dem Rückenwirbel. -- Die Gestalt kam wieder, der Arzt, mit mir in den Spiegel schauend er¬ blaßte, dann nahm er mir den Spiegel aus der Hand, schauete nochmals hinein, verschloß ihn in dem Pult, und kehrte erst, als er einige Sekunden hindurch die Hand vor der Stirn schweigend da gestanden, zu mir zurück. "Befolgen Sie," fing er an, "befolgen Sie genau meine Vorschriften. Ich darf ihnen bekennen, daß jene Momente, in denen Sie außer sich selbst gesetzt Ihr eignes Ich in physischem Schmerz fühlten, mir noch sehr ge¬ heimnißvoll sind, aber ich hoffe Ihnen recht bald mehr darüber sagen zu können." -- Mit festem, unabänderlichem Willen, so schwer es mir auch ankam, lebte ich zur Stunde den Vorschriften des Arztes gemäß, und so sehr ich auch bald den wohl¬ thätigen Einfluß anderer Geistesanstrengung und der übrigen verordneten Diät verspürte, so blieb ich doch nicht frei von jenen furchtbaren Anfällen, die Mittags um zwölf Uhr, viel stärker aber Nachts um zwölf Uhr sich einzustellen pflegten. Selbst in munterer
dem Ruͤckenwirbel. — Die Geſtalt kam wieder, der Arzt, mit mir in den Spiegel ſchauend er¬ blaßte, dann nahm er mir den Spiegel aus der Hand, ſchauete nochmals hinein, verſchloß ihn in dem Pult, und kehrte erſt, als er einige Sekunden hindurch die Hand vor der Stirn ſchweigend da geſtanden, zu mir zuruͤck. „Befolgen Sie,“ fing er an, „befolgen Sie genau meine Vorſchriften. Ich darf ihnen bekennen, daß jene Momente, in denen Sie außer ſich ſelbſt geſetzt Ihr eignes Ich in phyſiſchem Schmerz fuͤhlten, mir noch ſehr ge¬ heimnißvoll ſind, aber ich hoffe Ihnen recht bald mehr daruͤber ſagen zu koͤnnen.“ — Mit feſtem, unabaͤnderlichem Willen, ſo ſchwer es mir auch ankam, lebte ich zur Stunde den Vorſchriften des Arztes gemaͤß, und ſo ſehr ich auch bald den wohl¬ thaͤtigen Einfluß anderer Geiſtesanſtrengung und der uͤbrigen verordneten Diaͤt verſpuͤrte, ſo blieb ich doch nicht frei von jenen furchtbaren Anfaͤllen, die Mittags um zwoͤlf Uhr, viel ſtaͤrker aber Nachts um zwoͤlf Uhr ſich einzuſtellen pflegten. Selbſt in munterer
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0051"n="43"/>
dem Ruͤckenwirbel. — Die Geſtalt kam wieder,<lb/>
der Arzt, mit mir in den Spiegel ſchauend er¬<lb/>
blaßte, dann nahm er mir den Spiegel aus der<lb/>
Hand, ſchauete nochmals hinein, verſchloß ihn in<lb/>
dem Pult, und kehrte erſt, als er einige Sekunden<lb/>
hindurch die Hand vor der Stirn ſchweigend da<lb/>
geſtanden, zu mir zuruͤck. „Befolgen Sie,“ fing<lb/>
er an, „befolgen Sie genau meine Vorſchriften.<lb/>
Ich darf ihnen bekennen, daß jene Momente, in<lb/>
denen Sie außer ſich ſelbſt geſetzt Ihr eignes Ich<lb/>
in phyſiſchem Schmerz fuͤhlten, mir noch ſehr ge¬<lb/>
heimnißvoll ſind, aber ich hoffe Ihnen recht bald<lb/>
mehr daruͤber ſagen zu koͤnnen.“— Mit feſtem,<lb/>
unabaͤnderlichem Willen, ſo ſchwer es mir auch<lb/>
ankam, lebte ich zur Stunde den Vorſchriften des<lb/>
Arztes gemaͤß, und ſo ſehr ich auch bald den wohl¬<lb/>
thaͤtigen Einfluß anderer Geiſtesanſtrengung und der<lb/>
uͤbrigen verordneten Diaͤt verſpuͤrte, ſo blieb ich doch<lb/>
nicht frei von jenen furchtbaren Anfaͤllen, die Mittags<lb/>
um zwoͤlf Uhr, viel ſtaͤrker aber Nachts um zwoͤlf<lb/>
Uhr ſich einzuſtellen pflegten. Selbſt in munterer<lb/></p></div></body></text></TEI>
[43/0051]
dem Ruͤckenwirbel. — Die Geſtalt kam wieder,
der Arzt, mit mir in den Spiegel ſchauend er¬
blaßte, dann nahm er mir den Spiegel aus der
Hand, ſchauete nochmals hinein, verſchloß ihn in
dem Pult, und kehrte erſt, als er einige Sekunden
hindurch die Hand vor der Stirn ſchweigend da
geſtanden, zu mir zuruͤck. „Befolgen Sie,“ fing
er an, „befolgen Sie genau meine Vorſchriften.
Ich darf ihnen bekennen, daß jene Momente, in
denen Sie außer ſich ſelbſt geſetzt Ihr eignes Ich
in phyſiſchem Schmerz fuͤhlten, mir noch ſehr ge¬
heimnißvoll ſind, aber ich hoffe Ihnen recht bald
mehr daruͤber ſagen zu koͤnnen.“ — Mit feſtem,
unabaͤnderlichem Willen, ſo ſchwer es mir auch
ankam, lebte ich zur Stunde den Vorſchriften des
Arztes gemaͤß, und ſo ſehr ich auch bald den wohl¬
thaͤtigen Einfluß anderer Geiſtesanſtrengung und der
uͤbrigen verordneten Diaͤt verſpuͤrte, ſo blieb ich doch
nicht frei von jenen furchtbaren Anfaͤllen, die Mittags
um zwoͤlf Uhr, viel ſtaͤrker aber Nachts um zwoͤlf
Uhr ſich einzuſtellen pflegten. Selbſt in munterer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/51>, abgerufen am 08.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.