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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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malen; wie in diese unbeschreiblich kurze Frist, in die
wenigen Schritte über die Schwelle des Gemaches,
ein ganzes Leben voll Reue und Beschämung zusam-
mengedrängt schien! Wie der kleine, kurze Raum,
dem Manne entgegen an dem er freveln wollen, ihm
ein langer schwerer Weg zum Strafgericht dünkte!
Ja wohl, freveln wollen. Denn nicht die Gewalt
einer heißen Leidenschaft, die auch wenn sie in's
Elend führt, noch immer veredelnd erhebt, hielt ihn
aufrecht. Nur eitler, übermüthiger Leichtsinn hatte
ihn erregt und dieser brach zusammen, vor einer so
ernsten Begegnung.

Doch wo weilte der Gefürchtete, Verrathene?

Vergebens ließ das schuldbewußte Paar seine
Blicke durch alle Räume und Winkel streifen? Ver-
gebens rief sie des Mannes Namen? Alles blieb
unbeweglich und still. Die todten Gesichter starrten
mit entsetzlichem Schweigen in's Halbdunkel; kein
lebendiges menschliches Wesen war unter ihnen zu
entdecken.

Er ist nicht hier! Gelobt sei Gott, er ist nicht
hier! erklang Antons lauter, fast freudiger Ausruf.
Aber welch' ein Geräusch? Was kann das gewesen
sein?

malen; wie in dieſe unbeſchreiblich kurze Friſt, in die
wenigen Schritte uͤber die Schwelle des Gemaches,
ein ganzes Leben voll Reue und Beſchaͤmung zuſam-
mengedraͤngt ſchien! Wie der kleine, kurze Raum,
dem Manne entgegen an dem er freveln wollen, ihm
ein langer ſchwerer Weg zum Strafgericht duͤnkte!
Ja wohl, freveln wollen. Denn nicht die Gewalt
einer heißen Leidenſchaft, die auch wenn ſie in’s
Elend fuͤhrt, noch immer veredelnd erhebt, hielt ihn
aufrecht. Nur eitler, uͤbermuͤthiger Leichtſinn hatte
ihn erregt und dieſer brach zuſammen, vor einer ſo
ernſten Begegnung.

Doch wo weilte der Gefuͤrchtete, Verrathene?

Vergebens ließ das ſchuldbewußte Paar ſeine
Blicke durch alle Raͤume und Winkel ſtreifen? Ver-
gebens rief ſie des Mannes Namen? Alles blieb
unbeweglich und ſtill. Die todten Geſichter ſtarrten
mit entſetzlichem Schweigen in’s Halbdunkel; kein
lebendiges menſchliches Weſen war unter ihnen zu
entdecken.

Er iſt nicht hier! Gelobt ſei Gott, er iſt nicht
hier! erklang Antons lauter, faſt freudiger Ausruf.
Aber welch’ ein Geraͤuſch? Was kann das geweſen
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[255/0257] malen; wie in dieſe unbeſchreiblich kurze Friſt, in die wenigen Schritte uͤber die Schwelle des Gemaches, ein ganzes Leben voll Reue und Beſchaͤmung zuſam- mengedraͤngt ſchien! Wie der kleine, kurze Raum, dem Manne entgegen an dem er freveln wollen, ihm ein langer ſchwerer Weg zum Strafgericht duͤnkte! Ja wohl, freveln wollen. Denn nicht die Gewalt einer heißen Leidenſchaft, die auch wenn ſie in’s Elend fuͤhrt, noch immer veredelnd erhebt, hielt ihn aufrecht. Nur eitler, uͤbermuͤthiger Leichtſinn hatte ihn erregt und dieſer brach zuſammen, vor einer ſo ernſten Begegnung. Doch wo weilte der Gefuͤrchtete, Verrathene? Vergebens ließ das ſchuldbewußte Paar ſeine Blicke durch alle Raͤume und Winkel ſtreifen? Ver- gebens rief ſie des Mannes Namen? Alles blieb unbeweglich und ſtill. Die todten Geſichter ſtarrten mit entſetzlichem Schweigen in’s Halbdunkel; kein lebendiges menſchliches Weſen war unter ihnen zu entdecken. Er iſt nicht hier! Gelobt ſei Gott, er iſt nicht hier! erklang Antons lauter, faſt freudiger Ausruf. Aber welch’ ein Geraͤuſch? Was kann das geweſen ſein?

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/257>, abgerufen am 24.11.2024.