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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852.

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als Gouvernante in einem großen, guten Hause zu
erhalten. Dafür hat sie sich ausgebildet. Bei ihrem
Fleiße, ihrer Umsicht, ihren Anlagen wird ihr das
leicht. Sie weiß auch Französisch, so gründlich, wie
man's nur aus Büchern erlernen kann, und beim
Schreiben wird sie gewiß keinen Fehler machen. Aber
mit dem Sprechen, -- da sitzt's! Hier, in dem ver-
fluchten kleinen Neste, wo ich der Ersparung wegen
zu leben gezwungen bin, versteht kein Teufel etwas
davon, und der einzige Sprachlehrer, der hier herum
läuft, hat eine Aussprache, wie eine spanische Kuh.
Jch selbst, obgleich ich lange genug in Frankreich
umhergeworfen wurde, habe mehr mit dem Säbel
geredet, als mit der Zunge, und gerade nur so viel
gelernt, um zu hören, ob Einer gut oder schlecht aus-
spricht. Die Aussprache aber ist für eine Gouvernante
die Hauptsache. Mag es mit Rechtschreibung und
Grammatik noch so schwach bestellt sein, wenn sie
nur den "Pariser Accent" hat, so steht sie gleich hoch
in Ehren. Sie reden, das hab' ich gestern vernom-
men, wie ich jemals an Ort und Stelle habe reden
hören; das kann ich Sie versichern. Jch hätte Sie,
als Sie Jhrer Madame an der Kasse zuriefen, Sie
wollten Stühle für uns besorgen, gleich am liebsten

als Gouvernante in einem großen, guten Hauſe zu
erhalten. Dafuͤr hat ſie ſich ausgebildet. Bei ihrem
Fleiße, ihrer Umſicht, ihren Anlagen wird ihr das
leicht. Sie weiß auch Franzoͤſiſch, ſo gruͤndlich, wie
man’s nur aus Buͤchern erlernen kann, und beim
Schreiben wird ſie gewiß keinen Fehler machen. Aber
mit dem Sprechen, — da ſitzt’s! Hier, in dem ver-
fluchten kleinen Neſte, wo ich der Erſparung wegen
zu leben gezwungen bin, verſteht kein Teufel etwas
davon, und der einzige Sprachlehrer, der hier herum
laͤuft, hat eine Ausſprache, wie eine ſpaniſche Kuh.
Jch ſelbſt, obgleich ich lange genug in Frankreich
umhergeworfen wurde, habe mehr mit dem Saͤbel
geredet, als mit der Zunge, und gerade nur ſo viel
gelernt, um zu hoͤren, ob Einer gut oder ſchlecht aus-
ſpricht. Die Ausſprache aber iſt fuͤr eine Gouvernante
die Hauptſache. Mag es mit Rechtſchreibung und
Grammatik noch ſo ſchwach beſtellt ſein, wenn ſie
nur den „Pariſer Accent“ hat, ſo ſteht ſie gleich hoch
in Ehren. Sie reden, das hab’ ich geſtern vernom-
men, wie ich jemals an Ort und Stelle habe reden
hoͤren; das kann ich Sie verſichern. Jch haͤtte Sie,
als Sie Jhrer Madame an der Kaſſe zuriefen, Sie
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[200/0204] als Gouvernante in einem großen, guten Hauſe zu erhalten. Dafuͤr hat ſie ſich ausgebildet. Bei ihrem Fleiße, ihrer Umſicht, ihren Anlagen wird ihr das leicht. Sie weiß auch Franzoͤſiſch, ſo gruͤndlich, wie man’s nur aus Buͤchern erlernen kann, und beim Schreiben wird ſie gewiß keinen Fehler machen. Aber mit dem Sprechen, — da ſitzt’s! Hier, in dem ver- fluchten kleinen Neſte, wo ich der Erſparung wegen zu leben gezwungen bin, verſteht kein Teufel etwas davon, und der einzige Sprachlehrer, der hier herum laͤuft, hat eine Ausſprache, wie eine ſpaniſche Kuh. Jch ſelbſt, obgleich ich lange genug in Frankreich umhergeworfen wurde, habe mehr mit dem Saͤbel geredet, als mit der Zunge, und gerade nur ſo viel gelernt, um zu hoͤren, ob Einer gut oder ſchlecht aus- ſpricht. Die Ausſprache aber iſt fuͤr eine Gouvernante die Hauptſache. Mag es mit Rechtſchreibung und Grammatik noch ſo ſchwach beſtellt ſein, wenn ſie nur den „Pariſer Accent“ hat, ſo ſteht ſie gleich hoch in Ehren. Sie reden, das hab’ ich geſtern vernom- men, wie ich jemals an Ort und Stelle habe reden hoͤren; das kann ich Sie verſichern. Jch haͤtte Sie, als Sie Jhrer Madame an der Kaſſe zuriefen, Sie wollten Stuͤhle fuͤr uns beſorgen, gleich am liebſten

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/204>, abgerufen am 24.11.2024.