Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

heute, die jüngste Vergangenheit vergessend, sich an-
schloß. Er überlegte weiter nicht, welche Folgen dies
möglicherweise haben könnte? Seine Großmutter
schüttelte ängstlich das alte Haupt, wie er dahin zog
-- in seinem besten Putze!

Er war sehr schön. Weiße Beinkleider aus dem
feinsten selbstgesponnenen Leinwandstücke der Mutter
Goksch geschnitten und vom Dorfschneider mit beson-
derer Vorliebe und Sorgfalt gearbeitet, saßen ihm so
nett und knapp und hoben seine schlanke, kräftige
Gestalt so anmuthig hervor, daß man nichts Hübsche-
res sehen konnte; ein kurzes Jäckchen von dunkel-
blauem Tuche schmiegte sich wie gegossen an die
breiten Schultern; um den halboffenen Hemdkragen
schlang sich ein rothseidenes Tuch, dessen Zipfel lang
umher flatterten; auf den vollen braunen Locken, nach
dem rechten Ohre hin gesenkt, saß ein strohgelbes
Ledermützchen. Und das edle Angesicht, aus welchem
unter dunklen Brauen und Wimpern ein blaufeuchtes
Auge hervorstrahlte, bildete in wehmüthigem Ernst
den wirksamsten Gegensatz zu der fast spöttisch lächeln-
den Oberlippe, auf der sich der erste Anflug eines
regelmäßig geformten Bartes wölbte. Sein Gang
war fest und leicht, beides zugleich, ohne Spur von

Die Vagabunden. I. 9

heute, die juͤngſte Vergangenheit vergeſſend, ſich an-
ſchloß. Er uͤberlegte weiter nicht, welche Folgen dies
moͤglicherweiſe haben koͤnnte? Seine Großmutter
ſchuͤttelte aͤngſtlich das alte Haupt, wie er dahin zog
— in ſeinem beſten Putze!

Er war ſehr ſchoͤn. Weiße Beinkleider aus dem
feinſten ſelbſtgeſponnenen Leinwandſtuͤcke der Mutter
Gokſch geſchnitten und vom Dorfſchneider mit beſon-
derer Vorliebe und Sorgfalt gearbeitet, ſaßen ihm ſo
nett und knapp und hoben ſeine ſchlanke, kraͤftige
Geſtalt ſo anmuthig hervor, daß man nichts Huͤbſche-
res ſehen konnte; ein kurzes Jaͤckchen von dunkel-
blauem Tuche ſchmiegte ſich wie gegoſſen an die
breiten Schultern; um den halboffenen Hemdkragen
ſchlang ſich ein rothſeidenes Tuch, deſſen Zipfel lang
umher flatterten; auf den vollen braunen Locken, nach
dem rechten Ohre hin geſenkt, ſaß ein ſtrohgelbes
Ledermuͤtzchen. Und das edle Angeſicht, aus welchem
unter dunklen Brauen und Wimpern ein blaufeuchtes
Auge hervorſtrahlte, bildete in wehmuͤthigem Ernſt
den wirkſamſten Gegenſatz zu der faſt ſpoͤttiſch laͤcheln-
den Oberlippe, auf der ſich der erſte Anflug eines
regelmaͤßig geformten Bartes woͤlbte. Sein Gang
war feſt und leicht, beides zugleich, ohne Spur von

