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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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seither, so würde wahrscheinlich wie seither Anton's
gemessene, besonnene Zurückhaltung bewirkt haben,
daß auch Käthchen jenem unüberlegten Ausbruche
ihres Gefühles, der ihr beim Anblick der buchstabiren-
den Vögel entschlüpfte, keine weitere Folge gegeben
hätte. Dagegen wurde die ihrer Anmuth neu zu-
gewendete, gleichsam erst aus einem Zwischenraume
künstlerischer Verhimmelung wiederum auflebende,
irdisch-liebende Zuneigung ihres Gatten ihr geradezu
unerträglich, nachdem sie Monate lang den verbotenen
Götzendienst heimlicher Anbetung für Anton, sonder
Störung im Stillen ausüben dürfen. Die entsagende
Geduld, womit sie ihr Eheband, als eine vom Him-
mel auferlegte und abgeschlossene Verpflichtung
getragen, verwandelte sich jetzt, da ihre Träume
durch Wirklichkeiten bedroht schienen, in Ueberdruß,
Ungeduld, Widersetzlichkeit. Und was ihr Pflicht-
gefühl, Gewissen, Frömmigkeit in ernsten Mahnun-
gen dagegen sagten, suchte sie in den Wind zu
schlagen mit dem sich selbst ertheilten Zeugniß ihren
Gemal gleich bei Anton's Aufnahme gewarnt, ihre
Bedenklichkeiten wider einen Reise- und Lebens-
genossen von diesem Schlage ausgesprochen zu haben.
"Sagt ich ihm nicht, daß dieser junge Mann meinem

ſeither, ſo wuͤrde wahrſcheinlich wie ſeither Anton’s
gemeſſene, beſonnene Zuruͤckhaltung bewirkt haben,
daß auch Kaͤthchen jenem unuͤberlegten Ausbruche
ihres Gefuͤhles, der ihr beim Anblick der buchſtabiren-
den Voͤgel entſchluͤpfte, keine weitere Folge gegeben
haͤtte. Dagegen wurde die ihrer Anmuth neu zu-
gewendete, gleichſam erſt aus einem Zwiſchenraume
kuͤnſtleriſcher Verhimmelung wiederum auflebende,
irdiſch-liebende Zuneigung ihres Gatten ihr geradezu
unertraͤglich, nachdem ſie Monate lang den verbotenen
Goͤtzendienſt heimlicher Anbetung fuͤr Anton, ſonder
Stoͤrung im Stillen ausuͤben duͤrfen. Die entſagende
Geduld, womit ſie ihr Eheband, als eine vom Him-
mel auferlegte und abgeſchloſſene Verpflichtung
getragen, verwandelte ſich jetzt, da ihre Traͤume
durch Wirklichkeiten bedroht ſchienen, in Ueberdruß,
Ungeduld, Widerſetzlichkeit. Und was ihr Pflicht-
gefuͤhl, Gewiſſen, Froͤmmigkeit in ernſten Mahnun-
gen dagegen ſagten, ſuchte ſie in den Wind zu
ſchlagen mit dem ſich ſelbſt ertheilten Zeugniß ihren
Gemal gleich bei Anton’s Aufnahme gewarnt, ihre
Bedenklichkeiten wider einen Reiſe- und Lebens-
genoſſen von dieſem Schlage ausgeſprochen zu haben.
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[246/0248] ſeither, ſo wuͤrde wahrſcheinlich wie ſeither Anton’s gemeſſene, beſonnene Zuruͤckhaltung bewirkt haben, daß auch Kaͤthchen jenem unuͤberlegten Ausbruche ihres Gefuͤhles, der ihr beim Anblick der buchſtabiren- den Voͤgel entſchluͤpfte, keine weitere Folge gegeben haͤtte. Dagegen wurde die ihrer Anmuth neu zu- gewendete, gleichſam erſt aus einem Zwiſchenraume kuͤnſtleriſcher Verhimmelung wiederum auflebende, irdiſch-liebende Zuneigung ihres Gatten ihr geradezu unertraͤglich, nachdem ſie Monate lang den verbotenen Goͤtzendienſt heimlicher Anbetung fuͤr Anton, ſonder Stoͤrung im Stillen ausuͤben duͤrfen. Die entſagende Geduld, womit ſie ihr Eheband, als eine vom Him- mel auferlegte und abgeſchloſſene Verpflichtung getragen, verwandelte ſich jetzt, da ihre Traͤume durch Wirklichkeiten bedroht ſchienen, in Ueberdruß, Ungeduld, Widerſetzlichkeit. Und was ihr Pflicht- gefuͤhl, Gewiſſen, Froͤmmigkeit in ernſten Mahnun- gen dagegen ſagten, ſuchte ſie in den Wind zu ſchlagen mit dem ſich ſelbſt ertheilten Zeugniß ihren Gemal gleich bei Anton’s Aufnahme gewarnt, ihre Bedenklichkeiten wider einen Reiſe- und Lebens- genoſſen von dieſem Schlage ausgeſprochen zu haben. „Sagt ich ihm nicht, daß dieſer junge Mann meinem

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/248>, abgerufen am 19.05.2024.