Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.Leanders aus Schlesien Die hoffnung, die du hast, zerflatter' in die lufft!Aurora müsse dir kein süsses aug ertheilen! Der schöpffer stosse dich in eine bange klufft, Wo blasser jammer wohnt, und wüste vögel heulen! Warum versperrtest du dem Hiob nicht die welt? Warum verbargst du nicht die qual vor meinen augen? So würde mir die ruh nicht, wie itzund, vergällt, Da meine lippen nichts als herbe thränen saugen. Ach! warum starb ich nicht, da ich gebohren war? Warum vergieng ich nicht, eh mich das licht berühret? Denn unser mutter schos ist doch die beste bahr, Jndem sie alle pein mit uns zu grabe führet. Ach! warum schloß der tod nicht mund und augen zu, Eh' ich die süsse krafft der mutter-milch genossen? So schlief ich ohne schmertz, und läg in stiller ruh: Denn diese bleibet doch nur in der grufft verschlossen. Jn tieffen gräbern hat kein fürste was zuvor: Denn der verstorbnen fried ist gleiche durch gegründet. Wohl diesem! der den tod noch, eh er an das thor Des bangen lebens kommt in seiner mutter findet. Jm grabe höret doch der feinde rasen auf: Das maul der lästerer wühlt nur in blosem sande: Des todes starcke faust hält alles elend auf, Und wen sie frey gemacht, der fühlet keine bande. O grab! du sanffter ort! dir gleichet kein pallast. Denn wieviel kummer wohnt auch unter göldnen decken; Bey dir hat jedermann die angenehmste rast, Von der ihn weder blitz noch donner-keil erwecken. Jn deinem hofe gilt kein ansehn der person: Hier ist kein herr zu gros, und auch kein knecht zu wenig: Hier ist ein schlechter stuhl so kostbar als ein thron: Und der geringste ruht so sicher als ein könig. Wie glücklich wär ein mensch, dem dieses lebens-licht Nur wie cometen scheint, wenn er bald sterben könte: Er ruffet zwar den tod, allein er hört ihn nicht, Ob er ihm gleich mit lust in händ und armen rennte. Ach
Leanders aus Schleſien Die hoffnung, die du haſt, zerflatter’ in die lufft!Aurora muͤſſe dir kein ſuͤſſes aug ertheilen! Der ſchoͤpffer ſtoſſe dich in eine bange klufft, Wo blaſſer jammer wohnt, und wuͤſte voͤgel heulen! Warum verſperꝛteſt du dem Hiob nicht die welt? Warum verbargſt du nicht die qual vor meinen augen? So wuͤrde mir die ruh nicht, wie itzund, vergaͤllt, Da meine lippen nichts als herbe thraͤnen ſaugen. Ach! warum ſtarb ich nicht, da ich gebohren war? Warum vergieng ich nicht, eh mich das licht beruͤhret? Denn unſer mutter ſchos iſt doch die beſte bahr, Jndem ſie alle pein mit uns zu grabe fuͤhret. Ach! warum ſchloß der tod nicht mund und augen zu, Eh’ ich die ſuͤſſe krafft der mutter-milch genoſſen? So ſchlief ich ohne ſchmertz, und laͤg in ſtiller ruh: Denn dieſe bleibet doch nur in der grufft verſchloſſen. Jn tieffen graͤbern hat kein fuͤrſte was zuvor: Denn der verſtorbnen fried iſt gleiche durch gegruͤndet. Wohl dieſem! der den tod noch, eh er an das thor Des bangen lebens kommt in ſeiner mutter findet. Jm grabe hoͤret doch der feinde raſen auf: Das maul der laͤſterer wuͤhlt nur in bloſem ſande: Des todes ſtarcke fauſt haͤlt alles elend auf, Und wen ſie frey gemacht, der fuͤhlet keine bande. O grab! du ſanffter ort! dir gleichet kein pallaſt. Denn wieviel kummer wohnt auch unter goͤldnen decken; Bey dir hat jedermann die angenehmſte raſt, Von der ihn weder blitz noch donner-keil erwecken. Jn deinem hofe gilt kein anſehn der perſon: Hier iſt kein herꝛ zu gros, und auch kein knecht zu wenig: Hier iſt ein ſchlechter ſtuhl ſo koſtbar als ein thron: Und der geringſte ruht ſo ſicher als ein koͤnig. Wie gluͤcklich waͤr ein menſch, dem dieſes lebens-licht Nur wie cometen ſcheint, wenn er bald ſterben koͤnte: Er ruffet zwar den tod, allein er hoͤrt ihn nicht, Ob er ihm gleich mit luſt in haͤnd und armen rennte. Ach
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Leanders aus Schleſien
Die hoffnung, die du haſt, zerflatter’ in die lufft!
Aurora muͤſſe dir kein ſuͤſſes aug ertheilen!
Der ſchoͤpffer ſtoſſe dich in eine bange klufft,
Wo blaſſer jammer wohnt, und wuͤſte voͤgel heulen!
Warum verſperꝛteſt du dem Hiob nicht die welt?
Warum verbargſt du nicht die qual vor meinen augen?
So wuͤrde mir die ruh nicht, wie itzund, vergaͤllt,
Da meine lippen nichts als herbe thraͤnen ſaugen.
Ach! warum ſtarb ich nicht, da ich gebohren war?
Warum vergieng ich nicht, eh mich das licht beruͤhret?
Denn unſer mutter ſchos iſt doch die beſte bahr,
Jndem ſie alle pein mit uns zu grabe fuͤhret.
Ach! warum ſchloß der tod nicht mund und augen zu,
Eh’ ich die ſuͤſſe krafft der mutter-milch genoſſen?
So ſchlief ich ohne ſchmertz, und laͤg in ſtiller ruh:
Denn dieſe bleibet doch nur in der grufft verſchloſſen.
Jn tieffen graͤbern hat kein fuͤrſte was zuvor:
Denn der verſtorbnen fried iſt gleiche durch gegruͤndet.
Wohl dieſem! der den tod noch, eh er an das thor
Des bangen lebens kommt in ſeiner mutter findet.
Jm grabe hoͤret doch der feinde raſen auf:
Das maul der laͤſterer wuͤhlt nur in bloſem ſande:
Des todes ſtarcke fauſt haͤlt alles elend auf,
Und wen ſie frey gemacht, der fuͤhlet keine bande.
O grab! du ſanffter ort! dir gleichet kein pallaſt.
Denn wieviel kummer wohnt auch unter goͤldnen decken;
Bey dir hat jedermann die angenehmſte raſt,
Von der ihn weder blitz noch donner-keil erwecken.
Jn deinem hofe gilt kein anſehn der perſon:
Hier iſt kein herꝛ zu gros, und auch kein knecht zu wenig:
Hier iſt ein ſchlechter ſtuhl ſo koſtbar als ein thron:
Und der geringſte ruht ſo ſicher als ein koͤnig.
Wie gluͤcklich waͤr ein menſch, dem dieſes lebens-licht
Nur wie cometen ſcheint, wenn er bald ſterben koͤnte:
Er ruffet zwar den tod, allein er hoͤrt ihn nicht,
Ob er ihm gleich mit luſt in haͤnd und armen rennte.
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