Die Vagabunden. I. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0145" n="129"/>
heute, die ju&#x0364;ng&#x017F;te Vergangenheit verge&#x017F;&#x017F;end, &#x017F;ich an-<lb/>
&#x017F;chloß. Er u&#x0364;berlegte weiter nicht, welche Folgen dies<lb/>
mo&#x0364;glicherwei&#x017F;e haben ko&#x0364;nnte? Seine Großmutter<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttelte a&#x0364;ng&#x017F;tlich das alte Haupt, wie er dahin zog<lb/>
&#x2014; in &#x017F;einem be&#x017F;ten Putze!</p><lb/>
        <p>Er war &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;n. Weiße Beinkleider aus dem<lb/>
fein&#x017F;ten &#x017F;elb&#x017F;tge&#x017F;ponnenen Leinwand&#x017F;tu&#x0364;cke der Mutter<lb/>
Gok&#x017F;ch ge&#x017F;chnitten und vom Dorf&#x017F;chneider mit be&#x017F;on-<lb/>
derer Vorliebe und Sorgfalt gearbeitet, &#x017F;aßen ihm &#x017F;o<lb/>
nett und knapp und hoben &#x017F;eine &#x017F;chlanke, kra&#x0364;ftige<lb/>
Ge&#x017F;talt &#x017F;o anmuthig hervor, daß man nichts Hu&#x0364;b&#x017F;che-<lb/>
res &#x017F;ehen konnte; ein kurzes Ja&#x0364;ckchen von dunkel-<lb/>
blauem Tuche &#x017F;chmiegte &#x017F;ich wie gego&#x017F;&#x017F;en an die<lb/>
breiten Schultern; um den halboffenen Hemdkragen<lb/>
&#x017F;chlang &#x017F;ich ein roth&#x017F;eidenes Tuch, de&#x017F;&#x017F;en Zipfel lang<lb/>
umher flatterten; auf den vollen braunen Locken, nach<lb/>
dem rechten Ohre hin ge&#x017F;enkt, &#x017F;aß ein &#x017F;trohgelbes<lb/>
Ledermu&#x0364;tzchen. Und das edle Ange&#x017F;icht, aus welchem<lb/>
unter dunklen Brauen und Wimpern ein blaufeuchtes<lb/>
Auge hervor&#x017F;trahlte, bildete in wehmu&#x0364;thigem Ern&#x017F;t<lb/>
den wirk&#x017F;am&#x017F;ten Gegen&#x017F;atz zu der fa&#x017F;t &#x017F;po&#x0364;tti&#x017F;ch la&#x0364;cheln-<lb/>
den Oberlippe, auf der &#x017F;ich der er&#x017F;te Anflug eines<lb/>
regelma&#x0364;ßig geformten Bartes wo&#x0364;lbte. Sein Gang<lb/>
war fe&#x017F;t und leicht, beides zugleich, ohne Spur von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Die Vagabunden. <hi rendition="#aq">I.</hi> 9</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0145] heute, die juͤngſte Vergangenheit vergeſſend, ſich an- ſchloß. Er uͤberlegte weiter nicht, welche Folgen dies moͤglicherweiſe haben koͤnnte? Seine Großmutter ſchuͤttelte aͤngſtlich das alte Haupt, wie er dahin zog — in ſeinem beſten Putze! Er war ſehr ſchoͤn. Weiße Beinkleider aus dem feinſten ſelbſtgeſponnenen Leinwandſtuͤcke der Mutter Gokſch geſchnitten und vom Dorfſchneider mit beſon- derer Vorliebe und Sorgfalt gearbeitet, ſaßen ihm ſo nett und knapp und hoben ſeine ſchlanke, kraͤftige Geſtalt ſo anmuthig hervor, daß man nichts Huͤbſche- res ſehen konnte; ein kurzes Jaͤckchen von dunkel- blauem Tuche ſchmiegte ſich wie gegoſſen an die breiten Schultern; um den halboffenen Hemdkragen ſchlang ſich ein rothſeidenes Tuch, deſſen Zipfel lang umher flatterten; auf den vollen braunen Locken, nach dem rechten Ohre hin geſenkt, ſaß ein ſtrohgelbes Ledermuͤtzchen. Und das edle Angeſicht, aus welchem unter dunklen Brauen und Wimpern ein blaufeuchtes Auge hervorſtrahlte, bildete in wehmuͤthigem Ernſt den wirkſamſten Gegenſatz zu der faſt ſpoͤttiſch laͤcheln- den Oberlippe, auf der ſich der erſte Anflug eines regelmaͤßig geformten Bartes woͤlbte. Sein Gang war feſt und leicht, beides zugleich, ohne Spur von Die Vagabunden. I. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/145
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/145>, abgerufen am 02.05.2024.