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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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Notiz nahm und sich einsiedlerisch in seine Zelle ver-
barg. Einmal doch fiel ihm bei, das Schauspiel zu
besuchen. "Jhr großes berühmtes National-Theater
will ich sehen; will doch sehen, ob sie einen Ludwig
Devrient besitzen!"

Einige demselben mindestens nicht unähnliche, oder
doch der Vergleichung mit ihm würdige Darsteller
hätte Anton vielleicht auf kleineren Bühnen gefunden.
Er aber, ohne Kenntniß der Sache, allen Verhält-
nissen fremd, dachte gleich vom reinsten, besten Weine
kosten zu müssen, der seiner Ansicht nach einzig und
allein in der Straße Richelieu geschenkt werden
konnte, wo ein theatre francais, die erste Bühne
des Landes und daneben die erste aller Länder
floriren sollte. Er traf es unglücklich. Talma spielte
nicht. Die übrigen in ihrem tragischen Pathos, wie
er es nie vernommen, schienen ihm unnatürlich,
unwahr, lächerlich, fratzenhaft. Dieser üble Eindruck
that ihm gut. Es lag für ihn ein neuer Grund
darin Paris geringzuschätzen. Vielleicht, wenn er
das heitre Nachspiel abgewartet und in diesem die
Mars gesehen und gehört!! hätte, würd' ihm anders
zu Muthe geworden sein. Diese Wonne war ihm
nicht beschieden; wodurch sie ihm geraubt wurde,

Notiz nahm und ſich einſiedleriſch in ſeine Zelle ver-
barg. Einmal doch fiel ihm bei, das Schauſpiel zu
beſuchen. „Jhr großes beruͤhmtes National-Theater
will ich ſehen; will doch ſehen, ob ſie einen Ludwig
Devrient beſitzen!“

Einige demſelben mindeſtens nicht unaͤhnliche, oder
doch der Vergleichung mit ihm wuͤrdige Darſteller
haͤtte Anton vielleicht auf kleineren Buͤhnen gefunden.
Er aber, ohne Kenntniß der Sache, allen Verhaͤlt-
niſſen fremd, dachte gleich vom reinſten, beſten Weine
koſten zu muͤſſen, der ſeiner Anſicht nach einzig und
allein in der Straße Richelieu geſchenkt werden
konnte, wo ein théatre français, die erſte Buͤhne
des Landes und daneben die erſte aller Laͤnder
floriren ſollte. Er traf es ungluͤcklich. Talma ſpielte
nicht. Die uͤbrigen in ihrem tragiſchen Pathos, wie
er es nie vernommen, ſchienen ihm unnatuͤrlich,
unwahr, laͤcherlich, fratzenhaft. Dieſer uͤble Eindruck
that ihm gut. Es lag fuͤr ihn ein neuer Grund
darin Paris geringzuſchaͤtzen. Vielleicht, wenn er
das heitre Nachſpiel abgewartet und in dieſem die
Mars geſehen und gehoͤrt!! haͤtte, wuͤrd’ ihm anders
zu Muthe geworden ſein. Dieſe Wonne war ihm
nicht beſchieden; wodurch ſie ihm geraubt wurde,

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[264/0266] Notiz nahm und ſich einſiedleriſch in ſeine Zelle ver- barg. Einmal doch fiel ihm bei, das Schauſpiel zu beſuchen. „Jhr großes beruͤhmtes National-Theater will ich ſehen; will doch ſehen, ob ſie einen Ludwig Devrient beſitzen!“ Einige demſelben mindeſtens nicht unaͤhnliche, oder doch der Vergleichung mit ihm wuͤrdige Darſteller haͤtte Anton vielleicht auf kleineren Buͤhnen gefunden. Er aber, ohne Kenntniß der Sache, allen Verhaͤlt- niſſen fremd, dachte gleich vom reinſten, beſten Weine koſten zu muͤſſen, der ſeiner Anſicht nach einzig und allein in der Straße Richelieu geſchenkt werden konnte, wo ein théatre français, die erſte Buͤhne des Landes und daneben die erſte aller Laͤnder floriren ſollte. Er traf es ungluͤcklich. Talma ſpielte nicht. Die uͤbrigen in ihrem tragiſchen Pathos, wie er es nie vernommen, ſchienen ihm unnatuͤrlich, unwahr, laͤcherlich, fratzenhaft. Dieſer uͤble Eindruck that ihm gut. Es lag fuͤr ihn ein neuer Grund darin Paris geringzuſchaͤtzen. Vielleicht, wenn er das heitre Nachſpiel abgewartet und in dieſem die Mars geſehen und gehoͤrt!! haͤtte, wuͤrd’ ihm anders zu Muthe geworden ſein. Dieſe Wonne war ihm nicht beſchieden; wodurch ſie ihm geraubt wurde,

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/266>, abgerufen am 24.11.2024.