Anton schwieg ein Weilchen, dann begann er: das ist wieder eines von den dunklen, unverständli- chen Worten, wie sie Dir oft entschlüpfen, Alte, gleichsam gegen Deinen Willen. Sie ängstigen mich, diese Worte. Siehst Du, das muß ein Ende nehmen. Jch will wissen, was es mit meiner seligen Mutter war? Will wissen, wer mein Vater gewesen? Was aus beiden geworden? Und wie Du in diese Hütte verschlagen worden bist? Jch habe ein Recht dazu, Großmutter! Jch bin kein Kind mehr. Am vorletzten Osterfeste schon hat mich unser Herr Pastor konsir- mirt, und hat mich sammt der ganzen Gemeinde zum Tische des Herrn gehn lassen; -- jetzt bin ich siebzehn vorbei; -- und hat damals gesagt, ich wäre reifer und würdiger dazu als alle Jungen im Dorfe, die um ein Jahr älter sind. Folglich kannst Du mit mir reden, wie mit einem Erwachsenen. Das weißt Du auch recht gut. Also könntest Du billig ein Ende machen und mich heute wissen lassen, was ich über kurz oder lang doch erfahren muß.
"Wie gescheidt der Junge seine Reden setzt," mur- melte die Mutter Goksch, indem sie ihm die reichen Locken von der Stirne schob. Sie betrachtete ihn
„Nur allzuſehr,“ erwiederte die Großmutter.
Anton ſchwieg ein Weilchen, dann begann er: das iſt wieder eines von den dunklen, unverſtaͤndli- chen Worten, wie ſie Dir oft entſchluͤpfen, Alte, gleichſam gegen Deinen Willen. Sie aͤngſtigen mich, dieſe Worte. Siehſt Du, das muß ein Ende nehmen. Jch will wiſſen, was es mit meiner ſeligen Mutter war? Will wiſſen, wer mein Vater geweſen? Was aus beiden geworden? Und wie Du in dieſe Huͤtte verſchlagen worden biſt? Jch habe ein Recht dazu, Großmutter! Jch bin kein Kind mehr. Am vorletzten Oſterfeſte ſchon hat mich unſer Herr Paſtor konſir- mirt, und hat mich ſammt der ganzen Gemeinde zum Tiſche des Herrn gehn laſſen; — jetzt bin ich ſiebzehn vorbei; — und hat damals geſagt, ich waͤre reifer und wuͤrdiger dazu als alle Jungen im Dorfe, die um ein Jahr aͤlter ſind. Folglich kannſt Du mit mir reden, wie mit einem Erwachſenen. Das weißt Du auch recht gut. Alſo koͤnnteſt Du billig ein Ende machen und mich heute wiſſen laſſen, was ich uͤber kurz oder lang doch erfahren muß.
„Wie geſcheidt der Junge ſeine Reden ſetzt,“ mur- melte die Mutter Gokſch, indem ſie ihm die reichen Locken von der Stirne ſchob. Sie betrachtete ihn
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„Nur allzuſehr,“ erwiederte die Großmutter.
Anton ſchwieg ein Weilchen, dann begann er:
das iſt wieder eines von den dunklen, unverſtaͤndli-
chen Worten, wie ſie Dir oft entſchluͤpfen, Alte,
gleichſam gegen Deinen Willen. Sie aͤngſtigen mich,
dieſe Worte. Siehſt Du, das muß ein Ende nehmen.
Jch will wiſſen, was es mit meiner ſeligen Mutter
war? Will wiſſen, wer mein Vater geweſen? Was
aus beiden geworden? Und wie Du in dieſe Huͤtte
verſchlagen worden biſt? Jch habe ein Recht dazu,
Großmutter! Jch bin kein Kind mehr. Am vorletzten
Oſterfeſte ſchon hat mich unſer Herr Paſtor konſir-
mirt, und hat mich ſammt der ganzen Gemeinde zum
Tiſche des Herrn gehn laſſen; — jetzt bin ich ſiebzehn
vorbei; — und hat damals geſagt, ich waͤre reifer
und wuͤrdiger dazu als alle Jungen im Dorfe, die
um ein Jahr aͤlter ſind. Folglich kannſt Du mit mir
reden, wie mit einem Erwachſenen. Das weißt Du
auch recht gut. Alſo koͤnnteſt Du billig ein Ende
machen und mich heute wiſſen laſſen, was ich uͤber
kurz oder lang doch erfahren muß.
„Wie geſcheidt der Junge ſeine Reden ſetzt,“ mur-
melte die Mutter Gokſch, indem ſie ihm die reichen
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/21>, abgerufen am 24.11.2024.
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