Monate sind verflossen. Der Frühling ist da. Alles ringsumher ahnet frisches Leben und Streben. So- gar die Vögel, die armen Gefangenen, an ihre Stan- gen gekettet, erwachen aus frostigem Winter-Phlegma und wechseln zärtliche Worte. Nur Anton spürt nicht, was um ihn her geschieht? Er lebt in ungestörtem Eifer seinen Pflichten; lernt daneben fleißig aus sei- ner Sprachlehre; übt Guitarre und Gesang; schreibt zierlich Noten, -- (ein Erbtheil des seeligen Groß- vaters!) -- lieset allerlei gute Bücher aus Leihanstal- ten, und würde sich glücklich fühlen, wenn nicht zweierlei unangenehme Empfindungen bisweilen diese genügsame Zufriedenheit unterbrächen. Erstlich ent- behrt er den stillen wehmüthigen Frieden seiner dunklen Abendstunden, die theils in dem Maße schwinden, als der Tag wieder zunimmt, theils nicht mehr die alte Wirkung auf ihn üben, seitdem mit den Erinnerungen an Liebenau sich Erinnerungen an jene geträumte Erscheinung der holden Laura durchweben. Zweitens aber plagt ihn häufig eifersüchtiger Verdruß, den er nicht zurückzuweisen vermag, wenn junge Herren mit Madame Amelot plaudern. Besonders zuwider sind ihm darin die schönen Offiziere. Sie benimmt sich zwar durchaus vorwurfsfrei, -- dennoch, -- was
Monate ſind verfloſſen. Der Fruͤhling iſt da. Alles ringsumher ahnet friſches Leben und Streben. So- gar die Voͤgel, die armen Gefangenen, an ihre Stan- gen gekettet, erwachen aus froſtigem Winter-Phlegma und wechſeln zaͤrtliche Worte. Nur Anton ſpuͤrt nicht, was um ihn her geſchieht? Er lebt in ungeſtoͤrtem Eifer ſeinen Pflichten; lernt daneben fleißig aus ſei- ner Sprachlehre; uͤbt Guitarre und Geſang; ſchreibt zierlich Noten, — (ein Erbtheil des ſeeligen Groß- vaters!) — lieſet allerlei gute Buͤcher aus Leihanſtal- ten, und wuͤrde ſich gluͤcklich fuͤhlen, wenn nicht zweierlei unangenehme Empfindungen bisweilen dieſe genuͤgſame Zufriedenheit unterbraͤchen. Erſtlich ent- behrt er den ſtillen wehmuͤthigen Frieden ſeiner dunklen Abendſtunden, die theils in dem Maße ſchwinden, als der Tag wieder zunimmt, theils nicht mehr die alte Wirkung auf ihn uͤben, ſeitdem mit den Erinnerungen an Liebenau ſich Erinnerungen an jene getraͤumte Erſcheinung der holden Laura durchweben. Zweitens aber plagt ihn haͤufig eiferſuͤchtiger Verdruß, den er nicht zuruͤckzuweiſen vermag, wenn junge Herren mit Madame Amelot plaudern. Beſonders zuwider ſind ihm darin die ſchoͤnen Offiziere. Sie benimmt ſich zwar durchaus vorwurfsfrei, — dennoch, — was
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Monate ſind verfloſſen. Der Fruͤhling iſt da. Alles
ringsumher ahnet friſches Leben und Streben. So-
gar die Voͤgel, die armen Gefangenen, an ihre Stan-
gen gekettet, erwachen aus froſtigem Winter-Phlegma
und wechſeln zaͤrtliche Worte. Nur Anton ſpuͤrt nicht,
was um ihn her geſchieht? Er lebt in ungeſtoͤrtem
Eifer ſeinen Pflichten; lernt daneben fleißig aus ſei-
ner Sprachlehre; uͤbt Guitarre und Geſang; ſchreibt
zierlich Noten, — (ein Erbtheil des ſeeligen Groß-
vaters!) — lieſet allerlei gute Buͤcher aus Leihanſtal-
ten, und wuͤrde ſich gluͤcklich fuͤhlen, wenn nicht
zweierlei unangenehme Empfindungen bisweilen dieſe
genuͤgſame Zufriedenheit unterbraͤchen. Erſtlich ent-
behrt er den ſtillen wehmuͤthigen Frieden ſeiner dunklen
Abendſtunden, die theils in dem Maße ſchwinden, als
der Tag wieder zunimmt, theils nicht mehr die alte
Wirkung auf ihn uͤben, ſeitdem mit den Erinnerungen
an Liebenau ſich Erinnerungen an jene getraͤumte
Erſcheinung der holden Laura durchweben. Zweitens
aber plagt ihn haͤufig eiferſuͤchtiger Verdruß, den er
nicht zuruͤckzuweiſen vermag, wenn junge Herren mit
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/283>, abgerufen am 24.11.2024.
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