Dummheit und deren thörichte Furchtsamkeit ver- stecken; ich will vielmehr treuherzig eingestehen, daß ich mich auch noch als überreifer, vielerfahrener Mann fürchterlich gefürchtet habe, wenn ich mich zufällig, weil die Aufseher gerade abwesend und andere Zu- schauer nicht zugegen waren, allein vor einer solchen Parade von Wachsfiguren befand. Fast kenne ich nichts Schauerlicheres. Wie eine Gesellschaft aus- geputzter Kadaver; ich behaupte auch, daß es, ich weiß nicht warum? wie in einer Todtenkammer riecht! Deshalb bin ich nicht berechtiget, meinem Helden sein Entsetzen übel zu nehmen. Es findet sich eine Zeile in seinem Tagebuche, -- auf welches zurückzukommen wir im nächsten Kapitel ohnedies genöthiget sein wer- den, -- worin er ausspricht, daß er sich unbedenklich durch die Flucht gerettet haben würde, hätte er nicht die schöne stumme Blondine an der Kasse gewußt und ihren Hohn gefürchtet. Er stählte sich folglich mit dem Muthe der Furcht, welcher, obgleich nichts An- deres als Furcht vor der Furcht, am gehörigen Orte Wunder zu wirken vermag. Er blieb. Rückte den hohen und höchsten Herrschaften, die mit berüchtigten Räubern, Dichtern, Delinquenten, Gelehrten, Kar- tenspielern, Trinkern, Giftmischern abwechselnd, hier
Dummheit und deren thoͤrichte Furchtſamkeit ver- ſtecken; ich will vielmehr treuherzig eingeſtehen, daß ich mich auch noch als uͤberreifer, vielerfahrener Mann fuͤrchterlich gefuͤrchtet habe, wenn ich mich zufaͤllig, weil die Aufſeher gerade abweſend und andere Zu- ſchauer nicht zugegen waren, allein vor einer ſolchen Parade von Wachsfiguren befand. Faſt kenne ich nichts Schauerlicheres. Wie eine Geſellſchaft aus- geputzter Kadaver; ich behaupte auch, daß es, ich weiß nicht warum? wie in einer Todtenkammer riecht! Deshalb bin ich nicht berechtiget, meinem Helden ſein Entſetzen uͤbel zu nehmen. Es findet ſich eine Zeile in ſeinem Tagebuche, — auf welches zuruͤckzukommen wir im naͤchſten Kapitel ohnedies genoͤthiget ſein wer- den, — worin er ausſpricht, daß er ſich unbedenklich durch die Flucht gerettet haben wuͤrde, haͤtte er nicht die ſchoͤne ſtumme Blondine an der Kaſſe gewußt und ihren Hohn gefuͤrchtet. Er ſtaͤhlte ſich folglich mit dem Muthe der Furcht, welcher, obgleich nichts An- deres als Furcht vor der Furcht, am gehoͤrigen Orte Wunder zu wirken vermag. Er blieb. Ruͤckte den hohen und hoͤchſten Herrſchaften, die mit beruͤchtigten Raͤubern, Dichtern, Delinquenten, Gelehrten, Kar- tenſpielern, Trinkern, Giftmiſchern abwechſelnd, hier
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0215"n="213"/>
Dummheit und deren thoͤrichte Furchtſamkeit ver-<lb/>ſtecken; ich will vielmehr treuherzig eingeſtehen, daß<lb/>
ich mich auch noch als uͤberreifer, vielerfahrener Mann<lb/>
fuͤrchterlich gefuͤrchtet habe, wenn ich mich zufaͤllig,<lb/>
weil die Aufſeher gerade abweſend und andere Zu-<lb/>ſchauer nicht zugegen waren, allein vor einer ſolchen<lb/>
Parade von Wachsfiguren befand. Faſt kenne ich<lb/>
nichts Schauerlicheres. Wie eine Geſellſchaft aus-<lb/>
geputzter Kadaver; ich behaupte auch, daß es, ich<lb/>
weiß nicht warum? wie in einer Todtenkammer riecht!<lb/>
Deshalb bin ich nicht berechtiget, meinem Helden ſein<lb/>
Entſetzen uͤbel zu nehmen. Es findet ſich eine Zeile<lb/>
in ſeinem Tagebuche, — auf welches zuruͤckzukommen<lb/>
wir im naͤchſten Kapitel ohnedies genoͤthiget ſein wer-<lb/>
den, — worin er ausſpricht, daß er ſich unbedenklich<lb/>
durch die Flucht gerettet haben wuͤrde, haͤtte er nicht<lb/>
die ſchoͤne ſtumme Blondine an der Kaſſe gewußt und<lb/>
ihren Hohn gefuͤrchtet. Er ſtaͤhlte ſich folglich mit<lb/>
dem Muthe der Furcht, welcher, obgleich nichts An-<lb/>
deres als Furcht vor der Furcht, am gehoͤrigen Orte<lb/>
Wunder zu wirken vermag. Er blieb. Ruͤckte den<lb/>
hohen und hoͤchſten Herrſchaften, die mit beruͤchtigten<lb/>
Raͤubern, Dichtern, Delinquenten, Gelehrten, Kar-<lb/>
tenſpielern, Trinkern, Giftmiſchern abwechſelnd, hier<lb/></p></div></body></text></TEI>
[213/0215]
Dummheit und deren thoͤrichte Furchtſamkeit ver-
ſtecken; ich will vielmehr treuherzig eingeſtehen, daß
ich mich auch noch als uͤberreifer, vielerfahrener Mann
fuͤrchterlich gefuͤrchtet habe, wenn ich mich zufaͤllig,
weil die Aufſeher gerade abweſend und andere Zu-
ſchauer nicht zugegen waren, allein vor einer ſolchen
Parade von Wachsfiguren befand. Faſt kenne ich
nichts Schauerlicheres. Wie eine Geſellſchaft aus-
geputzter Kadaver; ich behaupte auch, daß es, ich
weiß nicht warum? wie in einer Todtenkammer riecht!
Deshalb bin ich nicht berechtiget, meinem Helden ſein
Entſetzen uͤbel zu nehmen. Es findet ſich eine Zeile
in ſeinem Tagebuche, — auf welches zuruͤckzukommen
wir im naͤchſten Kapitel ohnedies genoͤthiget ſein wer-
den, — worin er ausſpricht, daß er ſich unbedenklich
durch die Flucht gerettet haben wuͤrde, haͤtte er nicht
die ſchoͤne ſtumme Blondine an der Kaſſe gewußt und
ihren Hohn gefuͤrchtet. Er ſtaͤhlte ſich folglich mit
dem Muthe der Furcht, welcher, obgleich nichts An-
deres als Furcht vor der Furcht, am gehoͤrigen Orte
Wunder zu wirken vermag. Er blieb. Ruͤckte den
hohen und hoͤchſten Herrſchaften, die mit beruͤchtigten
Raͤubern, Dichtern, Delinquenten, Gelehrten, Kar-
tenſpielern, Trinkern, Giftmiſchern abwechſelnd, hier
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/215>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.