern
wenn es in ſeiner Macht ſtaͤnde, wieder ein Kind zu werden; die Anſpruͤche, die er an ſich, an ſeine Umge- bungen ſtellen gelernt, aufzugeben, an den Nagel zu haͤngen, wo ſein Knabenjaͤckchen hing und wo nun ſein Reiſeranzen haͤngen ſoll.
Armer Anton! Weißt Du denn nicht, daß Du jenen Raͤumen entwachſen biſt; entwachſen auf jede Weiſe? Deinem maͤnnlich-ausgebildeten, ſchlanken Koͤrper wird der Großmutter Stuͤbchen ein Kerker ſein und Deine Seele, die jetzt nur Ruhe traͤumt, wird ſich an dieſes Kerkers Waͤnden ſchwer verletzen, ſobald ſie wieder ſich zu regen beginnt, dem bunten Schmetterlinge aͤhnlich, der mit aͤngſtlichem Geflatter an eines Fenſters Glasſcheiben den feinen Farbenduft von ſeinen Fittigen ſtreift! Warum eilſt Du ſo ſehr Deinem Grabe entgegen? Dem Grabe Deiner Jugend, Deiner noch lange nicht beſiegten Lebensluſt?
Und er wanderte ruͤſtig fort, bis er dieſer unzeiti- gen Anſtrengung unterlag. Nur mit dem letzten Aufgebot ſeiner ganz erſchoͤpften Kraͤfte erreichte er noch das kleine Staͤdtchen St., etwa zwei und eine halbe Meile von Liebenau entfernt, nach ſeiner Be- rechnung. Dort mußte er liegen bleiben; nicht etwa, wie ſeine Abſicht geweſen, uͤber Nacht, um des andern
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wenn es in ſeiner Macht ſtaͤnde, wieder ein Kind zu
werden; die Anſpruͤche, die er an ſich, an ſeine Umge-
bungen ſtellen gelernt, aufzugeben, an den Nagel zu
haͤngen, wo ſein Knabenjaͤckchen hing und wo nun
ſein Reiſeranzen haͤngen ſoll.
Armer Anton! Weißt Du denn nicht, daß Du
jenen Raͤumen entwachſen biſt; entwachſen auf jede
Weiſe? Deinem maͤnnlich-ausgebildeten, ſchlanken
Koͤrper wird der Großmutter Stuͤbchen ein Kerker
ſein und Deine Seele, die jetzt nur Ruhe traͤumt,
wird ſich an dieſes Kerkers Waͤnden ſchwer verletzen,
ſobald ſie wieder ſich zu regen beginnt, dem bunten
Schmetterlinge aͤhnlich, der mit aͤngſtlichem Geflatter
an eines Fenſters Glasſcheiben den feinen Farbenduft
von ſeinen Fittigen ſtreift! Warum eilſt Du ſo ſehr
Deinem Grabe entgegen? Dem Grabe Deiner
Jugend, Deiner noch lange nicht beſiegten Lebensluſt?
Und er wanderte ruͤſtig fort, bis er dieſer unzeiti-
gen Anſtrengung unterlag. Nur mit dem letzten
Aufgebot ſeiner ganz erſchoͤpften Kraͤfte erreichte er
noch das kleine Staͤdtchen St., etwa zwei und eine
halbe Meile von Liebenau entfernt, nach ſeiner Be-
rechnung. Dort mußte er liegen bleiben; nicht etwa,
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 4. Breslau, 1852, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden04_1852/70>, abgerufen am 26.07.2024.
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