Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ja unschuldig! -- er ist unschuldig! Vergebens sind Desgrais', vergebens seiner Leute Bemühungen, sie loszureißen, sie vom Boden aufzurichten. Ein starker ungeschlachter Kerl ergreift endlich mit plumpen Fäusten die Arme, zerrt sie mit Gewalt weg von Desgrais, strauchelt ungeschickt, läßt das Mädchen fahren, die hinabschlägt die steinernen Stufen und lautlos -- todt auf der Straße liegen bleibt. Länger kann die Scudery sich nicht halten. In Christus Namen, was ist geschehen, was geht hier vor? ruft sie, öffnet rasch den Schlag, steigt aus. -- Ehrerbietig weicht das Volk der würdigen Dame, die, als sie sieht, wie ein paar mitleidige Weiber das Mädchen aufgehoben, auf die Stufen gesetzt haben, ihr die Stirne mit starkem Wasser reiben, sich dem Desgrais nähert und mit Heftigkeit ihre Frage wiederholt. Es ist das Entsetzliche geschehen, spricht Desgrais, Rene Cardillac wurde heute Morgen durch einen Dolchstich ermordet gefunden. Sein Geselle Olivier Brusson ist der Mörder. Eben wurde er fortgeführt ins Gefängniß. Und das Mädchen, ruft die Scudery? -- ist, fällt Desgrais ein, ist Madelon, Cardillac's Tochter. Der verruchte Mensch war ihr Geliebter. Nun weint und heult sie und schreit einmal übers andere, daß Olivier unschuldig sei, ganz unschuldig. Am Ende weiß sie von der That, und ich muß sie auch nach der Conciergerie bringen lassen. Desgrais warf, als er dies sprach, einen tückischen, schadenfrohen Blick auf das Mädchen, vor dem die Scudery erbebte. Eben begann das Mäd- ja unschuldig! — er ist unschuldig! Vergebens sind Desgrais', vergebens seiner Leute Bemühungen, sie loszureißen, sie vom Boden aufzurichten. Ein starker ungeschlachter Kerl ergreift endlich mit plumpen Fäusten die Arme, zerrt sie mit Gewalt weg von Desgrais, strauchelt ungeschickt, läßt das Mädchen fahren, die hinabschlägt die steinernen Stufen und lautlos — todt auf der Straße liegen bleibt. Länger kann die Scudery sich nicht halten. In Christus Namen, was ist geschehen, was geht hier vor? ruft sie, öffnet rasch den Schlag, steigt aus. — Ehrerbietig weicht das Volk der würdigen Dame, die, als sie sieht, wie ein paar mitleidige Weiber das Mädchen aufgehoben, auf die Stufen gesetzt haben, ihr die Stirne mit starkem Wasser reiben, sich dem Desgrais nähert und mit Heftigkeit ihre Frage wiederholt. Es ist das Entsetzliche geschehen, spricht Desgrais, René Cardillac wurde heute Morgen durch einen Dolchstich ermordet gefunden. Sein Geselle Olivier Brusson ist der Mörder. Eben wurde er fortgeführt ins Gefängniß. Und das Mädchen, ruft die Scudery? — ist, fällt Desgrais ein, ist Madelon, Cardillac's Tochter. Der verruchte Mensch war ihr Geliebter. Nun weint und heult sie und schreit einmal übers andere, daß Olivier unschuldig sei, ganz unschuldig. Am Ende weiß sie von der That, und ich muß sie auch nach der Conciergerie bringen lassen. Desgrais warf, als er dies sprach, einen tückischen, schadenfrohen Blick auf das Mädchen, vor dem die Scudery erbebte. Eben begann das Mäd- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0052"/> ja unschuldig! — er ist unschuldig! Vergebens sind Desgrais', vergebens seiner Leute Bemühungen, sie loszureißen, sie vom Boden aufzurichten. Ein starker ungeschlachter Kerl ergreift endlich mit plumpen Fäusten die Arme, zerrt sie mit Gewalt weg von Desgrais, strauchelt ungeschickt, läßt das Mädchen fahren, die hinabschlägt die steinernen Stufen und lautlos — todt auf der Straße liegen bleibt. Länger kann die Scudery sich nicht halten. In Christus Namen, was ist geschehen, was geht hier vor? ruft sie, öffnet rasch den Schlag, steigt aus. — Ehrerbietig weicht das Volk der würdigen Dame, die, als sie sieht, wie ein paar mitleidige Weiber das Mädchen aufgehoben, auf die Stufen gesetzt haben, ihr die Stirne mit starkem Wasser reiben, sich dem Desgrais nähert und mit Heftigkeit ihre Frage wiederholt. Es ist das Entsetzliche geschehen, spricht Desgrais, René Cardillac wurde heute Morgen durch einen Dolchstich ermordet gefunden. Sein Geselle Olivier Brusson ist der Mörder. Eben wurde er fortgeführt ins Gefängniß. Und das Mädchen, ruft die Scudery? — ist, fällt Desgrais ein, ist Madelon, Cardillac's Tochter. Der verruchte Mensch war ihr Geliebter. Nun weint und heult sie und schreit einmal übers andere, daß Olivier unschuldig sei, ganz unschuldig. Am Ende weiß sie von der That, und ich muß sie auch nach der Conciergerie bringen lassen. Desgrais warf, als er dies sprach, einen tückischen, schadenfrohen Blick auf das Mädchen, vor dem die Scudery erbebte. Eben begann das Mäd-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
ja unschuldig! — er ist unschuldig! Vergebens sind Desgrais', vergebens seiner Leute Bemühungen, sie loszureißen, sie vom Boden aufzurichten. Ein starker ungeschlachter Kerl ergreift endlich mit plumpen Fäusten die Arme, zerrt sie mit Gewalt weg von Desgrais, strauchelt ungeschickt, läßt das Mädchen fahren, die hinabschlägt die steinernen Stufen und lautlos — todt auf der Straße liegen bleibt. Länger kann die Scudery sich nicht halten. In Christus Namen, was ist geschehen, was geht hier vor? ruft sie, öffnet rasch den Schlag, steigt aus. — Ehrerbietig weicht das Volk der würdigen Dame, die, als sie sieht, wie ein paar mitleidige Weiber das Mädchen aufgehoben, auf die Stufen gesetzt haben, ihr die Stirne mit starkem Wasser reiben, sich dem Desgrais nähert und mit Heftigkeit ihre Frage wiederholt. Es ist das Entsetzliche geschehen, spricht Desgrais, René Cardillac wurde heute Morgen durch einen Dolchstich ermordet gefunden. Sein Geselle Olivier Brusson ist der Mörder. Eben wurde er fortgeführt ins Gefängniß. Und das Mädchen, ruft die Scudery? — ist, fällt Desgrais ein, ist Madelon, Cardillac's Tochter. Der verruchte Mensch war ihr Geliebter. Nun weint und heult sie und schreit einmal übers andere, daß Olivier unschuldig sei, ganz unschuldig. Am Ende weiß sie von der That, und ich muß sie auch nach der Conciergerie bringen lassen. Desgrais warf, als er dies sprach, einen tückischen, schadenfrohen Blick auf das Mädchen, vor dem die Scudery erbebte. Eben begann das Mäd-
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Zitationshilfe: | Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/52>, abgerufen am 28.07.2024. |