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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852.

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Stuhl, den sie bei ihrer Arbeit unter dem Kopf gehabt,
ist zusammengebrochen, der Ambos ihr auf die Brust
gestürzt, .."

Arme Frau!

"Es war ein leichter Tod; sie litt nicht lange.
Aber der Vater! dieser konnte sich über den Verlust
nicht trösten. Er wurde schwächlich. Sein Nerven-
system war völlig zerrüttet. Und sonderbar; er, die-
ser fameuse Gesichterschneider, blieb in den letzten
Tagen seines Lebens und Wirkens, -- denn er studirte
und arbeitete bis zum letzten Hauche, -- nicht mehr
Herr über die Muskeln, die ihm stets so gehorsam
gewesen. Sobald er ein bedeutendes Gesicht geschnit-
ten, -- das bracht' er noch zu Stande, Gott sei
Dank; so weit konnte sein Talent ihn nicht verlassen,
dazu war seine Künstlerschaft zu vollendet; -- sobald
er, wollt' ich sagen, ein bedeutendes Gesicht fertig
hatte, blieb es stehen. Denken Sie, Herr Antoine,
es blieb stehen; welch' ein eigenthümliches Phäno-
men! Manchmal um eine Minute länger, als in sei-
ner Absicht lag. Wie sich dies einigemale wiederholt,
wußt' ich, daß sein Stündchen geschlagen. Durch
vieles Zureden gelang es mir, ihn in's Bett zu brin-
gen. Großer Geist: er konnte nicht unthätig blei-

Die Vagabunden. II. 10

Stuhl, den ſie bei ihrer Arbeit unter dem Kopf gehabt,
iſt zuſammengebrochen, der Ambos ihr auf die Bruſt
geſtuͤrzt, ..“

Arme Frau!

„Es war ein leichter Tod; ſie litt nicht lange.
Aber der Vater! dieſer konnte ſich uͤber den Verluſt
nicht troͤſten. Er wurde ſchwaͤchlich. Sein Nerven-
ſyſtem war voͤllig zerruͤttet. Und ſonderbar; er, die-
ſer fameuſe Geſichterſchneider, blieb in den letzten
Tagen ſeines Lebens und Wirkens, — denn er ſtudirte
und arbeitete bis zum letzten Hauche, — nicht mehr
Herr uͤber die Muskeln, die ihm ſtets ſo gehorſam
geweſen. Sobald er ein bedeutendes Geſicht geſchnit-
ten, — das bracht’ er noch zu Stande, Gott ſei
Dank; ſo weit konnte ſein Talent ihn nicht verlaſſen,
dazu war ſeine Kuͤnſtlerſchaft zu vollendet; — ſobald
er, wollt’ ich ſagen, ein bedeutendes Geſicht fertig
hatte, blieb es ſtehen. Denken Sie, Herr Antoine,
es blieb ſtehen; welch’ ein eigenthuͤmliches Phaͤno-
men! Manchmal um eine Minute laͤnger, als in ſei-
ner Abſicht lag. Wie ſich dies einigemale wiederholt,
wußt’ ich, daß ſein Stuͤndchen geſchlagen. Durch
vieles Zureden gelang es mir, ihn in’s Bett zu brin-
gen. Großer Geiſt: er konnte nicht unthaͤtig blei-

Die Vagabunden. II. 10
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[145/0147] Stuhl, den ſie bei ihrer Arbeit unter dem Kopf gehabt, iſt zuſammengebrochen, der Ambos ihr auf die Bruſt geſtuͤrzt, ..“ Arme Frau! „Es war ein leichter Tod; ſie litt nicht lange. Aber der Vater! dieſer konnte ſich uͤber den Verluſt nicht troͤſten. Er wurde ſchwaͤchlich. Sein Nerven- ſyſtem war voͤllig zerruͤttet. Und ſonderbar; er, die- ſer fameuſe Geſichterſchneider, blieb in den letzten Tagen ſeines Lebens und Wirkens, — denn er ſtudirte und arbeitete bis zum letzten Hauche, — nicht mehr Herr uͤber die Muskeln, die ihm ſtets ſo gehorſam geweſen. Sobald er ein bedeutendes Geſicht geſchnit- ten, — das bracht’ er noch zu Stande, Gott ſei Dank; ſo weit konnte ſein Talent ihn nicht verlaſſen, dazu war ſeine Kuͤnſtlerſchaft zu vollendet; — ſobald er, wollt’ ich ſagen, ein bedeutendes Geſicht fertig hatte, blieb es ſtehen. Denken Sie, Herr Antoine, es blieb ſtehen; welch’ ein eigenthuͤmliches Phaͤno- men! Manchmal um eine Minute laͤnger, als in ſei- ner Abſicht lag. Wie ſich dies einigemale wiederholt, wußt’ ich, daß ſein Stuͤndchen geſchlagen. Durch vieles Zureden gelang es mir, ihn in’s Bett zu brin- gen. Großer Geiſt: er konnte nicht unthaͤtig blei- Die Vagabunden. II. 10

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 2. Breslau, 1852, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden02_1852/147>, abgerufen am 25.11.2024.