Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Pariser athmeten auf, als das Ungeheuer von der Welt war, das die heimliche mörderische Waffe ungestraft richten konnte gegen den Feind und Freund. Doch bald that es sich kund, daß des verruchten La Croix entsetzliche Kunst sich fort vererbt hatte. Wie ein unsichtbares tückisches Gespenst schlich der Mord sich ein in die engsten Kreise, wie sie Verwandtschaft -- Liebe -- Freundschaft nur bilden können, und erfaßte sicher und schnell die unglücklichen Opfer. Der, den man heute in blühender Gesundheit gesehen, wankte morgen krank und siech umher, und keine Kunst der Aerzte konnte ihn vor dem Tode retten. Reichthum -- ein einträgliches Amt -- ein schönes, vielleicht zu jugendliches Weib -- das genügte zur Verfolgung auf den Tod. Das grausamste Mißtrauen trennte die heiligsten Bande. Der Gatte zitterte vor der Gattin -- der Vater vor dem Sohn -- die Schwester vor dem Bruder. -- Unberührt blieben die Speisen, blieb der Wein bei dem Mahl, das der Freund den Freunden gab, und wo sonst Lust und Scherz gewaltet, spähten verwilderte Blicke nach dem verkappten Mörder. Man sah Familienväter ängstlich in entfernten Gegenden Lebensmittel einkaufen und in dieser, jener schmutzigen Garküche selbst bereiten, in ihrem eigenen Hause teuflischen Verrath fürchtend. Und doch war manchmal die größte, bedachteste Vorsicht vergebens.

Der König, dem Unwesen, das immer mehr überhand nahm, zu steuern, ernannte einen eigenen Gerichtshof, dem er ausschließlich die Untersuchung und Bestraf-

Die Pariser athmeten auf, als das Ungeheuer von der Welt war, das die heimliche mörderische Waffe ungestraft richten konnte gegen den Feind und Freund. Doch bald that es sich kund, daß des verruchten La Croix entsetzliche Kunst sich fort vererbt hatte. Wie ein unsichtbares tückisches Gespenst schlich der Mord sich ein in die engsten Kreise, wie sie Verwandtschaft — Liebe — Freundschaft nur bilden können, und erfaßte sicher und schnell die unglücklichen Opfer. Der, den man heute in blühender Gesundheit gesehen, wankte morgen krank und siech umher, und keine Kunst der Aerzte konnte ihn vor dem Tode retten. Reichthum — ein einträgliches Amt — ein schönes, vielleicht zu jugendliches Weib — das genügte zur Verfolgung auf den Tod. Das grausamste Mißtrauen trennte die heiligsten Bande. Der Gatte zitterte vor der Gattin — der Vater vor dem Sohn — die Schwester vor dem Bruder. — Unberührt blieben die Speisen, blieb der Wein bei dem Mahl, das der Freund den Freunden gab, und wo sonst Lust und Scherz gewaltet, spähten verwilderte Blicke nach dem verkappten Mörder. Man sah Familienväter ängstlich in entfernten Gegenden Lebensmittel einkaufen und in dieser, jener schmutzigen Garküche selbst bereiten, in ihrem eigenen Hause teuflischen Verrath fürchtend. Und doch war manchmal die größte, bedachteste Vorsicht vergebens.

Der König, dem Unwesen, das immer mehr überhand nahm, zu steuern, ernannte einen eigenen Gerichtshof, dem er ausschließlich die Untersuchung und Bestraf-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <pb facs="#f0022"/>
        <p>Die Pariser athmeten auf, als das Ungeheuer von der Welt war, das die heimliche                mörderische Waffe ungestraft richten konnte gegen den Feind und Freund. Doch bald                that es sich kund, daß des verruchten La Croix entsetzliche Kunst sich fort vererbt                hatte. Wie ein unsichtbares tückisches Gespenst schlich der Mord sich ein in die                engsten Kreise, wie sie Verwandtschaft &#x2014; Liebe &#x2014; Freundschaft nur bilden können, und                erfaßte sicher und schnell die unglücklichen Opfer. Der, den man heute in blühender                Gesundheit gesehen, wankte morgen krank und siech umher, und keine Kunst der Aerzte                konnte ihn vor dem Tode retten. Reichthum &#x2014; ein einträgliches Amt &#x2014; ein schönes,                vielleicht zu jugendliches Weib &#x2014; das genügte zur Verfolgung auf den Tod. Das                grausamste Mißtrauen trennte die heiligsten Bande. Der Gatte zitterte vor der Gattin                &#x2014; der Vater vor dem Sohn &#x2014; die Schwester vor dem Bruder. &#x2014; Unberührt blieben die                Speisen, blieb der Wein bei dem Mahl, das der Freund den Freunden gab, und wo sonst                Lust und Scherz gewaltet, spähten verwilderte Blicke nach dem verkappten Mörder. Man                sah Familienväter ängstlich in entfernten Gegenden Lebensmittel einkaufen und in                dieser, jener schmutzigen Garküche selbst bereiten, in ihrem eigenen Hause                teuflischen Verrath fürchtend. Und doch war manchmal die größte, bedachteste Vorsicht                vergebens.</p><lb/>
        <p>Der König, dem Unwesen, das immer mehr überhand nahm, zu steuern, ernannte einen                eigenen Gerichtshof, dem er ausschließlich die Untersuchung und Bestraf-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] Die Pariser athmeten auf, als das Ungeheuer von der Welt war, das die heimliche mörderische Waffe ungestraft richten konnte gegen den Feind und Freund. Doch bald that es sich kund, daß des verruchten La Croix entsetzliche Kunst sich fort vererbt hatte. Wie ein unsichtbares tückisches Gespenst schlich der Mord sich ein in die engsten Kreise, wie sie Verwandtschaft — Liebe — Freundschaft nur bilden können, und erfaßte sicher und schnell die unglücklichen Opfer. Der, den man heute in blühender Gesundheit gesehen, wankte morgen krank und siech umher, und keine Kunst der Aerzte konnte ihn vor dem Tode retten. Reichthum — ein einträgliches Amt — ein schönes, vielleicht zu jugendliches Weib — das genügte zur Verfolgung auf den Tod. Das grausamste Mißtrauen trennte die heiligsten Bande. Der Gatte zitterte vor der Gattin — der Vater vor dem Sohn — die Schwester vor dem Bruder. — Unberührt blieben die Speisen, blieb der Wein bei dem Mahl, das der Freund den Freunden gab, und wo sonst Lust und Scherz gewaltet, spähten verwilderte Blicke nach dem verkappten Mörder. Man sah Familienväter ängstlich in entfernten Gegenden Lebensmittel einkaufen und in dieser, jener schmutzigen Garküche selbst bereiten, in ihrem eigenen Hause teuflischen Verrath fürchtend. Und doch war manchmal die größte, bedachteste Vorsicht vergebens. Der König, dem Unwesen, das immer mehr überhand nahm, zu steuern, ernannte einen eigenen Gerichtshof, dem er ausschließlich die Untersuchung und Bestraf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/22
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/22>, abgerufen am 03.10.2024.