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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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möglichst abzukürzen und im nächsten schattigen Wäld-
chen zu beenden wußten, wo man sich lagerte. Bis
vor einem Jahre noch hatte man zu jedem dieser Züge
Anton abgeholt. Der Korbmacherjunge, der sauberste,
hübscheste, klügste Genosse der Spielzeit durfte nie
fehlen. Jetzt war das nicht mehr so. Die Hochschü-
ler fingen an, sich seiner zu schämen; in seinem Wesen
lag es nicht, sich aufzudringen. Er blieb fern und
Tieletunke schlenderte allein hinter den zwei zärtlichen
Paaren her, ohne durch ein Wort oder eine Miene zu
verrathen, daß sie den Begleiter ihrer Kindheit ver-
misse. Doch entschädigte sie sich dann beim Ausklei-
den für ihre Entbehrung, wenn sie den Schwestern zu
verstehen gab: Rubs und Puschel wichen dem ver-
trauten Verkehr mit ihrem ehemaligen Spielkamera-
den nicht deshalb aus, weil sie sich des Dorfjungen,
sondern weil sie sich vor ihm schämten, der in seiner
grauen, grobleinenen Jacke zierlicher, vornehmer,
unterrichteter sei, als die plumpen Schulflegel.

Und gewissermaßen sprach sie wahr. Die Gegner
der Aristokratie mögen zweifeln wie sie wollen und
können, -- es gibt einen angeborenen Adel; nur frei-
lich, daß er nicht unveräußerliches Erbtheil der Ade-
ligen bleibt! Daß er oft mehrere Generationen über-

moͤglichſt abzukuͤrzen und im naͤchſten ſchattigen Waͤld-
chen zu beenden wußten, wo man ſich lagerte. Bis
vor einem Jahre noch hatte man zu jedem dieſer Zuͤge
Anton abgeholt. Der Korbmacherjunge, der ſauberſte,
huͤbſcheſte, kluͤgſte Genoſſe der Spielzeit durfte nie
fehlen. Jetzt war das nicht mehr ſo. Die Hochſchuͤ-
ler fingen an, ſich ſeiner zu ſchaͤmen; in ſeinem Weſen
lag es nicht, ſich aufzudringen. Er blieb fern und
Tieletunke ſchlenderte allein hinter den zwei zaͤrtlichen
Paaren her, ohne durch ein Wort oder eine Miene zu
verrathen, daß ſie den Begleiter ihrer Kindheit ver-
miſſe. Doch entſchaͤdigte ſie ſich dann beim Ausklei-
den fuͤr ihre Entbehrung, wenn ſie den Schweſtern zu
verſtehen gab: Rubs und Puſchel wichen dem ver-
trauten Verkehr mit ihrem ehemaligen Spielkamera-
den nicht deshalb aus, weil ſie ſich des Dorfjungen,
ſondern weil ſie ſich vor ihm ſchaͤmten, der in ſeiner
grauen, grobleinenen Jacke zierlicher, vornehmer,
unterrichteter ſei, als die plumpen Schulflegel.

Und gewiſſermaßen ſprach ſie wahr. Die Gegner
der Ariſtokratie moͤgen zweifeln wie ſie wollen und
koͤnnen, — es gibt einen angeborenen Adel; nur frei-
lich, daß er nicht unveraͤußerliches Erbtheil der Ade-
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[54/0070] moͤglichſt abzukuͤrzen und im naͤchſten ſchattigen Waͤld- chen zu beenden wußten, wo man ſich lagerte. Bis vor einem Jahre noch hatte man zu jedem dieſer Zuͤge Anton abgeholt. Der Korbmacherjunge, der ſauberſte, huͤbſcheſte, kluͤgſte Genoſſe der Spielzeit durfte nie fehlen. Jetzt war das nicht mehr ſo. Die Hochſchuͤ- ler fingen an, ſich ſeiner zu ſchaͤmen; in ſeinem Weſen lag es nicht, ſich aufzudringen. Er blieb fern und Tieletunke ſchlenderte allein hinter den zwei zaͤrtlichen Paaren her, ohne durch ein Wort oder eine Miene zu verrathen, daß ſie den Begleiter ihrer Kindheit ver- miſſe. Doch entſchaͤdigte ſie ſich dann beim Ausklei- den fuͤr ihre Entbehrung, wenn ſie den Schweſtern zu verſtehen gab: Rubs und Puſchel wichen dem ver- trauten Verkehr mit ihrem ehemaligen Spielkamera- den nicht deshalb aus, weil ſie ſich des Dorfjungen, ſondern weil ſie ſich vor ihm ſchaͤmten, der in ſeiner grauen, grobleinenen Jacke zierlicher, vornehmer, unterrichteter ſei, als die plumpen Schulflegel. Und gewiſſermaßen ſprach ſie wahr. Die Gegner der Ariſtokratie moͤgen zweifeln wie ſie wollen und koͤnnen, — es gibt einen angeborenen Adel; nur frei- lich, daß er nicht unveraͤußerliches Erbtheil der Ade- ligen bleibt! Daß er oft mehrere Generationen uͤber-

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/70>, abgerufen am 23.11.2024.