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Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dern auch auf Alles achten müsse, was zu seinen Gunsten spräche, nicht an gänzlich tauben Ohren vorüber glitten. Als das Fräulein nun endlich ganz erschöpft, die Thränen von den Augen wegtrocknend, schwieg, fing la Regnie an: Es ist ganz Eures vortrefflichen Herzens würdig, mein Fräulein, daß Ihr, gerührt von den Thränen eines jungen verliebten Mädchens, Alles glaubt, was sie vorbringt, ja daß Ihr nicht fähig seid, den Gedanken einer entsetzlichen Unthat zu fassen; aber anders ist es mit dem Richter, der gewohnt ist, frecher Heuchelei die Larve abzureißen. Wohl mag es nicht meines Amts sein, Jedem, der mich frägt, den Gang eines Criminalprocesses zu entwickeln. Fräulein! ich thue meine Pflicht, wenig kümmert mich das Urtheil der Welt. Zittern sollen die Bösewichter vor der Chambre ardente, die keine Strafe kennt als Blut und Feuer. Aber von Euch, mein würdiges Fräulein, möcht' ich nicht für ein Ungeheuer gehalten werden an Härte und Grausamkeit, darum vergönnt mir, daß ich Euch mit wenigen Worten die Blutschuld des jungen Bösewichts, der, dem Himmel sei es gedankt, der Rache verfallen ist, klar vor Augen lege. Euer scharfsinniger Geist wird dann selbst die Gutmüthigkeit verschmähen, die Euch Ehre macht, mir aber gar nicht anstehen würde. -- Also! -- Am Morgen wird Rene Cardillac durch einen Dolchstoß ermordet gefunden. Niemand ist bei ihm als sein Geselle Olivier Brusson und die Tochter. In Olivier's Kammer, unter andern, findet man einen Dolch von frischem

dern auch auf Alles achten müsse, was zu seinen Gunsten spräche, nicht an gänzlich tauben Ohren vorüber glitten. Als das Fräulein nun endlich ganz erschöpft, die Thränen von den Augen wegtrocknend, schwieg, fing la Regnie an: Es ist ganz Eures vortrefflichen Herzens würdig, mein Fräulein, daß Ihr, gerührt von den Thränen eines jungen verliebten Mädchens, Alles glaubt, was sie vorbringt, ja daß Ihr nicht fähig seid, den Gedanken einer entsetzlichen Unthat zu fassen; aber anders ist es mit dem Richter, der gewohnt ist, frecher Heuchelei die Larve abzureißen. Wohl mag es nicht meines Amts sein, Jedem, der mich frägt, den Gang eines Criminalprocesses zu entwickeln. Fräulein! ich thue meine Pflicht, wenig kümmert mich das Urtheil der Welt. Zittern sollen die Bösewichter vor der Chambre ardente, die keine Strafe kennt als Blut und Feuer. Aber von Euch, mein würdiges Fräulein, möcht' ich nicht für ein Ungeheuer gehalten werden an Härte und Grausamkeit, darum vergönnt mir, daß ich Euch mit wenigen Worten die Blutschuld des jungen Bösewichts, der, dem Himmel sei es gedankt, der Rache verfallen ist, klar vor Augen lege. Euer scharfsinniger Geist wird dann selbst die Gutmüthigkeit verschmähen, die Euch Ehre macht, mir aber gar nicht anstehen würde. — Also! — Am Morgen wird René Cardillac durch einen Dolchstoß ermordet gefunden. Niemand ist bei ihm als sein Geselle Olivier Brusson und die Tochter. In Olivier's Kammer, unter andern, findet man einen Dolch von frischem

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[0058] dern auch auf Alles achten müsse, was zu seinen Gunsten spräche, nicht an gänzlich tauben Ohren vorüber glitten. Als das Fräulein nun endlich ganz erschöpft, die Thränen von den Augen wegtrocknend, schwieg, fing la Regnie an: Es ist ganz Eures vortrefflichen Herzens würdig, mein Fräulein, daß Ihr, gerührt von den Thränen eines jungen verliebten Mädchens, Alles glaubt, was sie vorbringt, ja daß Ihr nicht fähig seid, den Gedanken einer entsetzlichen Unthat zu fassen; aber anders ist es mit dem Richter, der gewohnt ist, frecher Heuchelei die Larve abzureißen. Wohl mag es nicht meines Amts sein, Jedem, der mich frägt, den Gang eines Criminalprocesses zu entwickeln. Fräulein! ich thue meine Pflicht, wenig kümmert mich das Urtheil der Welt. Zittern sollen die Bösewichter vor der Chambre ardente, die keine Strafe kennt als Blut und Feuer. Aber von Euch, mein würdiges Fräulein, möcht' ich nicht für ein Ungeheuer gehalten werden an Härte und Grausamkeit, darum vergönnt mir, daß ich Euch mit wenigen Worten die Blutschuld des jungen Bösewichts, der, dem Himmel sei es gedankt, der Rache verfallen ist, klar vor Augen lege. Euer scharfsinniger Geist wird dann selbst die Gutmüthigkeit verschmähen, die Euch Ehre macht, mir aber gar nicht anstehen würde. — Also! — Am Morgen wird René Cardillac durch einen Dolchstoß ermordet gefunden. Niemand ist bei ihm als sein Geselle Olivier Brusson und die Tochter. In Olivier's Kammer, unter andern, findet man einen Dolch von frischem

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

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Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/58>, abgerufen am 02.05.2024.