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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

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Leanders aus Schlesien
MAn sagt nur seine kleinen fehler, die grossen bleiben
ungenannt:
Drum klagt man über das gedächtniß, und niemahls über den
verstand.


JSt schon dein hertze gar zu klein;
So kan an dir nichts grosses seyn.


EJn thörichter sieht nichts, obgleich sehr viel geschiehet,
Das ein gescheuter mann durch seinen witz erkiest:
Warum? Dieweil ein narr der tummen meinung ist,
Daß er schon alles seh, wenn er nur sich ansiehet.


DU bist blinder, als ein blinder, der kein auge brauchen kan.
Denn du siehst nur die geschöpffe, und er sieht den
schöpffer an.


WO man nichts an deinem wandel, als nur etwas, tadeln
kan,
O so zeiget dieses etwas eine grosse tugend an.


DAs glücke kan uns nicht die wahre hoheit geben:
Denn dieses goldne flies erfordert eigne müh.
Die cron erhöht uns nicht; Nein! wir erhöhen sie,
Jndem wir ihre last auf unser haupt erheben.
Ein zwerg hört in der höh nicht auf, ein zwerg zu seyn:
Und in der tieffen wird kein grosser riese klein;
Doch kan ein ries' ein zwerg durch knechtische gebärden,
Wie durch verstand und muth, ein zwerg, ein riese werden.


JHr zornigen! drückt diesen schluß
Doch fest in des gedächtniß ein:
Der unerträgliche verdruß
Jst, andern unerträglich seyn.
Jn
Leanders aus Schleſien
MAn ſagt nur ſeine kleinen fehler, die groſſen bleiben
ungenannt:
Drum klagt man uͤber das gedaͤchtniß, und niemahls uͤber den
verſtand.


JSt ſchon dein hertze gar zu klein;
So kan an dir nichts groſſes ſeyn.


EJn thoͤrichter ſieht nichts, obgleich ſehr viel geſchiehet,
Das ein geſcheuter mann durch ſeinen witz erkieſt:
Warum? Dieweil ein narꝛ der tummen meinung iſt,
Daß er ſchon alles ſeh, wenn er nur ſich anſiehet.


DU biſt blinder, als ein blinder, der kein auge brauchen kan.
Denn du ſiehſt nur die geſchoͤpffe, und er ſieht den
ſchoͤpffer an.


WO man nichts an deinem wandel, als nur etwas, tadeln
kan,
O ſo zeiget dieſes etwas eine groſſe tugend an.


DAs gluͤcke kan uns nicht die wahre hoheit geben:
Denn dieſes goldne flies erfordert eigne muͤh.
Die cron erhoͤht uns nicht; Nein! wir erhoͤhen ſie,
Jndem wir ihre laſt auf unſer haupt erheben.
Ein zwerg hoͤrt in der hoͤh nicht auf, ein zwerg zu ſeyn:
Und in der tieffen wird kein groſſer rieſe klein;
Doch kan ein rieſ’ ein zwerg durch knechtiſche gebaͤrden,
Wie durch verſtand und muth, ein zwerg, ein rieſe werden.


JHr zornigen! druͤckt dieſen ſchluß
Doch feſt in des gedaͤchtniß ein:
Der unertraͤgliche verdruß
Jſt, andern unertraͤglich ſeyn.
Jn
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[316/0340] Leanders aus Schleſien MAn ſagt nur ſeine kleinen fehler, die groſſen bleiben ungenannt: Drum klagt man uͤber das gedaͤchtniß, und niemahls uͤber den verſtand. JSt ſchon dein hertze gar zu klein; So kan an dir nichts groſſes ſeyn. EJn thoͤrichter ſieht nichts, obgleich ſehr viel geſchiehet, Das ein geſcheuter mann durch ſeinen witz erkieſt: Warum? Dieweil ein narꝛ der tummen meinung iſt, Daß er ſchon alles ſeh, wenn er nur ſich anſiehet. DU biſt blinder, als ein blinder, der kein auge brauchen kan. Denn du ſiehſt nur die geſchoͤpffe, und er ſieht den ſchoͤpffer an. WO man nichts an deinem wandel, als nur etwas, tadeln kan, O ſo zeiget dieſes etwas eine groſſe tugend an. DAs gluͤcke kan uns nicht die wahre hoheit geben: Denn dieſes goldne flies erfordert eigne muͤh. Die cron erhoͤht uns nicht; Nein! wir erhoͤhen ſie, Jndem wir ihre laſt auf unſer haupt erheben. Ein zwerg hoͤrt in der hoͤh nicht auf, ein zwerg zu ſeyn: Und in der tieffen wird kein groſſer rieſe klein; Doch kan ein rieſ’ ein zwerg durch knechtiſche gebaͤrden, Wie durch verſtand und muth, ein zwerg, ein rieſe werden. JHr zornigen! druͤckt dieſen ſchluß Doch feſt in des gedaͤchtniß ein: Der unertraͤgliche verdruß Jſt, andern unertraͤglich ſeyn. Jn

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/340>, abgerufen am 20.05.2024.