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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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und zu inniger Theilnahme und Verehrung aufge-
fordert. Aber gerade weil sein Alter, seine Gebrech-
lichkeit, sein schwerer Streit zwischen erhabenen Ge-
sinnungen und niederen Gewohnheiten ganz natürlich,
einfach auf mein Gemüth wirkten, soll mich niemand
überreden wollen, der Mensch, den ich oben auf der
Bühne vor mir leben sah, könne ein Anderer gewesen
sein, als ein gebeugter, unterdrückter, kleiner Greis.
Seine Physiognomie steht noch so deutlich in meiner
Erinnerung, daß ich sie unter Tausenden wieder
erkennen würde. Wie mögen Sie nun verlangen,
daß ich diesen Kopf, über dessen wundersame Schön-
heit ich Jhnen mein Entzücken so eben in's Ohr lis-
pelte -- Verzeihen Sie, mein Herr! -- für den grauen,
kahlen Schädel des Juden halte? Jch bitte Sie Alle,
stehen Sie mir bei und ersuchen Sie meinen lieben
Arzt, mich auf eine schwierigere Probe zu stellen.
Diese setzt seine Meinung von meinem Verstande gar
zu sehr herab."

Aller Augen, die mit freundlicher Theilnahme am
Sprechenden gehangen, wendeten sich jetzt, fragend
und erwartend dem berühmten Schauspieler zu. Nie-
mand redete. Anton that wie Jene. Auch er betrachtete
schweigend des Künstlers Angesicht.

und zu inniger Theilnahme und Verehrung aufge-
fordert. Aber gerade weil ſein Alter, ſeine Gebrech-
lichkeit, ſein ſchwerer Streit zwiſchen erhabenen Ge-
ſinnungen und niederen Gewohnheiten ganz natuͤrlich,
einfach auf mein Gemuͤth wirkten, ſoll mich niemand
uͤberreden wollen, der Menſch, den ich oben auf der
Buͤhne vor mir leben ſah, koͤnne ein Anderer geweſen
ſein, als ein gebeugter, unterdruͤckter, kleiner Greis.
Seine Phyſiognomie ſteht noch ſo deutlich in meiner
Erinnerung, daß ich ſie unter Tauſenden wieder
erkennen wuͤrde. Wie moͤgen Sie nun verlangen,
daß ich dieſen Kopf, uͤber deſſen wunderſame Schoͤn-
heit ich Jhnen mein Entzuͤcken ſo eben in’s Ohr lis-
pelte — Verzeihen Sie, mein Herr! — fuͤr den grauen,
kahlen Schaͤdel des Juden halte? Jch bitte Sie Alle,
ſtehen Sie mir bei und erſuchen Sie meinen lieben
Arzt, mich auf eine ſchwierigere Probe zu ſtellen.
Dieſe ſetzt ſeine Meinung von meinem Verſtande gar
zu ſehr herab.“

Aller Augen, die mit freundlicher Theilnahme am
Sprechenden gehangen, wendeten ſich jetzt, fragend
und erwartend dem beruͤhmten Schauſpieler zu. Nie-
mand redete. Anton that wie Jene. Auch er betrachtete
ſchweigend des Kuͤnſtlers Angeſicht.

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[79/0081] und zu inniger Theilnahme und Verehrung aufge- fordert. Aber gerade weil ſein Alter, ſeine Gebrech- lichkeit, ſein ſchwerer Streit zwiſchen erhabenen Ge- ſinnungen und niederen Gewohnheiten ganz natuͤrlich, einfach auf mein Gemuͤth wirkten, ſoll mich niemand uͤberreden wollen, der Menſch, den ich oben auf der Buͤhne vor mir leben ſah, koͤnne ein Anderer geweſen ſein, als ein gebeugter, unterdruͤckter, kleiner Greis. Seine Phyſiognomie ſteht noch ſo deutlich in meiner Erinnerung, daß ich ſie unter Tauſenden wieder erkennen wuͤrde. Wie moͤgen Sie nun verlangen, daß ich dieſen Kopf, uͤber deſſen wunderſame Schoͤn- heit ich Jhnen mein Entzuͤcken ſo eben in’s Ohr lis- pelte — Verzeihen Sie, mein Herr! — fuͤr den grauen, kahlen Schaͤdel des Juden halte? Jch bitte Sie Alle, ſtehen Sie mir bei und erſuchen Sie meinen lieben Arzt, mich auf eine ſchwierigere Probe zu ſtellen. Dieſe ſetzt ſeine Meinung von meinem Verſtande gar zu ſehr herab.“ Aller Augen, die mit freundlicher Theilnahme am Sprechenden gehangen, wendeten ſich jetzt, fragend und erwartend dem beruͤhmten Schauſpieler zu. Nie- mand redete. Anton that wie Jene. Auch er betrachtete ſchweigend des Kuͤnſtlers Angeſicht.

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/81>, abgerufen am 19.05.2024.