völlig in Anspruch, wodurch dieser sogar dem ober- flächlichen Troste anderweitiger Zerstreuungen entzo- gen wurde; sich auch verhindert sah, die Theater zu besuchen, was er sonst recht gern und oft gethan hätte. Wochenlang mußt' er sich zufrieden stellen mit Durch- lesung der Programme. Jn diesen fand er denn eines Tages angezeigt, daß eine Signora Carina in Rossi- ni's Othello als Desdemona auftreten solle. Signora Carina konnte keine andere sein, als jene Frau, die mit dem Hute einsammeln ging, während Herr Ca- rino auf des armen Geigers Violine spielte; keine andere; dieselbe Frau, die ihn so durchdringend betrachtet, mit ihm zu reden begonnen hatte, wie sie seine Gabe empfing und von welcher Bärbels Da- zwischenkunft ihn abgelenkt. War ihm doch seitdem auch Carino sammt allen Liebenauer Erinnerungen gänzlich aus dem Gedächtniß gerathen! Wie wär's, meinte er, wenn ich es darauf anlegte, Theodor und Bärbel heute in die Oper zu überreden? Es wäre mir interessant, diese Frau wieder zu sehen, sie als Sängerin kennen zu lernen, und daraus ergiebt sich vielleicht eine Möglichkeit, meinen alten Gönner und Freund, den Musikdirektor aufzufinden, der nicht weit sein dürfte, wo seine Gattin erscheint!
voͤllig in Anſpruch, wodurch dieſer ſogar dem ober- flaͤchlichen Troſte anderweitiger Zerſtreuungen entzo- gen wurde; ſich auch verhindert ſah, die Theater zu beſuchen, was er ſonſt recht gern und oft gethan haͤtte. Wochenlang mußt’ er ſich zufrieden ſtellen mit Durch- leſung der Programme. Jn dieſen fand er denn eines Tages angezeigt, daß eine Signora Carina in Roſſi- ni’s Othello als Desdemona auftreten ſolle. Signora Carina konnte keine andere ſein, als jene Frau, die mit dem Hute einſammeln ging, waͤhrend Herr Ca- rino auf des armen Geigers Violine ſpielte; keine andere; dieſelbe Frau, die ihn ſo durchdringend betrachtet, mit ihm zu reden begonnen hatte, wie ſie ſeine Gabe empfing und von welcher Baͤrbels Da- zwiſchenkunft ihn abgelenkt. War ihm doch ſeitdem auch Carino ſammt allen Liebenauer Erinnerungen gaͤnzlich aus dem Gedaͤchtniß gerathen! Wie waͤr’s, meinte er, wenn ich es darauf anlegte, Theodor und Baͤrbel heute in die Oper zu uͤberreden? Es waͤre mir intereſſant, dieſe Frau wieder zu ſehen, ſie als Saͤngerin kennen zu lernen, und daraus ergiebt ſich vielleicht eine Moͤglichkeit, meinen alten Goͤnner und Freund, den Muſikdirektor aufzufinden, der nicht weit ſein duͤrfte, wo ſeine Gattin erſcheint!
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voͤllig in Anſpruch, wodurch dieſer ſogar dem ober-
flaͤchlichen Troſte anderweitiger Zerſtreuungen entzo-
gen wurde; ſich auch verhindert ſah, die Theater zu
beſuchen, was er ſonſt recht gern und oft gethan haͤtte.
Wochenlang mußt’ er ſich zufrieden ſtellen mit Durch-
leſung der Programme. Jn dieſen fand er denn eines
Tages angezeigt, daß eine Signora Carina in Roſſi-
ni’s Othello als Desdemona auftreten ſolle. Signora
Carina konnte keine andere ſein, als jene Frau, die
mit dem Hute einſammeln ging, waͤhrend Herr Ca-
rino auf des armen Geigers Violine ſpielte; keine
andere; dieſelbe Frau, die ihn ſo durchdringend
betrachtet, mit ihm zu reden begonnen hatte, wie ſie
ſeine Gabe empfing und von welcher Baͤrbels Da-
zwiſchenkunft ihn abgelenkt. War ihm doch ſeitdem
auch Carino ſammt allen Liebenauer Erinnerungen
gaͤnzlich aus dem Gedaͤchtniß gerathen! Wie waͤr’s,
meinte er, wenn ich es darauf anlegte, Theodor und
Baͤrbel heute in die Oper zu uͤberreden? Es waͤre
mir intereſſant, dieſe Frau wieder zu ſehen, ſie als
Saͤngerin kennen zu lernen, und daraus ergiebt ſich
vielleicht eine Moͤglichkeit, meinen alten Goͤnner und
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/315>, abgerufen am 25.11.2024.
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