ihm zu entwickeln. Zuerst ein musikalisches. Unter all' den Jungen, so beim Herrn Schulmeister streichen und geigen mußten, zum Schreck und Schauder sämmtlicher Dorfhunde, welche ängstlich mit ein- geklemmten Schwänzen und nur bei unvermeidlichen Gängen und Geschäften an der philharmonischen Sektion des Schulhauses vorüber schlichen, -- war er der Einzige, der seiner kleinen armseligen Fiedel reinere Töne zu entlocken wußte. So glänzend strahl- ten seine Progressen, daß er Herrn Kickelier, den Leh- rer (Gottfrieds Vater), bald überbot und nichts mehr von ihm vernahm, als staunende Lobeserhebungen, während derselbe den übrigen Jungen nicht Finger- knipse genug darreichen konnte für all' ihre Mißtöne.
Die zweite von Antons Gaben sprach sich in fri- schen Reimen aus, die ihm wunderbar leicht gelangen. Jch hätte mich wissenschaftlich-kritischer ausdrücken und sagen können: er besaß Anlagen zur Poesie; er war Naturdichter; und dergleichen mehr. Jch sagte absichtlich und ausdrücklich: sein Talent sprach sich in Reimen aus. Weil ich zu den aufrichtigen Leuten gehöre und eingestehe, daß ich den Reim bei einer gewissen harmlosen Gattung lyrischer Kleinigkeiten nicht entbehren mag; daß ich ihn fast für die Sache
ihm zu entwickeln. Zuerſt ein muſikaliſches. Unter all’ den Jungen, ſo beim Herrn Schulmeiſter ſtreichen und geigen mußten, zum Schreck und Schauder ſaͤmmtlicher Dorfhunde, welche aͤngſtlich mit ein- geklemmten Schwaͤnzen und nur bei unvermeidlichen Gaͤngen und Geſchaͤften an der philharmoniſchen Sektion des Schulhauſes voruͤber ſchlichen, — war er der Einzige, der ſeiner kleinen armſeligen Fiedel reinere Toͤne zu entlocken wußte. So glaͤnzend ſtrahl- ten ſeine Progreſſen, daß er Herrn Kickelier, den Leh- rer (Gottfrieds Vater), bald uͤberbot und nichts mehr von ihm vernahm, als ſtaunende Lobeserhebungen, waͤhrend derſelbe den uͤbrigen Jungen nicht Finger- knipſe genug darreichen konnte fuͤr all’ ihre Mißtoͤne.
Die zweite von Antons Gaben ſprach ſich in fri- ſchen Reimen aus, die ihm wunderbar leicht gelangen. Jch haͤtte mich wiſſenſchaftlich-kritiſcher ausdruͤcken und ſagen koͤnnen: er beſaß Anlagen zur Poeſie; er war Naturdichter; und dergleichen mehr. Jch ſagte abſichtlich und ausdruͤcklich: ſein Talent ſprach ſich in Reimen aus. Weil ich zu den aufrichtigen Leuten gehoͤre und eingeſtehe, daß ich den Reim bei einer gewiſſen harmloſen Gattung lyriſcher Kleinigkeiten nicht entbehren mag; daß ich ihn faſt fuͤr die Sache
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ihm zu entwickeln. Zuerſt ein muſikaliſches. Unter
all’ den Jungen, ſo beim Herrn Schulmeiſter ſtreichen
und geigen mußten, zum Schreck und Schauder
ſaͤmmtlicher Dorfhunde, welche aͤngſtlich mit ein-
geklemmten Schwaͤnzen und nur bei unvermeidlichen
Gaͤngen und Geſchaͤften an der philharmoniſchen
Sektion des Schulhauſes voruͤber ſchlichen, — war
er der Einzige, der ſeiner kleinen armſeligen Fiedel
reinere Toͤne zu entlocken wußte. So glaͤnzend ſtrahl-
ten ſeine Progreſſen, daß er Herrn Kickelier, den Leh-
rer (Gottfrieds Vater), bald uͤberbot und nichts mehr
von ihm vernahm, als ſtaunende Lobeserhebungen,
waͤhrend derſelbe den uͤbrigen Jungen nicht Finger-
knipſe genug darreichen konnte fuͤr all’ ihre Mißtoͤne.
Die zweite von Antons Gaben ſprach ſich in fri-
ſchen Reimen aus, die ihm wunderbar leicht gelangen.
Jch haͤtte mich wiſſenſchaftlich-kritiſcher ausdruͤcken
und ſagen koͤnnen: er beſaß Anlagen zur Poeſie; er
war Naturdichter; und dergleichen mehr. Jch ſagte
abſichtlich und ausdruͤcklich: ſein Talent ſprach ſich
in Reimen aus. Weil ich zu den aufrichtigen Leuten
gehoͤre und eingeſtehe, daß ich den Reim bei einer
gewiſſen harmloſen Gattung lyriſcher Kleinigkeiten
nicht entbehren mag; daß ich ihn faſt fuͤr die Sache
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/72>, abgerufen am 22.11.2024.
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