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Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Gebeine mit Schande brandmarke. Nein! -- mich wird die Geliebte meiner Seele beweinen als den unschuldig Gefallenen, die Zeit wird ihren Schmerz lindern, aber unüberwindlich würde der Jammer sein über des geliebten Vaters entsetzliche Thaten der Hölle.

Olivier schwieg, aber nun stürzte plötzlich ein Thränenstrom aus seinen Augen, er warf sich der Scudery zu Füßen und flehte: Ihr seid von meiner Unschuld überzeugt -- gewiß, Ihr seid es! Habt Erbarmen mit mir, sagt, wie steht es mit Madelon? -- Die Scudery rief der Martiniere, und nach wenigen Augenblicken flog Madelon an Olivier's Hals. Nun ist Alles gut, da du hier bist -- ich wußt' es ja, daß die edelmüthigste Dame dich retten würde! So rief Madelon einmal über das andere, und Olivier vergaß sein Schicksal, Alles was ihm drohte, er war frei und selig. Auf das Rührendste klagten Beide sich, was sie um einander gelitten, und umarmten sich dann aufs Neue und weinten vor Entzücken, daß sie sich wieder gefunden.

Wäre die Scudery nicht von Olivier's Unschuld schon überzeugt gewesen, der Glaube daran müßte ihr jetzt gekommen sein, da sie die Beiden betrachtete, die in der Seligkeit des innigsten Liebesbündnisses die Welt vergaßen und ihr Elend und ihr namenloses Leiden. Nein, rief sie, solch seliger Vergessenheit ist nur ein reines Herz fähig.

Die hellen Strahlen des Morgens brachen durch das Fenster. Desgrais klopfte leise an die Thüre des

Gebeine mit Schande brandmarke. Nein! — mich wird die Geliebte meiner Seele beweinen als den unschuldig Gefallenen, die Zeit wird ihren Schmerz lindern, aber unüberwindlich würde der Jammer sein über des geliebten Vaters entsetzliche Thaten der Hölle.

Olivier schwieg, aber nun stürzte plötzlich ein Thränenstrom aus seinen Augen, er warf sich der Scudery zu Füßen und flehte: Ihr seid von meiner Unschuld überzeugt — gewiß, Ihr seid es! Habt Erbarmen mit mir, sagt, wie steht es mit Madelon? — Die Scudery rief der Martiniere, und nach wenigen Augenblicken flog Madelon an Olivier's Hals. Nun ist Alles gut, da du hier bist — ich wußt' es ja, daß die edelmüthigste Dame dich retten würde! So rief Madelon einmal über das andere, und Olivier vergaß sein Schicksal, Alles was ihm drohte, er war frei und selig. Auf das Rührendste klagten Beide sich, was sie um einander gelitten, und umarmten sich dann aufs Neue und weinten vor Entzücken, daß sie sich wieder gefunden.

Wäre die Scudery nicht von Olivier's Unschuld schon überzeugt gewesen, der Glaube daran müßte ihr jetzt gekommen sein, da sie die Beiden betrachtete, die in der Seligkeit des innigsten Liebesbündnisses die Welt vergaßen und ihr Elend und ihr namenloses Leiden. Nein, rief sie, solch seliger Vergessenheit ist nur ein reines Herz fähig.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/95>, abgerufen am 24.11.2024.