Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wieder auf. Sie ergötzte sich an seinen geistigen Fortschritten, und weil sie in ihrer Einfalt klug genug war, um einzusehen, "daß sie dumm sei," -- womit sie nur sagen wollte: sie habe nichts gelernt, -- ließ sie sich von ihm unterrichten in Allem, was seine Lehrer ihm eröffnet. Das waren wohl possierliche Lectionen: die kleine, alte Muhme-Lieutnanten, andächtig aufhorchend, und der rothbäckige, ehrliche Junge, vor ihrem Krüppelstuhle stehend und docirend, wie ein rechter Professor, von Aegyptern, Assyrern, Griechen, Römern, Ländern, Meeren, Zahlen, Thieren und Pflanzen. -- Possierliche Lectionen, -- aber schöne, heilige Stunden! Es ist bekannt, daß auf den heißen Kometen-Sommer ein harter Winter folgte. Ein Winter, über dessen Kälte die Frierenden sich bitterlich beklagten, auf dessen glattem Eise jedoch die fahrende Jugend sich weidlich belustigte. Gustav Tiesel war ein gewandter Schlittschuhläufer. Klopstock's Ode wußte er auswendig, und seinen Namen schnitt er spielend ins gefrorene Wasser. Im Stuhlschlitten-Lenken suchte er seines Gleichen. Vergangenen Winter noch hatte er seine Schwestern nach Treschen geführt. Heuer wollte er sich mit ihnen nicht mehr einlassen. Auch fehlte es nicht an vornehmeren Kutschern, die mit Pferdeschlitten einhergebimmelt kamen, und denen der an seiner Familienehre gekränkte Bruder gern soweit als möglich auswich. Denn Lene und Fritzel galten schon für verlorene Mädchen. wieder auf. Sie ergötzte sich an seinen geistigen Fortschritten, und weil sie in ihrer Einfalt klug genug war, um einzusehen, „daß sie dumm sei,“ — womit sie nur sagen wollte: sie habe nichts gelernt, — ließ sie sich von ihm unterrichten in Allem, was seine Lehrer ihm eröffnet. Das waren wohl possierliche Lectionen: die kleine, alte Muhme-Lieutnanten, andächtig aufhorchend, und der rothbäckige, ehrliche Junge, vor ihrem Krüppelstuhle stehend und docirend, wie ein rechter Professor, von Aegyptern, Assyrern, Griechen, Römern, Ländern, Meeren, Zahlen, Thieren und Pflanzen. — Possierliche Lectionen, — aber schöne, heilige Stunden! Es ist bekannt, daß auf den heißen Kometen-Sommer ein harter Winter folgte. Ein Winter, über dessen Kälte die Frierenden sich bitterlich beklagten, auf dessen glattem Eise jedoch die fahrende Jugend sich weidlich belustigte. Gustav Tiesel war ein gewandter Schlittschuhläufer. Klopstock's Ode wußte er auswendig, und seinen Namen schnitt er spielend ins gefrorene Wasser. Im Stuhlschlitten-Lenken suchte er seines Gleichen. Vergangenen Winter noch hatte er seine Schwestern nach Treschen geführt. Heuer wollte er sich mit ihnen nicht mehr einlassen. Auch fehlte es nicht an vornehmeren Kutschern, die mit Pferdeschlitten einhergebimmelt kamen, und denen der an seiner Familienehre gekränkte Bruder gern soweit als möglich auswich. Denn Lene und Fritzel galten schon für verlorene Mädchen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0028"/> wieder auf. Sie ergötzte sich an seinen geistigen Fortschritten, und weil sie in ihrer Einfalt klug genug war, um einzusehen, „daß sie dumm sei,“ — womit sie nur sagen wollte: sie habe nichts gelernt, — ließ sie sich von ihm unterrichten in Allem, was seine Lehrer ihm eröffnet. Das waren wohl possierliche Lectionen: die kleine, alte Muhme-Lieutnanten, andächtig aufhorchend, und der rothbäckige, ehrliche Junge, vor ihrem Krüppelstuhle stehend und docirend, wie ein rechter Professor, von Aegyptern, Assyrern, Griechen, Römern, Ländern, Meeren, Zahlen, Thieren und Pflanzen. — Possierliche Lectionen, — aber schöne, heilige Stunden!</p><lb/> <p>Es ist bekannt, daß auf den heißen Kometen-Sommer ein harter Winter folgte. Ein Winter, über dessen Kälte die Frierenden sich bitterlich beklagten, auf dessen glattem Eise jedoch die fahrende Jugend sich weidlich belustigte. Gustav Tiesel war ein gewandter Schlittschuhläufer. Klopstock's Ode wußte er auswendig, und seinen Namen schnitt er spielend ins gefrorene Wasser. Im Stuhlschlitten-Lenken suchte er seines Gleichen. Vergangenen Winter noch hatte er seine Schwestern nach Treschen geführt. Heuer wollte er sich mit ihnen nicht mehr einlassen. Auch fehlte es nicht an vornehmeren Kutschern, die mit Pferdeschlitten einhergebimmelt kamen, und denen der an seiner Familienehre gekränkte Bruder gern soweit als möglich auswich. Denn Lene und Fritzel galten schon für verlorene Mädchen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
wieder auf. Sie ergötzte sich an seinen geistigen Fortschritten, und weil sie in ihrer Einfalt klug genug war, um einzusehen, „daß sie dumm sei,“ — womit sie nur sagen wollte: sie habe nichts gelernt, — ließ sie sich von ihm unterrichten in Allem, was seine Lehrer ihm eröffnet. Das waren wohl possierliche Lectionen: die kleine, alte Muhme-Lieutnanten, andächtig aufhorchend, und der rothbäckige, ehrliche Junge, vor ihrem Krüppelstuhle stehend und docirend, wie ein rechter Professor, von Aegyptern, Assyrern, Griechen, Römern, Ländern, Meeren, Zahlen, Thieren und Pflanzen. — Possierliche Lectionen, — aber schöne, heilige Stunden!
Es ist bekannt, daß auf den heißen Kometen-Sommer ein harter Winter folgte. Ein Winter, über dessen Kälte die Frierenden sich bitterlich beklagten, auf dessen glattem Eise jedoch die fahrende Jugend sich weidlich belustigte. Gustav Tiesel war ein gewandter Schlittschuhläufer. Klopstock's Ode wußte er auswendig, und seinen Namen schnitt er spielend ins gefrorene Wasser. Im Stuhlschlitten-Lenken suchte er seines Gleichen. Vergangenen Winter noch hatte er seine Schwestern nach Treschen geführt. Heuer wollte er sich mit ihnen nicht mehr einlassen. Auch fehlte es nicht an vornehmeren Kutschern, die mit Pferdeschlitten einhergebimmelt kamen, und denen der an seiner Familienehre gekränkte Bruder gern soweit als möglich auswich. Denn Lene und Fritzel galten schon für verlorene Mädchen.
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Zitationshilfe: | Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_saloppel_1910/28>, abgerufen am 26.07.2024. |