den Seitenflügel, um den beiden alten Baronessen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns, wir mußten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein sechzigjähriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Mütterchen, die sich das Kam¬ merfräulein der gnädigen Herrschaft nannte, in das Heiligthum geführt. Da empfingen uns die alten, nach längst verjährter Mode abenteuerlich geputz¬ ten Damen mit komischem Ceremoniell, und vor¬ züglich war ich ein Gegenstand ihrer Verwunderung, als der Großonkel mich mit vieler Laune als einen jungen, ihm beistehenden Justizmann vorstellte. In ihren Mienen lag es, daß sie bei meiner Jugend das Wohl des R..sittenschen Unterthanen gefähr¬ det glaubten. Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte überhaupt viel Lächerliches, die Schauer der vergangenen Nacht fröstelten aber noch in meinem Innern, ich fühlte mich wie von einer unbekannten Macht berührt, oder es war mir viel¬ mehr, als habe ich schon an den Kreis gestreift, den zu überschreiten und rettungslos unterzugehen es
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den Seitenfluͤgel, um den beiden alten Baroneſſen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns, wir mußten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein ſechzigjaͤhriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Muͤtterchen, die ſich das Kam¬ merfraͤulein der gnaͤdigen Herrſchaft nannte, in das Heiligthum gefuͤhrt. Da empfingen uns die alten, nach laͤngſt verjaͤhrter Mode abenteuerlich geputz¬ ten Damen mit komiſchem Ceremoniell, und vor¬ zuͤglich war ich ein Gegenſtand ihrer Verwunderung, als der Großonkel mich mit vieler Laune als einen jungen, ihm beiſtehenden Juſtizmann vorſtellte. In ihren Mienen lag es, daß ſie bei meiner Jugend das Wohl des R..ſittenſchen Unterthanen gefaͤhr¬ det glaubten. Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte uͤberhaupt viel Laͤcherliches, die Schauer der vergangenen Nacht froͤſtelten aber noch in meinem Innern, ich fuͤhlte mich wie von einer unbekannten Macht beruͤhrt, oder es war mir viel¬ mehr, als habe ich ſchon an den Kreis geſtreift, den zu uͤberſchreiten und rettungslos unterzugehen es
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den Seitenfluͤgel, um den beiden alten Baroneſſen
in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns,
wir mußten einige Augenblicke warten und wurden
dann durch ein ſechzigjaͤhriges gebeugtes, in bunte
Seide gekleidetes Muͤtterchen, die ſich das Kam¬
merfraͤulein der gnaͤdigen Herrſchaft nannte, in das
Heiligthum gefuͤhrt. Da empfingen uns die alten,
nach laͤngſt verjaͤhrter Mode abenteuerlich geputz¬
ten Damen mit komiſchem Ceremoniell, und vor¬
zuͤglich war ich ein Gegenſtand ihrer Verwunderung,
als der Großonkel mich mit vieler Laune als einen
jungen, ihm beiſtehenden Juſtizmann vorſtellte.
In ihren Mienen lag es, daß ſie bei meiner Jugend
das Wohl des R..ſittenſchen Unterthanen gefaͤhr¬
det glaubten. Der ganze Auftritt bei den alten
Damen hatte uͤberhaupt viel Laͤcherliches, die
Schauer der vergangenen Nacht froͤſtelten aber noch
in meinem Innern, ich fuͤhlte mich wie von einer
unbekannten Macht beruͤhrt, oder es war mir viel¬
mehr, als habe ich ſchon an den Kreis geſtreift, den
zu uͤberſchreiten und rettungslos unterzugehen es
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/105>, abgerufen am 23.11.2024.
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